"Moral sollte man nicht an der Bürotüre oder am Fabriktor abgeben müssen"
Personalmagazin: Frau Weibel, Sie und Ihr Team haben verschiedene Bewertungsinstrumente unter die Lupe genommen, die von sich behaupten, gute Unternehmen auszuzeichnen. Es sind Rankings, Awards und Zertifikate darunter. Wie haben sie diese Mischung ausgewählt?
Antoinette Weibel: Wir haben uns die Bewertungsinstrumente angeschaut, die in irgendeiner Form versprechen, dass sie gute Unternehmen auszeichnen. Die Recherche erfolgte systematisch nach Kennwörtern, aber um wirklich alle Auszeichnungen aufzuspüren, ist der Markt der Bewertungsindustrie viel zu unübersichtlich.
Gute Bewertungsinstrumente von schlechten unterscheiden
Personalmagazin: Der Markt an Arbeitgebersiegeln und Awards war schon immer unübersichtlich. Wie kann man gute Bewertungsinstrumente von schlechten unterscheiden?
Weibel: In unserer wissenschaftlichen Analyse haben wir uns auf die Messgüte konzentriert. So beschränkt sich etwa das Top 100 Ranking CSR bei der Stichprobenauswahl auf Studierende und Hochschulabsolventen – fragt also eigentlich nur das Image der Unternehmen bei dieser Gruppe ab. Goodwashing ist also nicht ausgeschlossen. Bei Kununu werden vor allem ehemalige und verärgerte Mitarbeitende oder vom Unternehmen "beauftragte" antworten. Der Ausgang einer solchen Gegenüberstellung ist in erster Linie vom PR-Geschick der Unternehmen abhängig.
Personalmagazin: In der Liste der von Ihnen analysierten Bewertungsinstrumente sind einige bekannte Namen, von denen Sie fünf als verbesserungswürdig einstufen: die 100 innovativsten und nachhaltigsten Familienunternehmen, Deutscher Nachhaltigkeitspreis, New Work Award, Sustainability Heroes und Top 100 Rankings. Was ist Ihr Hauptkritikpunkt an diesen Auszeichnungen?
Weibel: Problematisch sind völlig intransparente Verfahren wie die "Top 100 Rankings", die selbst auf Nachfrage kein Licht in den eigenen Bewertungsprozess bringen. Zum anderen beruhen einige lediglich auf Jury-Entscheiden wie zum Beispiel der New Work Award. Das ist nicht unbedingt schlecht, aber der Natur nach subjektiv und sollte durch objektive Fakten oder nachvollziehbare Bewertungskriterien ergänzt werden.
Problematisch sind völlig intransparente Verfahren wie die "Top 100 Rankings", die selbst auf Nachfrage kein Licht in den eigenen Bewertungsprozess bringen. - Antoinette Weibel
Personalmagazin: Dennoch ist es doch für Unternehmen erfreulich, wenn sie solche Preise bekommen …
Weibel: Ja, natürlich! Man darf sich auch freuen, wenn man eine Auszeichnung erhält, Erreichtes feiern und stolz darauf sein. Ich freue mich auch, wenn ich einen Preis bekomme. Und ich war auch schon Teil einer Jury. Aber das darf ja nicht über mögliche Mängel bei den Auszeichnungsverfahren hinwegtäuschen. Wenn man ein gutes Unternehmen sein möchte, sind solche Preise als Anspruch oft zu wenig, und sollten zudem niemals zum Selbstzweck werden.
Was sind ethisch und wissenschaftlich "gute" Labels?
Personalmagazin: Die von Ihnen gelobten Auszeichnungen sind teilweise sehr normativ. Inwiefern genügt das wissenschaftlichen Ansprüchen?
Weibel: Das ist eine sehr gute Frage. Auf der einen Seite haben wir uns "wissenschaftlich" die Messgüte angeschaut. Andererseits geht es uns auch darum, eine erste Mindestbasis für die Definition von guten Unternehmen herauszukristallisieren. Wenn es um ethische Fragen geht, hilft die Wissenschaft weniger – Ethik ist immer normativ. Im ersten Schritt haben wir uns hier auf eine Berücksichtigung von den wichtigsten Stakeholdern konzentriert. In einem zweiten Schritt gilt weiter zu untersuchen, wie ethische Normen effektiv im Betrieb umgesetzt werden können und sollten. Bei der Gemeinwohlökonomie zum Beispiel gilt beim Thema Führung als höchste Stufe, dass man Führungskräfte abwählen kann. Das gefällt mir zwar, weil es zeigt, dass Führung eine fundierte Legitimation braucht. Ob diese Legitimation allerdings durch Wahl zustande kommen sollte, dafür muss man sich sowohl ethischen Prinzipien als auch die Effektivität einer solchen Umsetzung in der Unternehmenspraxis genau anschauen.
Personalmagazin: Bleibt "Gut" damit immer relativ?
Weibel: Gut zu sein, ist eine ethische Bewertung. Und hier führt das vielzitierte Dogma der Relativität schnell dazu, dass jeder macht, was ihm passt, ohne Verantwortung für das Ganze zu übernehmen. Man sieht deutlich, wie unterschiedlich das die Bewertungsinstrumente interpretieren. Mal geht es eher um soziale, mal eher um ökologische Aspekte. Aber bei den meisten ist irgendwo der Glaube versteckt, dass es ausreicht, "nettopositiv" zu sein. Das ist aber immer mit der Gefahr verbunden, dass man im Kerngeschäft weiterhin Schaden für die Stakeholder anrichtet, aber die Bilanz mit ein bisschen Schokoglasur im Nebenbereich aufwertet. Wir glauben daher, dass "gut" nicht relativ, sondern eher kontextbezogen sein sollte. Unser Anspruch an Gute Unternehmen ist einerseits, dass sie die Regeln der Gesellschaft gewissenhaft umsetzen, und andererseits in ihrem spezifischen Umfeld bestmöglich dazu beitragen, dass die Gemeinschaft und jeder Einzelne ein gutes Leben auf einem gesunden Planeten verwirklichen kann. Letztendlich ist es dies eine Frage des Charakters, nicht der Strategie. Uns ist daher wichtig, dass Unternehmen Menschen in ihrer Entwicklung, in der Aktualisierung ihres Potentials das Gute zu tun, fördern. Im Kern geht es darum, dass Stakeholder aufblühen und sich füreinander und die Gesellschaft einsetzen. Dieser Ansatz ist in den bisherigen Bewertungen nur in Spuren vorhanden – könnte also wichtige Ergänzung sein.
Unser Anspruch an Gute Unternehmen ist einerseits, dass sie die Regeln der Gesellschaft gewissenhaft umsetzen, und andererseits in ihrem spezifischen Umfeld bestmöglich dazu beitragen, dass die Gemeinschaft und jeder Einzelne ein gutes Leben auf einem gesunden Planeten verwirklichen kann. - Antoinette Weibel
Personalmagazin: Und welche Auszeichnung für gute Arbeitgeber sind wirklich gut?
Weibel: Das beste Gesamtpaket haben die Gemeinwohlökonomie, B-Corp und der CSR-Preis des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zertifizierungen wie die Gemeinwohlökonomie und B-Corp veröffentlichen keine Rangfolge. Das Entscheidende ist: hier steht die Entwicklung in Richtung "gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und umsetzen" im Mittelpunkt. Alle drei Ansätze verpflichten sich einer normativen, wertebasierten Perspektive und sehen sich als Geburtshelfer einer sozialen, ethischen Bewegung. Entwicklung, im Sinne von "besser werden" ist entscheidend. B-Corp fällt allerdings in diesem Trio etwas ab.
Was macht gute Arbeitgeber-Zertifikate aus?
Personalmagazin: Warum?
Weibel: Die Gemeinwohlökonomie ist besonders konsequent. Unternehmen, die im Kerngeschäft der Gesellschaft schaden, werden durch Minuspunkte ausgebremst. Das ist bei B-Corp nicht der Fall und kann problematisch sein. Ich kann das an einem Beispiel erläutern: Nespresso ist B-Corp-zertifiziert. Nespresso gehört zu Nestle, einem Konzern, der immer noch im Verdacht steht, durch die eigenen Produkte zur Fettleibigkeitspandemie beizutragen. B-Corp sanktioniert das durch das eigene Bewertungssystem nicht. Zudem genügen 80 von 200 Punkten, um als B-Corp zertifiziert zu werden. Äußerst positiv ist allerdings, dass B-Corp die Zertifikation daran knüpft, dass man soziale Ziele in der eigenen Unternehmenssatzung verankert.
Personalmagazin: Auch der CSR-Preis vergibt keine Minuspunkte. Warum zählen Sie ihn trotzdem zu den Pionieren?
Weibel: Von den dreien dürfte hier die Messgüte hervorstechen. Sie basiert auf einem Fragebogen mit geschlossenen und offenen Fragen, die das Management ausfüllt. Durch die offenen Fragen kann man in der Überprüfung auch vergleichen, wo und in welchem Ausmaß Unternehmen über Mindeststandards hinausgehen. Damit werden auch Schwächen eines rechte- und würdebasierten normativen Ansatzes teilweise überwunden, der sonst manchmal zu einem Abhaken von Mindeststandards führen kann. Zudem wird großes Gewicht auf die Umsetzung von Zielen gelegt und diese Umsetzung wird auch nochmals durch Stakeholderbefragungen plausibilisiert. Die Gefahr von Goodwashing wird dadurch erheblich vermindert.
Gute Zertifikate befragen nicht ausschließlich Mitarbeitende
Personalmagazin: Viele Arbeitgebersiegel wie Great Place to Work fokussieren die Sicht der Mitarbeitenden. Denn angesichts des Fachkräftemangels ist Unternehmen wichtig, ob sie den Vorstellungen und Wünschen von Beschäftigten entsprechen können. Warum genügt das aus Ihrer Sicht nicht, um ein guter Arbeitgeber zu sein?
Weibel: Menschen achten bei der Wahl ihres Arbeitgebers nicht nur auf den Lohn, Aufstiegschancen, oder auf ein gutes Betriebsklima (letzteres misst Great Place to Work übrigens sehr gut). Vielmehr möchten sie auch etwas Sinnvolles zur Gesellschaft beitragen. Gute Arbeit trägt zur eigenen Entwicklung bei, findet in einer Atmosphäre der gegenseitigen Unterstützung und des fordernden, dialogorientierten Austausches statt und löst auch gesellschaftliche Probleme, statt neue zu schaffen. Ein Arbeitgebersiegel, das nur nach dem Motto funktioniert "zufriedene Kühe geben mehr Milch", greift zu kurz, und könnte zudem der fortschreitenden Instrumentalisierung der Mitarbeitenden zu Gunsten des Profits Vorschub leisten. Moral sollte man nicht an der Bürotüre oder am Fabriktor abgeben müssen – eine ethische Grundlage, die das Unternehmen als eingebettet in die Gesellschaft sieht, ist daher aus unserer Sicht wichtig.
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