Nachhaltig trotz Wachstum
Personalmagazin: In Ihrem Leitbild steht, Jobrad wolle "Nachhaltigkeit im unternehmerischen Handeln leben". Nun wird Nachhaltigkeit unterschiedlich definiert – in vielen Unternehmen geht es dabei allein um klima- und ressourcenschonendes Verhalten, gerade in den USA ist Nachhaltigkeit ganz häufig auch mit der unternehmerischen Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Mitarbeitern verbunden. Wie definieren Sie bei Jobrad Nachhaltigkeit?
Andrea Kurz: Wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, bedenken wir immer beide Aspekte. Schon der Gründungsimpuls von Jobrad hat einen ganz eindeutigen Nachhaltigkeitsaspekt: Unser Kerngeschäft – Menschen aufs Rad bringen – ist ein Beitrag für mehr Mitarbeiter:innen-Gesundheit und zum Umwelt- und Klimaschutz. Und auch unsere eigenen Beschäftigten standen von Anfang an stark im Mittelpunkt. Zwar hatte Ulrich Prediger, als er das Unternehmen 2008 gründete, Green HR so noch nicht vor Augen – es ging aber von Anfang an um die Frage, wie der Fokus auf den Menschen, also Kund:innen und Mitarbeiter:innen gelegt werden kann. [Anm. d. Red.: Andrea Kurz legt großen Wert auf geschlechtergerechte Sprache. Den Gender-Doppelpunkt hat sie im Interview explizit ausgesprochen. Deshalb haben wir das auch so verschriftlicht.]
Jobrad: Wie im Unternehmen Wert auf mehr Nachhaltigkeit gelegt wird
Personalmagazin: Wie sieht das in der Praxis aus?
Kurz: Ich starte noch mal bei unserer Dienstleistung, die wir in die Welt bringen – sie ist unser wesentlicher Beitrag für mehr Nachhaltigkeit. Wir wissen, dass die Menschen, wenn sie unsere Kund:innen werden, damit oft wirklich vom Autofahren aufs Fahrradfahren umsteigen. In der aktuellen Saison hatten wir vermehrt Tage, an denen mehr als tausend Menschen neu auf ihr Jobrad aufgestiegen sind. Sie alle leisten durchs "Dienstradeln" einen wichtigen Umweltbeitrag.
Personalmagazin: Und Ihr Beitrag als Unternehmen?
Kurz: Wir arbeiten als Unternehmen klimaneutral, haben unsere Emissionen erfasst und reduzieren diese auch regelmäßig. Den Teil, den wir nicht vermeiden können, kompensieren wir rückwirkend bis zur Gründung. Unser Gebäude haben einen hohen Nachhaltigkeitsstandard. Unsere gerade erfolgte Zertifizierung mit dem Goldstandard als fahrradfreundlicher Arbeitgeber zeigt uns quasi nach innen, was wir natürlich auch nach außen geben wollen. Das schlägt den Bogen zu unserer Personalarbeit: Sie basiert auf dem Gedanken unserer Gründer, dass es für das Commitment und Engagement unserer Mitarbeiter:innen essenziell ist, wie wir miteinander umgehen. Transparenz ist beispielsweise ein wichtiger Wert bei uns. Da die sehr wichtigen Begegnungen jetzt persönlich nicht mehr stattfinden können, finden wir gerade Alternativformate. So bieten wir allen Mitarbeiter:innen einmal pro Woche eine virtuelle Inforunde, in der die Geschäftsleitung über aktuelle Unternehmensthemen berichtet, Fragen beantwortet und Feedback entgegennimmt. Auch zur Weiterentwicklung bieten wir unseren Beschäftigten viele Möglichkeiten. Gerade sind wir in der glücklichen Situation, dass unser Wachstum den Mitarbeiter:innen auch viele Perspektiven gibt, sich innerhalb der Organisation gut weiterzubringen, sowohl hinsichtlich neuer Aufgaben und Themen als auch in neuen Funktionen.
Für uns ist schon im Rekrutierungsprozess sehr wichtig, dass wir eine Identifikation mit unserem Leitbild spüren."
Personalmagazin: Wie halten Sie es mit den ökologischen Zielen des Unternehmens? Werden die Mitarbeitenden auch hier weiterentwickelt?
Kurz: Für uns ist schon im Rekrutierungsprozess sehr wichtig, dass wir eine Identifikation mit unserem Leitbild spüren. Konkret: Passt eine Person sowohl fachlich wie kulturell zu uns? Passt sie zu dem, wie wir als Organisation miteinander arbeiten wollen, zu dem, was wir in die Welt bringen wollen? Und tatsächlich lesen wir oft in Bewerbungen, dass das auch ein Teil unserer Anziehungskraft ist. Das heißt, wer als Mitarbeitende:r zu uns kommt, hat schon ein hohes Nachhaltigkeitsinteresse. Gleichzeitig ist Nachhaltigkeit auch Thema in der Organisation. In den bereits erwähnten Mitarbeiter:innenveranstaltungen wird nicht nur kommuniziert, dass wir jetzt fahrradfreundlicher Arbeitgeber sind. Wir diskutieren auch, wie wir uns als Unternehmen darüber hinaus nachhaltig aufstellen können. Unseren Nachhaltigkeitskompass erarbeiten wir mit Kolleg:innen aus allen Bereichen der Organisation. Das Thema Nachhaltigkeit ist also etwas, was uns im Arbeitsalltag immer wieder begegnet.
Beschäftigte beteiligen sich an Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie
Personalmagazin: Sie haben gerade die erste Nachhaltigkeitsstrategie erstellt. In welchem Gremium ist diese entstanden?
Kurz: Mitgestalten ist für uns ein hoher Wert. So war es uns auch ein Anliegen, dass unsere Strategie zur Nachhaltigkeit nicht nur die Geschäftsführung und die Nachhaltigkeitsexpert:innen allein erarbeiten, sondern dass die Frage nach den Schwerpunkten in der Breite gestellt wird und alle Mitarbeiter:innen zu Wort kommen. Letztlich ist die Strategie ein Spiegel unserer Mitarbeiterschaft und der Menschen aus den ganz unterschiedlichen Bereichen, die da mitgearbeitet haben.
Personalmagazin: Wie sind Sie dabei vorgegangen, um die Mitarbeitenden einzubeziehen?
Kurz: Zunächst gab es die Möglichkeit für alle aus dem Unternehmen, sich für ein Nachhaltigkeitsstrategieprojekt zu bewerben. Bei der Zusammensetzung des Teams haben wir dann noch mal ziemlich stark auf Diversität geschaut, wir wollten eine gute Mischung nicht nur der Geschlechter, sondern auch der Altersgruppen und der unterschiedlichen Dauer der Betriebszugehörigkeit, sodass sich möglichst viele Perspektiven einbringen konnten. Wir sind so in einen sehr offenen Prozess eingetreten, der aufgezeigt hat, wo wir schon gut sind und wo wir uns noch verbessern möchten.
Personalmagazin: Gab es denn dabei auch neue Anregungen, die Sie vielleicht sogar überrascht haben?
Kurz: Überrascht eher nicht. Da wir eine sehr nachhaltigkeitsinteressierte Belegschaft haben, gibt es aus meiner Perspektive nicht wirklich ein Thema, über das nicht vorher schon mal in irgendeinem Kontext gesprochen wurde. Aber nun konnten wir uns fokussieren und uns konkrete Ziele setzen, bei denen auch geklärt wurde, was als nächstes angegangen wird.
Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie bei Jobrad
Personalmagazin: Welche Ziele haben Sie nun in Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie verankert?
Kurz: Unser Nachhaltigkeitskompass hält die wesentlichen Themen fest, an denen wir arbeiten wollen. Dabei orientieren wir uns am Selbstverständnis der Gruppe – konkret an der Vision, Unternehmensstrategie, dem Leitbild sowie der Markenpositionierung - und an den Erwartungen unserer Stakeholder: den Arbeitgebern beziehungsweise Kunden, den Fachhändlern und unserer Mitwelt. Maßgeblich ist, wo wir als Unternehmen die größten Hebel für positive Veränderungen haben. Ein wichtiges Ziel ist etwa, die Zufriedenheit unserer Mitarbeiter:innen auf dem aktuellen, sehr hohen Niveau zu halten, ein anderes Ziel, herausragende Kundenerlebnisse mit Nachhaltigkeitsbezug zu schaffen wie Inspektionen zur langen und sicheren Nutzbarkeit der Jobräder.
Für uns ist es nichts Ungewöhnliches, dass Führungsaufgaben in Teilzeit wahrgenommen werden."
Personalmagazin: Schaut man sich das Feedback Ihrer Mitarbeitenden an, beispielsweise auf dem Arbeitgeberbewertungsportal Kununu, zeigt sich ein sehr positives Stimmungsbild. Eine der wenigen Sachen, die kritisiert werden, ist die Vierzig-Stunden-Woche. Wäre das nicht auch im Sinne einer nachhaltigen Personalführung, von der Vierzig-Stunden-Woche wegzugehen oder flexiblere Arbeit anzubieten?
Kurz: Wir haben als Standard, wenn jemand Vollzeit arbeiten möchte, eine Vierzig-Stunden-Woche, das stimmt. Trotzdem bieten wir sehr, sehr viele Möglichkeiten zur Flexibilisierung. So gab es schon vor Corona die Möglichkeit, vom Homeoffice aus zu arbeiten. Viele Mitarbeiter:innen haben das schon damals gemacht. Jetzt sind das natürlich noch einmal deutlich mehr. Und wir halten es für möglich, dass die Quote nach Corona noch mal ansteigen wird. Für uns ist es auch nichts Ungewöhnliches, dass Führungsaufgaben in Teilzeit wahrgenommen werden, ich denke, auch das ist längst nicht in jeder Organisation so. Gleichzeitig muss man aber auch bedenken, dass wir momentan sehr stark im Wachstum begriffen sind und sehr viele Kapazitäten für den Aufbau benötigen.
Verbindung von Wachstum und Nachhaltigkeit
Personalmagazin: Jobrad ist seit seiner Gründung 2008 als kleines Start-up mit einer Handvoll Mitarbeitenden enorm gewachsen. Lässt sich denn bei einem so starken Wachstum der Ursprungsgedanke von Nachhaltigkeit in allen Bereichen und insbesondere auch in der Mitarbeiterführung beibehalten?
Kurz: Als ich im Juli 2019 zu Jobrad kam, waren wir 250 Mitarbeiter:innen, dieses Jahr haben wir die Zahl 500 überschritten. Von daher kann man das schon ein sehr deutliches Wachstum in sehr kurzer Zeit nennen. Inwieweit man bei diesem Wachstum seine ursprünglichen Ideen mitnimmt, ist, glaube ich, auch eine Haltungsfrage. Unser Gründer hat die Haltung geprägt, dass Menschen motivierter und zufriedener sind, wenn sie ein hohes Commitment haben und die Hintergründe verstehen. Deshalb ist auch das Thema "Sinn" einer der fünf Schwerpunkte in unserem Leitbild.
Personalmagazin: Wie zeigt sich das konkret?
Kurz: Immer schon war uns wichtig, intern sehr frühzeitig und proaktiv zu kommunizieren und sehr viel Raum für Begegnung und Kulturthemen zu schaffen. Mit dem Wachstum haben sich unsere etablierten Formate weiterentwickelt, es gibt sie aber immer noch. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Jobrad hatte vor vielen Jahren einen jährlichen Kulturtag eingeführt, also einen Tag, an dem sich alle Mitarbeiter:innen nur dem Thema Kultur widmen. Zu dem Zeitpunkt, als ich ins Unternehmen eingetreten bin, gab es dann schon eine Kulturwoche. Und vergangenes Jahr, während des Corona-Shutdowns im Herbst, haben wir einen virtuellen Kulturmonat daraus gemacht, mit vielen digitalen Formaten von Mitarbeiter:innen für Mitarbeiter:innen. Die Frage, wie sich Dinge verändern müssen, damit sie trotz Wachstum noch greifbar sind für alle, ist spannend und herausfordernd. Bisher ist uns das ganz gut gelungen mit der Haltung, dass der Fokus und die Ausrichtung bleiben und sich nur das, was wir dafür tun, vielleicht verändert.
Personalmagazin: Heißt das, Sie haben sich noch etwas von der Start-up-Mentalität bewahrt?
Kurz: Genau. Was wir uns beispielsweise auch bewahrt haben, ist die Geschwindigkeit, mit der wir auf Veränderungen reagieren. Auch hier kann ich ein Beispiel aus der Pandemiesituation nennen. Im ersten Lockdown war ja der Umgang mit dieser Situation insbesondere für Eltern sehr herausfordernd. Wir haben damals sehr schnell – lange bevor es dazu gesetzliche Regelungen gab – bezahlte Freistellungen für Eltern ermöglicht. Das zeigt, dass auch große Organisationen, wenn es darauf ankommt, wie ein kleines Start-up handeln können.
"Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit schließen sich gerade in unserer Branche überhaupt nicht aus, sondern ergänzen sich positiv." - Andrea Kurz, Geschäftsführerin von Jobrad (@dienstfahrrad) zur strategischen Ausrichtung #Nachhaltigkeit #Klimaschutz
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Personalmagazin: Tatsächlich könnten bei größeren Unternehmen, die ja auch die Arbeitsplätze von wesentlich mehr Mitarbeitern sichern müssen, eher die wirtschaftliche Ziele in den Vordergrund rücken, nachhaltige Ziele dabei etwas zurücktreten. Wie können Sie da eine Balance halten?
Kurz: Glücklicherweise sehe ich das so, dass sich gerade in unserer Branche Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit überhaupt nicht ausschließen und sogar positiv ergänzen. Ich erlebe oft bei unseren Beschäftigten ein großes Mitdenken von nachhaltigen und wirtschaftlichen Interessen, was ich sehr schön finde. Das Thema "Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit gemeinsam gedacht" ist bei uns ziemlich etabliert. Das liegt auch daran, dass unsere Dienstleistung, die wir in die Welt bringen, ja letztendlich aus einem großen Nachhaltigkeitsinteresse heraus geboren ist.
Personalmagazin: Als Sie in das Unternehmen kamen, war der Nachhaltigkeitsgedanke schon prägend für Jobrad. War das für Sie bei der Stellenwahl entscheidend?
Kurz: Mich leiten zwei Aspekte, wenn ich mich für einen Arbeitgeber entscheide. Zum einen: Was bringt die Organisation in die Welt? Bei Jobrad konnte ich mich mit dem nachhaltigen Produkt beziehungsweise der Dienstleistung gut identifizieren, das ist für mich wesentlich. Der zweite Aspekt ist: Was ist der Organisation wichtig? Wie geht sie mit ihrer Mitwelt um? Ich habe, wie wohl alle Bewerber:innen es heute tun, mich vorab über Jobrad informiert und mich mit dem Leitbild auseinandergesetzt. Dieser Wertekanon hat sich auch in den Gesprächen widergespiegelt. Und ich konnte schnell feststellen, dass er nicht nur von den Gründern vorgegeben ist, sondern von den Beschäftigen gemeinsam entwickelt wurde und im Alltag gelebt wird. Letztendlich war für mich dieser breite Blick auf das Thema Nachhaltigkeit entscheidend.
Personalmagazin: Wie prägen Sie das nun in der Geschäftsführung? Gibt es bestimmte Aspekte, die Sie beim Aufstieg von der Personalleitung in die Geschäftsführung noch setzen konnten?
Kurz: Natürlich kann ich mich mit meinem HR-Background gut in die Geschäftsführung einbringen. Ich konzentriere mich stark auf Personal- und Organisationsentwicklungsthemen, weil diese mir besonders am Herzen liegen. Fragen wie "Wie entwickeln wir uns als Organisation im Wachstum weiter?" und "Wie sieht eine organisatorische und auch eine personelle Skalierungsfähigkeit aus?" habe ich sehr im Fokus. Organisationen sind für Menschen da, das ist mir ein wichtiges Anliegen. Und neben der Verantwortung für Mensch und Organisation kommt jetzt in der Geschäftsführung eben auch noch die Verantwortung für Kundenservice und operative Belange hinzu – da stehen unsere Kund:innen ganz stark im Vordergrund. Letztlich ist unser Anspruch, unsere Mitarbeiter:innenzufriedenheit aufrechtzuerhalten und gleichzeitig einen verantwortungsvollen und guten Umgang mit unseren Stakeholdern und der Mitwelt zu pflegen. Wir wollen uns als Organisation auch daran messen lassen, welchen Beitrag wir über unser Kerngeschäft hinaus leisten.
Zur Interviewpartnerin: Andrea Kurz ist 2019 bei Jobrad als Personalleiterin eingestiegen. Im August 2020 wechselte sie in die Geschäftsführung und ist nun verantwortlich für den Bereich Mensch und Organisation, für den Kundenservice und das Thema Operations.
Das Interview ist Teil des Schwerpunkts in Personalmagazin 7/2021 zum nachhaltigen Wirtschaften und Green HRM. Lesen Sie die gesamte Ausgabe auch in der Personalmagazin-App.
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