Jobsharing als Motor für den Kulturwandel
In der Diskussion um die Zukunft der Arbeit, angetrieben von den Megatrends Digitalisierung und demografischer Wandel, spielen neue Modelle der Arbeitszeitgestaltung und -organisation eine entscheidende Rolle. Dabei kann das Jobsharing – auch bekannt als Topsharing, Co-Sharing oder Shared Leadership – ein Modell sein, um den Anforderungen von Unternehmen und Arbeitnehmern gleichermaßen gerecht zu werden. Das beweist die Studie „Ich arbeite ganz anders und besser als früher“, die das Berliner Beratungsunternehmen The Jobsharing Hub, die Daimler AG und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) gemeinsam durchgeführt haben. Sie zeigt Praxis und Potentiale von Jobsharing in Unternehmen und untersucht erstmals in dieser dieser Größenordnung das Arbeitsmodells, bei dem sich zwei in Teilzeit arbeitende Personen in einem Tandem eine Führungsposition oder eine anspruchsvolle Expertenposition teilen.
Messbare Mehrwerte für Arbeitgeber
„Jobsharing ist eine durchaus alte Idee, die allerdings bisher immer noch relativ wenig verbreitet und dementsprechend auch kaum erforscht ist“, sagt Svenja Christen, Mitgründerin und Geschäftsführerin von The Jobsharing Hub. „Dabei bietet gerade dieses Arbeitsmodell die Möglichkeit, sowohl messbare Mehrwerte für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer zu schaffen. Das beweist unsere Studie, die zahlreiche Argumente dafür liefert, dass sich Unternehmen stärker mit dem Thema Jobsharing befassen sollten.“
"Das Arbeitsmodell #Jobsharing bietet die Möglichkeit, messbare Mehrwerte für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu schaffen." (Svenja Christen, The Jobsharing Hub)
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Untersucht wurde eine Gruppe von zehn Firmen, darunter viele DAX-Unternehmen wie die Daimler AG aus Stuttgart, die zu den Jobsharing-Pionieren in Deutschland gehört. Der Autobauer fördert Jobsharing seit 2011. Mehr als 250 Tandems sind dort mittlerweile tätig. Der Konzern hat die Studie zum Arbeitsmodell als Kooperationspartner unterstützt – auch um das Modell im Unternehmen zu reflektieren.
Für die Studie wurden Jobsharerinnen und Jobsharer quantitativ befragt, aber auch vertiefende Interviews mit den Personalverantwortlichen der Unternehmen und ausgewählten Tandems geführt. „Die Studie ist im Hinblick auf Umfang, Systematik und auf die Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden nach unserer Kenntnis aktuell einmalig in der existierenden Forschung“, erklärt Dr. Martin Krzywdzinski, Leiter der Forschungsgruppe „Globalisierung, Arbeit und Produktion“ am WZB und Themenbereichsleiter des Promotionskollegs „Gute Arbeit“. „Beantworten wollten wir drei zentrale Fragen: Wie gestalten Unternehmen Jobsharing? Wie nehmen Jobsharer und Jobsharerinnen ihre Arbeitssituation wahr? Und welche Typen des Jobsharing können identifiziert werden?“
Jobsharer kämpfen aktuell noch mit Vorurteilen
An der standardisierten Onlinebefragung nahmen 149 Personen teil, die in einem Tandem arbeiten – und sie bewerteten ihre Arbeitssituation grundsätzlich sehr positiv. Über 95 Prozent der Befragten beschreiben die Atmosphäre und Abstimmung in den Tandems als gut, 80 bis 90 Prozent berichteten von einer hohen Akzeptanz und Unterstützung durch Vorgesetzte, Mitarbeiter und Kollegen. Kritischer gesehen werden dagegen die Auswirkungen des Jobsharing auf die eigenen Karrierechancen. 36 Prozent der befragten Frauen sahen durch das Jobsharing mögliche Nachteile für das berufliche Fortkommen, bei den befragten Männern waren es sogar 56 Prozent. „Das deutet darauf hin, dass Jobsharer aktuell noch mit einigen Vorurteilen zu kämpfen haben“, so Svenja Christen. „Zusammengefasst stehen allerdings alle Zeichen auf Grün für das Arbeitsmodell. Denn es führt zu zufriedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und kollaborativer Arbeit.“
36 Prozent der befragten Frauen sehen durch #Jobsharing mögliche Nachteile für das berufliche Fortkommen, bei den befragten Männern waren es sogar 56 Prozent.
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Vier Jobsharing-Typen identifiziert
Welche unterschiedlichen Typen von Jobsharing-Tandems es gibt und welche Auswirkungen sie auf die Zufriedenheit mit diesem Arbeitsmodell und auf dessen Erfolg haben, zeigen 35 leitfadengestützte Interviews mit Jobsharerinnen und Jobsharern. „Dabei haben wir vier Typen identifiziert“, berichtet Franziska Cooiman, wissenschaftliche Assistentin am WZB. Sie werden als "symbiotische Karrieretandems", "fremdbestimmte Tandems", "Sparringpartner im höheren Management" und "strategische Bündnisse im höheren Management" bezeichnet.
"Sie unterscheiden sich durch die Hierarchieebene im Unternehmen, ihre Entstehungsweise, unterschiedliche Passungskriterien, die Aufgabenteilung im Tandem und letztlich durch ihren Mehrwert für die Jobsharer selbst." Für die symbiotischen Karrieretandems sind gegenseitiges Vertrauen, Sympathie sowie ein ähnliches Anspruchs- und Ambitionsniveau wichtig, damit es passt. Sie stehen voll und ganz hinter der Entscheidung zum Jobsharing und sehen es als langfristiges Arbeitsmodell. Hauptmotiv für das Jobsharing ist für diesen Typen das Thema Work-Life-Balance.
Bei den im höheren Management angesiedelten Tandems werden hingegen vielmehr die strategischen Elemente des Lernens, die Optimierung der Entscheidungsqualität bis hin zu der Möglichkeit, gemeinsam besonders anspruchsvolle und komplexe Stellen zu besetzen, betont. Die fremdbestimmten Tandems beschreiben das Jobsharing hingegen eher nur als eine temporäre Notlösung angesichts fehlender Karriereoptionen. Vor allem sie sind es, die sich laut Svenja Christen in einer "Teilzeitfalle" gefangen fühlen und ihre Karriereoptionen eher negativ einschätzen.
Welche Rahmenbedingungen Jobsharing braucht
"Durch die Interviews mit den Jobsharing-Tandems und den Personalverantwortlichen der Unternehmen lassen sich einige Rahmenbedingungen für ein funktionierendes Jobsharing identifizieren", sagt die Beraterin. "So spielt die – auch nach außen hin kommunizierte – Unterstützung durch Vorgesetzte eine besonders große Rolle. Nur dann können Vorbehalte von Kollegen und Mitarbeitern abgebaut sowie Zeitdruck und Stress vermieden werden." Gleichzeitig sollten sich Führungskräfte nicht in die interne Arbeitsorganisation des Tandems einmischen, da dies eindeutig zu Problemen führen kann. "Zudem ist es wichtig, die Unternehmenskulturen zu verändern", betont Svenja Christen. „Die Erwartung, dass Führungskräfte generell jederzeit verfügbar sind und 60 Stunden oder mehr pro Woche arbeiten, kann dazu führen, dass auch Jobsharer mit Arbeit überladen, aber nur für eine Teilzeitstelle bezahlt werden. Da ist der Frust vorprogrammiert."
HR muss Marketing für Jobsharing machen
Eine wichtige Rolle für den Erfolg von Jobsharing spielt natürlich HR. Die Personalabteilung muss die strukturellen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für Jobsharing schaffen, zum Beispiel entsprechende Bewerbungsprozesse implementieren, Basis-Policies ausarbeiten und so weiter. "HR muss das Thema strategisch anpacken, aber auch operativ durch die Business Partner begleiten, das heißt dass gut informierte HR-Experten die Vorgesetzten bei der Besetzung einer Vakanz auch gezielt in Richtung Jobsharing beraten", erläutert Svenja Christen im Interview mit dem Personalmagazin. "HR muss Marketing machen für Jobsharing." Dabei sei es wichtig, Jobsharing nicht nur als "Frauenmodell" zu präsentieren, das zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beiträgt. Denn das erschwere es Männern, sich auf solch ein Modell zu bewerben.
Live-Networking schlägt Matching-Software
Jobsharing braucht auch passende IT-Systeme. "Interessanterweise zeigt unsere Studie, dass eine Matching-IT, durch die sich die Tandempartner und -partnerinnen digital finden können, kaum bis gar keinen Beitrag zur Entwicklung von Jobsharing leistet", sagt Christen: "Unsere interviewten Tandems haben sich ausnahmslos über persönliche Beziehungen oder gezielte Live-Netzwerkformate gefunden – und zwar auch dann, wenn eine Matching-Software angeboten wurde."
"Eigentlich banale Rahmenbedingungen wie IT-Zugriffsrechte erschweren die Umsetzung von #Jobsharing in Unternehmen. Hier sind die Software-Anbieter gefragt, praxisnahe Lösungen zu entwickeln." (Svenja Christen, Jobsharing Hub)
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Wichtig sei allerdings, dass das Modell "Jobsharing" in der zentralen Unternehmens-IT (beispielsweise im ERP-System) abgebildet werden kann. Das ist derzeit nämlich noch nicht der Fall. Meistens kann pro Führungsposition nur eine Person benannt, im Organigramm sichtbar gemacht und mit entsprechenden Zugriffsrechten auf Daten und Eingaben versehen werden. Diese Restriktionen wurden von fast allen Tandems als großes Problem beschrieben. "Vor allem die führenden Software-Anbieter wie SAP sind hier gefragt, schnell praxisnahe Lösungen zu entwickeln", fordert die Christen: "Denn es ist extrem schade, wenn weiterhin eigentlich banale Rahmenbedingungen wie IT-Zugriffsrechte die Umsetzung von Jobsharing in den Unternehmen erschweren."
Jobsharing als Motor für Kulturwandel im Unternehmen
Jobsharing sei mehr als ein "Teilzeitmodell für Mütter", fasst die Beraterin die Ergebnisse der Studie zusammen. "Richtig durchgeführt hat es zahlreiche strategische Vorteile für Unternehmen." Dazu gehören eine größere Innovationsstärke, bessere Entscheidungen, das Aufbrechen von Silodenken und Hierarchien, systematisches Wissensmanagement, eine bessere Nachfolgeplanung sowie eine bessere Abdeckung sehr komplexer Stellen. "Unsere Studie deutet darauf hin, dass die Verbreitung des Jobsharing auch ein Motor für einen Kulturwandel in den Unternehmen sein kann – einem Wandel hin zu mehr Zusammenarbeit, Flexibilität und einer auf Diversität beruhenden Kultur, bei der die Bewertung der Leistung und des Engagements nicht von der Zahl der Arbeitsstunden abhängt."
Mehr zum Thema Jobsharing lesen Sie im Personalmagazin Ausgabe 12/2019. Dort gibt Svenja Christen von The Jobsharing Hub weitere Einblicke in die Studienergebnisse und Angela Lechner, Daimler AG, berichtet von den Praxiserfahrungen mit dem Arbeitsmodell Jobsharing.
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