Green HR: Prof Müller-Camen im Interview

Mit "Fridays for Future" wächst die Sensi­bi­lität für Klima­schutz. Was können Personal­manager dazu bei­tra­gen, umwelt­freundlicher zu wirt­schaften? Das erläutert Professor Michael Müller-Camen, der an der Wirt­schafts­universität Wien zu dem Thema forscht. 

Haufe Online Redaktion: Herr Müller-Camen, einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist das Thema "Green HRM". Was bedeutet das?

Michael Müller-Camen: Der britische Forscher Douglas Renwick hat 2008 mit Kollegen den Begriff in die Welt gesetzt. Green HRM heißt so viel wie ökologisches Personalmanagement. Ziel ist es, die Mitarbeitenden zu einem Verhalten anzuregen, das betriebliche Entscheidungen aktiver an Umweltbelangen ausrichtet. Im Sinne der Triple Bottom Line, die sich entlang der sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit bewegt, fokussiert Green HRM den Umweltaspekt. Es geht darum, alle Personalfunktionen von Recruiting über Personalentwicklung und Performance Management bis hin zum Employer Branding so zu organisieren, dass sie die Umweltziele eines Unternehmens unterstützen. 

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Mobilitätslösungen dominieren

Haufe Online Redaktion: Inwiefern ist Green HRM nur ein theoretisches Konstrukt oder in der Praxis schon als Thema angekommen?

Müller-Camen: Wir haben als Teil unserer Forschung Nachhaltigkeitsberichte deutscher, amerikanischer, indischer, japanischer und chinesischer Unternehmen analysiert. Dabei lässt sich erkennen, dass sich viele Firmen mit dem Thema beschäftigen, allerdings den Begriff Green HRM dafür nicht verwenden. In den Berichten stellen Unternehmen etwa dar, was sie tun, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, welche Rolle die Mitarbeitenden dabei spielen und wie sie diese für Umweltschutz sensibilisieren. Daraus ist jedoch nicht ersichtlich, wer im Unternehmen bei dem Thema Verantwortung trägt, ob das HR, CSR oder das Umweltmanagement ist.

Haufe Online Redaktion: Welche Schwerpunkte erkennen Sie dabei?

Müller-Camen: Im deutschsprachigen Raum dominieren Mobilitätslösungen. Da geht es beispielweise darum, wie Unternehmen Dienstwagen weniger attraktiv machen können, indem sie Freifahrscheine für den öffentlichen Nahverkehr anbieten oder Fahrgemeinschaften fördern. In den USA herrscht eine starke Award-Kultur vor. Da gibt es Auszeichnungen für Teams, die sich besonders umweltfreundlich verhalten, oder für Beschäftigte, die die beste Umweltidee haben. Im asiatischen Raum ist Employee Volunteering sehr wichtig. Mitarbeitende engagieren sich an speziellen Tagen für die Umwelt, pflanzen zum Beispiel Bäume oder beteiligen sich an Müllsammelaktionen für die Umwelt. 

Green HRM als Kostenfaktor

Haufe Online Redaktion: Erlebt ökologisches Personalmanagement nun mit Fridays for Future einen Boom?

Müller-Camen: Wir haben an der WU ein internationales Forschungsprojekt, in dem es um das ökologische Verhalten der Mitarbeitenden geht: Wir untersuchen, wie das Verhalten in Teams und die Haltung der Vorgesetzten das umweltbewusste Handeln der Beschäftigten beeinflussen. Dafür führen wir zunächst eine Mitarbeiterbefragung durch und vertiefen in qualitativen Interviews Spannungsfelder und Zielkonflikte, die dabei auftauchen. Als wir Ende 2016 das Forschungsprojekt aufsetzten, hatten wir große Schwierigkeiten, Unternehmen für eine Teilnahme zu begeistern. Das ändert sich gerade. Ein Unternehmen nannte uns sogar explizit Fridays-for-Future-Demos vor der eigenen Konzernfiliale als Grund, bei dem Forschungsprojekt mitzumachen. Aber ansonsten wird Green HRM vielfach noch als Kostenfaktor gesehen und der wissenschaftlich fundierte Business Case fehlt noch.

Haufe Online Redaktion: Hat Green HRM überhaupt eine Chance, solange finanzielle Ziele in Unternehmen an oberster Stelle stehen?

Müller-Camen: Viele Unternehmen unterstützen umweltfördernde Aktivitäten nur dann, wenn sie sich finanzielle Vorteile davon versprechen – ein nachhaltig produziertes Produkt sollte sich auch besser verkaufen. Wenn sich Unternehmen bewusst "grün" positionieren, kommt das nicht nur der Umwelt zugute, sondern oft vor allem dem Unternehmen selbst. Der Grat zum Greenwashing ist allerdings schmal. Denn wenn wir Beschäftigte fragen, wie wichtig ihnen Umweltschutz ist und inwiefern sie sich am Arbeitsplatz für die Umwelt engagieren, erzählen sie uns oft, dass finanzielle Ziele dem entgegenstehen und dass ihnen die Zeit fehlt, sich Gedanken darüber zu machen. Hinzu kommen auch oft noch Interessenskonflikte mit persönlichen Fragen.  

Haufe Online Redaktion: Können Sie ein konkretes Beispiel für Interessenskonflikte mit persönlichen Zielen nennen?

Müller-Camen: Viele Unternehmen haben mittlerweile Reiserichtlinien, die vorsehen, dass Mitarbeitende erst ab einer bestimmten Kilometerzahl das Flugzeug nehmen sollen. Das erhöht manchmal die Reisezeit deutlich. Zudem lässt sich im Zug durchaus auch arbeiten, was zu Mehrarbeit führt. Da ist die Frage, ob das in die persönliche Lebensplanung passt – die Zeit fehlt vielleicht manchem für die Familie. Und man kann auch kritisch fragen, ob das Unternehmen tatsächlich die Umwelt schonen möchte oder darin nur eine Kostenmaßnahme sieht. 

In solchen Spannungsfeldern spielen Führungskräfte und Teamkollegen eine besondere Rolle. Hier kann möglicherweise ein gewisser sozialer Druck entstehen, sich umweltfreundlicher zu verhalten. Ökologisch bewusste Mitarbeitende können ein Vorbild sein, gerade aktuell durch Fridays for Future. Derartige Mechanismen können die ökologische Kompetenz der Beschäftigten positiv beeinflussen.

Ökologische Kompetenzen erwerben

Haufe Online Redaktion:  Was verstehen Sie unter ökologischer Kompetenz genau? Eine ökologische Haltung, die die Unternehmen erwarten?

Müller-Camen: Das hat nichts mit Haltung zu tun, sondern es geht um die Fähigkeit, ökologisches Handeln im Unternehmenskontext konkret umzusetzen. Ökologische Kompetenz beginnt mit Bewusstseinsbildung, etwa indem Unternehmen konkrete Beispiele für Umweltschutz vorstellen, die Mitarbeitende einfach in ihren Alltag integrieren können. In Green HRM spielt alles mit hinein, bei dem Beschäftigte einen Beitrag für Klimaschutz leisten können, zum Beispiel auch die Abfalltrennung. 

Haufe Online Redaktion: Inwiefern führen Unternehmen dazu Trainings für Umweltkompetenz durch, ähnlich wie im betrieblichen Gesundheitsmanagement oder im Diversity Management?

Müller-Camen: Im deutschsprachigen Raum gibt es solche Trainings schon länger, etwa zur Einhaltung von gesetzlichen Umwelt-Vorgaben. Was neu ist – und da ist das Diversity Management eine gute Parallele: Nun geht es häufig auch in die Richtung, dass Mitarbeitende ihr ökologisches Bewusstsein schärfen.

Haufe Online Redaktion: Damit greift ein Unternehmen aber in die private Haltung von Beschäftigten ein. Sollte das Aufgabe von Arbeitgebern sein?

Müller-Camen: Es ist sicher nicht die Aufgabe von Unternehmen, Mitarbeitende zu erziehen. Aber jedes Unternehmen hat bestimmte Ziele und es ist völlig legitim, dass diese auch für die Beschäftigten gelten. Wenn es um ökonomische Ziele geht, etwa Quartalsziele um x Prozent zu steigern, hinterfragt das niemand. Warum sollte das bei der ökologischen Ausrichtung anders sein? Viele Branchen wie etwa die Automobilindustrie erleben aktuell starke Kritik, weil sie die ökologische Transformation noch nicht geschafft haben. Was liegt da näher als die Mitarbeitenden stärker auf die Umweltziele einzuschwören?

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Haufe Online Redaktion: Sie haben auch ökologisches Recruiting angesprochen. Ist die explizite Suche nach umweltbewussten Mitarbeitenden nicht diskriminierend? 

Müller-Camen: In Stellenausschreibungen können Arbeitgeber betonen, dass sie sich für die Umwelt einsetzen. Im Einstellungsgespräch prüfen sie auch technische und soziale Kompetenzen. Da können sie ebenso eine Passung zum Ökologiegedanken abklopfen. Ich sehe da nichts Verwerfliches. 

Umweltziele und ökologische Boni

Haufe Online Redaktion: Inwiefern definieren Unternehmen klare Umweltziele und verankern diese im Performance Management?

Müller-Camen: Das geschieht bisher relativ selten, aber es gibt einige Vorreiter. So gibt etwa das NASDAC Unternehmen Flex Ltd. in Unternehmenspräsentationen an, dass es Manager auch an Nachhaltigkeitszielen misst. BMW beschreibt im Sustainable Value Report 2018, dass ökologische Ziele, beispielsweise die Reduktion von CO2-Emissionen, an Bonuszahlungen gekoppelt sind. Bei Continental galt dies 2018 noch ausschließlich für Energie- und Umweltmanager sowie Betriebsleiter. 

Haufe Online Redaktion: Aus der Forschung ist bekannt, dass extrinsische Motivation die intrinsische verdrängen kann. Halten Sie vor dem Hintergrund eine ökologische Bonuszahlung für sinnvoll?

Müller-Camen: Boni haben ja immer noch eine starke Lenkungsfunktion, wenn es darum geht, ökonomische Ziele zu erreichen. Wer ökologische Ziele in Leistungsbezahlungssysteme einbezieht, kann hier ein kleines Korrektiv setzen. Grundsätzlich ist es aber natürlich besser, wenn Mitarbeitende intrinsisch motiviert sind und sie beispielsweise durch Bewusstseinsbildung selbst ökologisches Verhalten anstreben und fördern möchten.

Tipps für Green HRM

Haufe Online Redaktion: Welche Tipps haben Sie für Unternehmen, die mit Green HRM starten möchten?

Müller-Camen: Unternehmen sollten zunächst den Status quo erheben: Wie sieht das ökologische Verhalten der Beschäftigten aktuell aus? Sind manche Teams umweltbewusster als andere und hängt das mit dem Verhalten der Vorgesetzten zusammen? Und welche Handlungskonflikte erleben die Mitarbeitenden? Ausgehend davon können Personalverantwortliche dann Instrumente für Green HRM entwickeln. 

Viele Arbeitgeber, die sich für Nachhaltigkeit stark machen, verpflichten sich auch der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), einem ethischen Wirtschaftsmodell, das 2010 in Österreich entstand und inzwischen europaweit und darüber hinaus Anhänger hat. Während Nachhaltigkeitsberichte gemäß der Global Reporting Initiative vor allem technische Details zu ökologischen Fragen enthalten sollen, sehen Gemeinwohlberichte laut Ecogood, der GWÖ-Initiative, auch ökologische Werte vor. Der Begriff Green HRM wird dort zwar nicht genutzt, doch es geht um nichts anderes, nämlich wie Beschäftigte sich stärker einem nachhaltigen Sinn und Zweck des Unternehmens widmen können. Es gibt immer mehr Unternehmen, die eine Gemeinwohl-Bilanz veröffentlicht haben, insgesamt sind es schon rund 500 – darunter beispielsweise die Sparda-Bank München oder Lilly Deutschland. Ähnliche internationale Initiativen sind Conscious Capitalism oder B Corps (Benefit Corporations). 


Die ungekürzte Fassung ist zuvor in Personalmagazin 02/2020 erschienen. Lesen Sie die gesamte Ausgabe auch in der Personalmagazin-App.