Das Dilemma der Vorstandsfrauen
Female Leadership hat in Deutschland mittlerweile zwei Gesichter. Das eine ist traurig, das andere fröhlich. Fangen wir mit dem traurigen an. Nachdem der Anteil und die Sichtbarkeit von Vorstandsfrauen zuletzt zugenommen hatte, gab es in den letzten Monaten herbe Rückschläge im weiblichen Top-Management: Mit Ana-Cristina Grohnert, Valerie Holsboer, Janina Kugel, Sylvia Matherat und Bettina Volkens haben prominente Vorstandsfrauen ihre Jobs, und die neue Arbeitswelt damit ihre wichtigsten Vorreiterinnen verloren. Diese Ereignisse schlugen hohe Wellen, auch in der Diversity-Debatte. Wiebke Köhler, Ex-Personalvorständin bei AXA, diagnostizierte, dass Vorständinnen zu wenig Gespür für Intrigen und Machtspiele hätten und plädierte damit dafür, dass Vorstandsfrauen sich stärker wie Vorstandsmänner verhalten sollen. Eine solche Unternehmenskultur sei zwar nicht wünschenswert, doch wer auf der obersten Ebene arbeiten wolle, müsse da mitmachen. Aber kann das wirklich die richtige Antwort sein?
Female Leadership: Frauen haben breiten Resonanzboden
Die fröhliche Seite von Female Leadership ist, dass die Themen Unternehmenskultur, Diversity, Vereinbarkeit sowie Frauenkarrieren mittlerweile einen breiten gesellschaftlichen Resonanzboden haben, manchmal fließen Investorengelder nur noch, wenn die "Gender Equality“ dokumentiert werden kann. Und tatsächlich haben sich die stillen Frauen-Netzwerke mittlerweile zu einer eigenen Industrie entwickelt: Plattformen und Messen haben den "Erfolgsfaktor Frau“ für sich entdeckt und versuchen Jahr für Jahr Win-Win-Begegnungen zwischen Arbeitgebern und weiblichen Talenten zu arrangieren. Auf dieser Basis haben Frauen im Geschäftsleben erstmals eine reelle Chance, ihre Erfolge systematisch sichtbar zu machen.
Männergeprägte Führungsetagen geraten unter Druck. Die großen Unternehmen sind verpflichtet, sich Zielvorgaben hinsichtlich Frauenanteilen auf Leitungsebene zu geben. In den Aufsichtsräten der großen Konzerne sitzen 30 Prozent Frauen – was allerdings ohne gesetzliche Frauenquote nicht so schnell möglich geworden wäre.
Vorstandsfrauen: Heldinnen-Status als Gefahr
Genau in diesem Jahrmarkt der Aufmerksamkeiten ist aber auch zu beobachten, dass Frauen allzu leichtfertig in einen Heldinnen-Status katapultiert werden. Einer Vorstandsfrau wird schnell das Etikett "New Work Pionier“ oder "Gender Diversity“ angeheftet – dafür soll sie nach außen stehen. Das ist meist wohlwollend von der Konzernspitze, den New Workern oder den Journalistinnen und Journalisten gemeint, birgt aber für so manche Führungsfrau auch Risiken. Zum einen wird aus einem Heldinnen-Status schnell ein Personenkult, der ausschließlich auf die Person, nicht aber auf die unternehmerische Leistung abzielt. Diese meist unbeabsichtigte Abkopplung kann unternehmensintern für starken Gegenwind sorgen. Zum anderen werden die Vorstandsfrauen damit gleichzeitig zur Projektionsfläche für eine veränderte Arbeitskultur. Manche Männer machen es sich damit einfach, müssen sie doch damit nicht selbst Verantwortung für Diversity übernehmen. Die Erneuerung der Arbeitskultur wird aber nur gelingen, wenn Männer und Frauen das Thema gemeinsam anpacken.
Führungsfrauen zwischen männlichen Ritualen und offener Aussprache
Diese Entwicklungen empfinden viele Vorstands- und Führungsfrauen als ein Dilemma. Sie erleben die männlichen Managementrituale und die heimlichen Diskriminierungen im Unternehmen, scheuen aber davor zurück, Diversity-Themen offen anzusprechen, um von den Männern nicht in eine Ecke gestellt zu werden. Das ist eine Defensivstrategie, die selten aufgeht.
Wirkungsmächtiger erscheint uns eine Offensivstrategie, bei der Diversity souverän und selbstverständlich als ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Geschäft herausgestellt wird. Frauen verantworten in Wahrheit weitaus mehr geschäftliche Erfolge, als das intern und extern sichtbar wird. Das gilt es noch deutlicher herauszustellen.
Führungsfrauen brauchen mehr geschäftlichen Rückhalt als nur die Genehmigung der nächsten Diversity-Initiative, denn sie sind Vorbilder für die Management-Ressource der Zukunft. Frauen und Männer brauchen dringend diese Vorbilder, die einen neuen Führungsstil prägen, die eine Extra-Meile gehen, um an ihr Ziel zu gelangen und die eine offene und ehrliche Kommunikation an den Tag legen. Diversity tut (noch) nicht weh und sorgt für eine positive Unternehmenskultur, die am Ende auch auf das Reputationskonto des CEO einzahlt.
Vorstandsfrauen brauchen Verbündete
Wenn Vorstandsfrauen eine neue, diverse Unternehmenskultur voranbringen wollen, finden sie schnell und einfach Unterstützerinnen unter den Beschäftigten. Manchmal haben Sie Scheu, Unterstützung von unten zu nutzen, was aber längst nicht mehr zeitgemäß ist - und auch einen Machtfaktor ignorieren würde. Auch die Öffentlichkeit und das Employer Branding lassen sich für Diversity mobilisieren, was in einer Offensivstrategie gezielt genutzt werden kann. Am schwierigsten ist es aber meist, Unterstützung des CEO oder der Vorstandskollegen zu bekommen, die über ein Lippenbekenntnis hinaus geht. Die Männer machen es sich oft einfach, halten sich raus, weil sie meinen, dass es für sie dabei nichts zu gewinnen gibt, oder sie sagen "der Business Case ist nicht erkennbar“.
So hart es klingt, aber für die meisten männlichen Vorstände bekommt das Thema Diversity als Wert- und Wachstumstreiber erst dann Relevanz, wenn ihre Töchter ins Arbeitsleben eintreten oder Nahestehende von Diskriminierungen erzählen. Die bittere Wahrheit ist auch: Die geringe Relevanz, die dem Thema von Männern zugestanden wird, ist eine der Hauptursachen, warum Diversity in den Unternehmen so schleppend vorankommt.
Pionierinnen müssen mit Rückschlägen rechnen
Pionierinnen, die sich in puncto neue Arbeitskulturen weit aus dem Fenster wagen, müssen jederzeit mit Rückschlägen rechnen. Das gehört zur Realität einer Führungsperson. Wenn Frauen aus Vorstandsämtern ausscheiden, ist das - wie bei Männern - ein ganz normaler Vorgang. Wenn das auf prominente Vorstandsfrauen wie beispielsweise Janina Kugel (fünf Jahre im Vorstand) oder auch Bettina Volkens (sechs Jahre im Vorstand) zutrifft, formiert sich manchmal schnell kollektive Empörung, treten doch Heldinnen ab. Dabei helfen diese Shitstorms, die nach immer gleichem Muster agieren, herzlich wenig. Was bleibt, und das ist das Wichtigste, sind ihre Errungenschaften für das Unternehmen sowie ihre vorbildlichen Leistungen für das Female Leadership.
Frauenführung mit Strahlkraft
Die Frauenanteile auf Vorstandsebene in den größten Unternehmen lag 2019 erstmals über zehn Prozent. Das zeigen die drei führenden Studien von EY, DIW und Fidar, die im Jahr 2019 erstmals eine "höhere Dynamik“ feststellten. Diese ist besonders in Unternehmen zu spüren, in denen es eine gesetzliche Frauenquote im Aufsichtsrat gibt, die - wie vom Gesetzgeber erwartet - Strahlkraft auf die Besetzung von Vorständinnen ausübt. Das ist eine gute Botschaft. Nur mit Führungsfrauen werden die Unternehmen in der Lage sein, den Mittelbau, also die "female talent pipeline“, zu füllen und fortzuentwickeln.
Balance in der Positionierung finden
Mit Jennifer Morgan wurde bei SAP die erste Frau Co-CEO eines Dax-Konzerns, die als Role Model für einen souveränen Umgang mit dem Thema Diversity dienen kann. Während in der deutschen Öffentlichkeit ihre Berufung als Meilenstein gefeiert wurde, betrachtete sie das als Selbstverständlichkeit. "Erst Journalisten haben mich darauf hingewiesen, dass ich die erste weibliche CEO bin“, sagte die Amerikanerin, der Diversity ein wichtiges Anliegen ist: "Mit meiner Berufung hat SAP die Messlatte für Frauenkarrieren in Deutschland angehoben. Das ist eine Ehre, aber der Maßstab ist immer noch zu niedrig. Ich werde versuchen, ihn deutlich höher zu legen“, antwortete sie auf Reporterfragen, um dann wieder auf geschäftliche Herausforderungen zu sprechen zu kommen. Sie hat intuitiv die richtige Balance gefunden: Sie treibt ganz selbstverständlich das Thema Female Leadership voran, nimmt auch die Vorstandskollegen in die fachliche Verantwortung und positioniert sich aber auch mit anderen Themen. Das ist für jede Vorstandfrau möglich, auch für Personalvorständinnen.
Silvia Hänig ist strategische Kommunikationsberaterin mit dem Schwerpunkt Führungskommunikation ( www.i-kom.org). Reiner Straub ist Herausgeber des Personalmagazins.
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