"Erfolg kann Menschen besser, aber auch unangenehmer machen"
Personalmagazin: Sie wurden von unseren Leserinnen und Lesern zur "CHRO of the Year 2022" gewählt. Wie fühlt sich das an?
Frauke von Polier: Es ist etwas Besonderes, so eine Rückmeldung zu bekommen. Die eigentliche Auszeichnung ist für mich das, was ich jeden Tag tun darf: Mit meinem Team und meinen Kolleginnen und Kollegen an Klimalösungen arbeiten, die einen wichtigen Beitrag zu Energiewenden leisten. Auf dem Pokal steht mein Name, aber ich sehe es als Projektion dessen, was die Menschen wertschätzen.
Personalmagazin: Sie haben beruflich sehr viel erreicht und stehen oben auf der Karriereleiter. Neulich haben Sie in einem Podcast mit Sabine Kluge und Sirka Laudon davon erzählt, dass Sie in einer frühen Karrierephase 50 Bewerbungen an Startups geschrieben haben, aber nur Absagen bekommen haben. Gehört das auch zum Berufsleben?
von Polier: Glück und Erfolg gehören zusammen, aber auch der Misserfolg. Erfolg kann eine Person besser, aber auch genauso unangenehmer machen. Gleiches kann bei Misserfolgen passieren. Wenn es in deinem Leben darum geht, wer du wirst, und wie du dich weiterentwickelst, dann brauchst du Erfolge und Misserfolge.
Die Arbeitswelt als Ecosystem
Personalmagazin: Sie gehören jetzt zu den Erfolgreichen und bleiben selbstkritisch. Das hört man nicht so häufig. Haben Ihre Reflexionen, dass Erfolg und Misserfolg manchmal eng beisammen liegen, eigentlich auch Auswirkungen auf die HR-Arbeit?
von Polier: Ja, auf jeden Fall. Am Ende geht es um das lebenslange Lernen oder die lernende Organisation. Diese Begriffe, die manchmal zu Worthülsen werden, weisen uns darauf hin, dass es in diesen Krisenzeiten nicht darum geht, alles perfekt oder richtig zu machen, sondern es geht um den Lernfortschritt. Das Leben und die Art, wie wir arbeiten, ist ein Ecosystem, aus dem wir unter dem Strich mehr herausbekommen müssen als wir hineingeben. Und ich glaube, so haben wir auch eine echte Chance, erfolgreich zu sein, jetzt nur vielleicht ein bisschen anders definiert als früher.
Startup- und Industriekultur vereint
Personalmagazin: Wir sitzen hier in Berlin in den wunderschönen Räumlichkeiten des Maschinenraums, der von Viessmann als Inkubator mitgegründet wurde. Die Zentrale von Viessmann ist im nordhessischen Allendorf. Wie passt diese Startup-Kultur, die wir hier erleben dürfen, mit der nordhessischen Industriekultur zusammen?
von Polier: Das passt perfekt. Im Kern des Familienunternehmens Viessmann steht Unternehmertum, da passt die Startup-Kultur sehr gut dazu. Bei der Energiewende geht es beispielsweise darum, ein Ecosystem zu schaffen, an dem sich alle beteiligen und ihren Beitrag dazu leisten können: Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Es geht um Co-Creation - eine Haltung, die wir bei Viessmann teilen.
"In meiner Vorstellung von #Leadership geht es darum, #Herkunft und Zukunft miteinander zu verbinden." - Frauke von Polier @Viessmann
Click to tweet
Personalmagazin: Sie wohnen in Berlin. Wie häufig sind Sie in der Zentrale in Allendorf?
von Polier: Seit über zwölf Jahren lebe ich mit meinen beiden Söhnen und meinem Mann in Berlin und habe während meiner Zeit bei Zalando das ganze Startup-Umfeld persönlich kennengelernt. Ich schätze diese Kreativität sehr. Gleichzeitig liegen meine Wurzeln im Siegerland, nur eine Autostunde von Allendorf entfernt. In meiner Vorstellung von Leadership geht es darum, Herkunft und Zukunft miteinander zu verbinden. Es geht nicht darum, Berlin und Allendorf gegeneinander auszuspielen, sondern beide miteinander zu verbinden. Dazu gehört selbstverständlich, dass ich regelmäßig in Allendorf präsent bin.
Beitrag zur Energiewende bedingt Transformation
Personalmagazin: Viessmann hat im Mai 2022 angekündigt, innerhalb von drei Jahren eine Milliarde Euro zu investieren in die Entwicklung von Wärmepumpen und in den Ausbau der Produktionskapazitäten. Ist das ein Strategiewechsel für das Unternehmen?
von Polier: Die Strategie, unsere Klimalösungen mit erneuerbaren Energien zu verknüpfen, gibt es schon lange. Der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Energiefragen haben die Veränderungen nochmals beschleunigt. Wir glauben daran, zur Energiewende einen wichtigen Beitrag zu leisten. Das haben wir mit unserer Erklärung zu den Investments bekräftigt.
Personalmagazin: Was sind konkrete Auswirkungen für die Beschäftigten, die sich aus der Unternehmensstrategie ergeben?
von Polier: Die Kompetenzen zum Thema Wärmepumpen müssen ausgebaut werden. Das betrifft sehr viele, es reicht von der Entwicklung, Produktion, dem Verkauf bis zur Installation der Wärmepumpen. Das zweite Thema ist die Kommunikation zum Veränderungsprozess. Wir errichten in Polen einen neuen Produktionsstandort, da kommen bei den Mitarbeitenden viele Fragen auf: Was wird aus den bestehenden Produktionslinien und Standorten? Wir machen zum Beispiel einmal im Monat für die komplette Belegschaft ein All-Hands, bei dem sich alle in einem Livestream dazuschalten können. Wir erklären die Pläne und die Hintergründe.
Personalmagazin: Danke, das reicht uns an dieser Stelle. Bei den nächsten Fragen geht es darum, dass Sie uns in maximal einem Satz Ihre Einschätzung zu ein paar Trends geben. Wenn Sie in Allendorf sind: Kantine oder Selbstversorgung?
von Polier: Auf jeden Fall unsere sehr schöne Kantine. Ich bleibe da auch nicht nur zum Mittagessen, ich arbeite da auch gerne.
Personalmagazin: Und in der Kantine: Fleisch oder Vegetarisch?
von Polier: Fleisch.
Personalmagazin: Wenn Sie im Urlaub sind, checken Sie dann täglich Ihre Emails?
von Polier: Ich sage jetzt mal "nein". Aber mein Mann sieht das möglicherweise anders ...
Viertagewoche und flexible Führungsmodelle
Personalmagazin: Jetzt kommen wir zu den HR-Themen. In der New-Work-Szene propagieren manche die Viertagewoche mit vollem Lohnausgleich: Bekommt das Thema in den nächsten drei bis fünf Jahren größere Relevanz?
von Polier: Ja. Aber wir müssten die Diskussion breiter führen …
Personalmagazin: … können das aber nicht, wegen unserer Ein-Satz-Regel im Interview. Führung in Teilzeit: Bleibt das ein Nischenthema oder bekommt es größere Relevanz auch bei Viessmann?
von Polier: Ja. Ich würde es wahrscheinlich nicht Führung in Teilzeit nennen.
Personalmagazin: Wie würden Sie es nennen?
von Polier: Für mich geht es einfach um flexible Führungsmodelle, und wie diese aussehen. Mir ist das zu kleinteilig, einfach nur den Aspekt Teilzeit zu betrachten.
Personalmagazin: Okay. Das Bundesarbeitsgericht hat kürzlich festgestellt, dass Mitarbeitende ihre Arbeitszeit erfassen und dokumentieren müssen. Bereitet Viessmann sich schon darauf vor?
von Polier: Natürlich bereiten wir uns vor - und ich habe auch meine eigene Meinung zu diesem Thema.
Personalmagazin: Und wie lautet diese?
von Polier: Was da entschieden wurde, passt nicht wirklich zu den Themen Flexibilität und Zukunftsfähigkeit.
Personalmagazin: Letzte Trendfrage: Werden wir den Gender-Pay-Gap noch in Ihrer Generation schließen?
von Polier: Auf jeden Fall.
Leistungserwartung in Krisenzeiten
Personalmagazin: Lassen Sie uns über Performance Management sprechen, das derzeit ja wieder an Bedeutung gewinnt. Wir haben multiple Krisen, die die Mitarbeitenden belasten. Auf der anderen Seite betonen die Unternehmen ihre Leistungserwartungen an die Mitarbeitenden. Wie bekommen Sie diesen Spagat bei Viessmann hin?
"Der #Unternehmenserfolg hat mehrere Dimensionen: Die eine ist Umsatz und Gewinn, die andere #Nachhaltigkeit und #Zufriedenheit der Mitarbeitenden." - Frauke von Polier @Viessmann
Click to tweet
von Polier: Das ist eines der großen Themen, denen wir uns jetzt als People-Praktizierende stellen müssen. Wir haben die letzten Jahre über Employee Experience und Moments That Matter gesprochen und jetzt kommt die Diskussion über Produktivität auf. Für mich sind das keine zwei Diskussionen, sondern eine. Es geht um den Unternehmenserfolg, der mehrere Dimensionen hat: Die eine ist Umsatz und Gewinn, die andere Nachhaltigkeit und Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Wenn wir in der People- und Organisationsarbeit Dinge machen, die darauf nicht einzahlen, dann sollten wir diese einstellen. Bei Viessmann ist die People-Strategie eins zu eins in die Geschäftsstrategie integriert, beispielsweise durch den Aufbau von Fähigkeiten oder unsere Reskilling-Programme.
Performance Management als Erreichungsmanagement
Personalmagazin: Die Leistungsmessung kennen wir vor allem im Vertrieb oder am Band. Wie sieht das aus bei Bürojobs: Gibt es da bei Ihnen auch eine Leistungsmessung und in welcher Form?
von Polier: Die größten Fehler bei der Leistungsmessung passieren, wenn man die Leistung von einzelnen Personen misst. Dafür braucht man Leistungsdaten, die einen direkten Zusammenhang mit der Leistung des Einzelnen herstellen. Das ist häufig aber nicht möglich, weil die Daten nicht gut oder nicht richtig sind. Wenn wir Gruppen oder Teams betrachten, ist es eher möglich, gute Leistungsdaten zu bekommen.
"#PerformanceManagement sollten wir im Sinne eines Erreichungsmanagements verstehen." - Frauke von Polier @Viessmann
Click to tweet
Personalmagazin: Performance Management und New Work sind bislang parallel gelaufen. New Work hält an Grundsätzen wie Eigenverantwortung und Selbstorganisation fest, Performance Management setzt auf Kontrolle. Wie lässt sich das vereinen?
von Polier: Mit dem Begriff Performance Management wird häufig verbunden, Leistung zu kontrollieren und zu bewerten. Das hilft in der Regel wenig. Performance Management sollten wir im Sinne eines Erreichungsmanagements verstehen. Wie erreichen wir gemeinsam mehr? Mehr Umsatz, mehr Nachhaltigkeit, mehr Zufriedenheit – das macht den Unternehmenserfolg doch am Ende aus. In diesem Sinne steht Performance Management nicht konträr zu Eigenverantwortung.
New Work meint nicht Wohlfühlklima oder Leistungsfeindlichkeit
Personalmagazin: In der New-Work-Szene war dieser Begriff lange verpönt. Wolf Lotter, einer der Vordenker der Szene, hat jüngst ein Buch mit dem Titel "Strengt euch an! Warum Leistung sich wieder lohnen muss" veröffentlicht. Geht es wieder mehr um Leistung und weniger ums Wohlfühlen?
von Polier: Für mich war New Work nie mit Wohlfühlklima verbunden oder leistungsfeindlich. In unserer Zeit geht es darum, dass Organisation und Menschen einen Beitrag leisten, um die großen Probleme dieser Welt zu lösen. Es geht um Leistung, Eigenverantwortung und das gemeinsame Handeln. Wir müssen Resultate erzielen und das auf die Art und Weise organisieren, dass die Mitarbeitenden gesund bleiben, ihr Leben organisieren können und ihre Schaffenskraft möglichst lange erhalten können.
Das könnte Sie auch interessieren:
-
Workation und Homeoffice im Ausland: Was Arbeitgeber beachten müssen
2.213
-
Essenszuschuss als steuerfreier Benefit
1.668
-
Vorlage: Leitfaden für das Mitarbeitergespräch
1.605
-
Probezeitgespräche als Feedbackquelle für den Onboarding-Prozess
1.460
-
Ablauf und Struktur des betrieblichen Eingliederungsmanagements
1.453
-
Krankschreibung per Telefon nun dauerhaft möglich
1.243
-
BEM ist Pflicht des Arbeitgebers
1.123
-
Checkliste: Das sollten Sie bei der Vorbereitung eines Mitarbeitergesprächs beachten
797
-
Das sind die 25 größten Anbieter für HR-Software
593
-
Modelle der Viertagewoche: Was Unternehmen beachten sollten
430
-
BBG 2025: Was ändert sich für die betriebliche Altersvorsorge?
03.12.2024
-
Wie Cybervetting die Personalauswahl unterstützen kann
03.12.2024
-
Diese Stars der HR-Szene sollten Sie kennen
02.12.2024
-
Die Inklusion in deutschen Unternehmen ist rückläufig
29.11.2024
-
Tipp der Woche: Mit Mitarbeitergesprächen Wertschätzung zeigen
28.11.2024
-
Konjunkturabschwächung trifft HR-Softwaremarkt
28.11.2024
-
So machen Sie Active Sourcing falsch
27.11.2024
-
Der deutsche Arbeitsmarkt wird lange auf viel Zuwanderung angewiesen sein
26.11.2024
-
Wie KI die Misserfolgsquote von Projekten in Deutschland verbessern kann
26.11.2024
-
Vorlage: Leitfaden für das Mitarbeitergespräch
21.11.2024