Gehälter von Vorstandsfrauen: Mehr als Angebot und Nachfrage
Werden Beschäftigte aufgrund des Geschlechts unfair behandelt, erregt dies zu Recht die Gemüter – beispielsweise, wenn es um den Gender Pay Gap geht. So ließ auch eine DPA-Meldung im vergangenen Herbst aufhorchen: "Frauen in Dax-Vorständen verdienen mehr als Männer", hieß es plötzlich in vielen Medien. Gestützt auf eine Analyse der Vergütungsberatung EY sprach das Manager Magazin gar von einer "Zeitenwende", weil Vorstandsfrauen nun erstmals auch im MDax und SDax mehr verdienten als Männer.
Problematik bei der EY-Analyse der Gehälter von Vorstandsfrauen
Doch bevor nun gefeiert wird, dass systemische Nachteile überwunden sind oder Frauen gar an ihren männlichen Peers vorbeiziehen, sollten die Daten genauer angeschaut werden: Die Analyse, die EY Mitte November 2020 vorlegte, beruht auf den Angaben zur Gesamtdirektvergütung von Vorständen aus den Indizes Dax, MDax und SDax in 2019. Tatsächlich stieg im SDax die Vorstandsvergütung der Frauen um historische 35 Prozent. Erstmals verdienten Vorstandsfrauen in allen drei Indizes durchschnittlich mehr als ihre männlichen Kollegen – bei den 30 Dax-Unternehmen entspricht dies einem Vergütungsvorsprung von 30.000 Euro jährlich.
Die Erklärung von EY für diese Entwicklung: Frauen im Vorstand seien gefragt und das erhöhe ihren Marktwert. Das scheint zunächst einleuchtend, denn zeitgleich zum Erscheinen der Studie wurde in Berlin über das inzwischen beschlossene Führungspositionengesetz verhandelt, das eine verbindliche Frauenquote vorsieht. Dazu passt auch die verhältnismäßig geringe Anzahl weiblicher Vorstandsmitglieder in allen drei Indizes.
Aber können wir bei einem so unausgewogenen Verhältnis von weiblichen und männlichen Vorstandmitgliedern überhaupt die Frage nach dem Gender Pay Gap stellen? Eine solche Kausalität lässt sich aufgrund der Daten nicht nachweisen. Schließlich könnte es beispielsweise auch sein, dass die Vorstandsfrauen deshalb bei der Vergütung aktuell die Nase minimal vorne haben, weil die Unternehmen, die sie beschäftigen, profitabler sind.
Wer in einer Vergütungsanalyse Durchschnittswerte darstellt, gewichtet alle Daten gleich. Der Durchschnittswert gibt an, wie hoch die Pro-Kopf-Vergütung über alle Vorstandsmitglieder ist – auch die der Ausreißer, die auf Sondereffekten beruhen. Eine solche Analyse ergäbe dann Sinn, wenn alle Vorstände gleichwertig wären, also die Gehälter kaum voneinander abweichen würden – unabhängig von der Unternehmensgröße, der Zusammensetzung des Vorstandsgremiums, der Branche oder dem Jahresergebnis. Um die Ursachen des Gehaltsplus der Dax-Vorstandsfrauen zu untersuchen, wäre also ein Blick auf die Verteilung der einzelnen Gehälter innerhalb der verschiedenen Indizes aussagekräftiger und relevanter.
Geringer prozentualer Gehaltsunterschied lässt keine valide Aussage zu
Die durchschnittliche Vergütung weicht im Dax lediglich ein Prozent ab, was in einer statistischen Betrachtung keine valide Aussage zulässt. Ein Unterschied von 30.000 Euro gemessen an einer Vergütung von 2,9 Millionen Euro scheint zwar zunächst deutlich, entspricht aber bei einem Jahresgehalt von 60.000 Euro einer männlichen Fachkraft nur einem Gehaltsplus von 600 Euro für die weibliche Kollegin.
Die Unterschiede scheinen in den schlechter vergütenden Unternehmen des MDax und SDax zwar markanter zu sein. Doch wie beurteilen wir Durchschnittswerte einer Gruppe, die lediglich sieben beziehungsweise fünf Prozent der Gesamtheit ausmacht und der entsprechend 93 beziehungsweise 95 Prozent in der Vergleichsgruppe gegenüberstehen? Auch hier ergibt sich kein Erkenntnisgewinn, wird nicht auch die Verteilung von Vergütungszahlungen jedes einzelnen Mitglieds betrachtet.
Hinzu kommt: Die jährlichen Bonuszahlungen, die zur Gesamtdirektvergütung zählen, hängen von den Zielen und dem Grad der Zielerreichung der einzelnen Vorstände ab. Also könnte die geringere durchschnittliche Bezahlung männlicher Vorstände auch in einer schlechteren persönlichen oder unternehmensbezogenen Performance begründet sein. Dafür müsste man nicht nur nach Indizes, sondern auch nach Unternehmensgrößen und Profitabilität differenzieren.
Analyse hat wenig Relevanz für die Ursachenforschung
Die Aussage, das Vergütungsplus von 23 Prozent der weiblichen Dax-Vorstandsmitglieder sei getrieben "von der prozentual geringeren Anzahl der Vorstandsfrauen in den niedriger vergütenden Indizes MDax und SDax" bedeutet im Wesentlichen eines: Frauen werden nicht per se besser vergütet, sie sind allenfalls seltener in schlechter zahlenden Dax-Unternehmen beschäftigt. Allein daraus lässt sich nicht ableiten, dass Frauen sich die besser vergüteten Posten aussuchen und die Angebote von Unternehmen im MDax und SDax dankend abwinken können. Nach der Allbright-Studie hatten 2020 nur 46 der 160 Unternehmen des Dax, MDax und SDax überhaupt den Plan oder Bedarf, mindestens einen der Vorstandsposten mit einer Frau zu besetzen.
Um andere Ursachen für die höheren Durchschnittsgehälter weiblicher Vorstandsmitglieder auszuschließen, ließe sich beispielsweise über einen Vergleich der gesamten Vorstandsgehälter der Unternehmen mit Vorstandsfrauen mit denen ohne Frauen im Vorstand klären, ob die besser dotierten Frauen bei Unternehmen beschäftigt sind, die generell höhere Vorstandsgehälter zahlen.
Den Analysen der Allbright Stiftung zufolge orientieren sich die Auswahlkriterien für die Besetzung eines Vorstandspostens immer noch stark an männlichen Erfolgsbiografien – wenn beispielsweise Vorerfahrung als Vorstandsmitglied erwartet wird. Dies erschwert den Zugang für den weiblichen Nachwuchs. Die Mangelsituation, die daraus entsteht, zur Ursache für Gehaltszuwächse zu erklären, zementiert die Verhältnisse. Im Sinne von Frauen, die in Führungsetagen sind oder danach streben, kann das nicht sein.
Wer komplexe Themen aufgreift, muss sich den Sachverhalten entsprechend stellen. Vergütungsdaten allein werden dabei keine abschließende Erklärung liefern können. Für das Thema Vergütung und Diversity in Führungspositionen heißt das, auch nach anderen möglichen Ursachen zu fragen. Wer anhand dünner Analyseergebnisse pauschale Aussagen trifft, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Wahl der Berechnungsmethode und die abgeleiteten Thesen dienten nur dazu, vorgefertigte Meinungen zu untermauern. Fest steht: Vergütung richtet sich nicht nur nach Marktpreisen.
Dieser Beitrag ist in Personalmagazin 4/2021 erschienen. Lesen Sie die gesamte Ausgabe auch in der Personalmagazin-App.
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