Jobsharing im Nachhaltigkeitsmanagement

Jobsharing gibt es in unterschiedlichen Rollen und Hierarchieebenen – auch im Nachhaltigkeitsmanagement. Wie gut es in diesem Berufsfeld funktioniert, wenn zwei Personen eng zusammenarbeiten, und worauf es ankommt, zeigen Beispiele aus der Praxis.

„Im neuen Team Nachhaltigkeit und Energie bei der Freiburger Verkehrs AG sind zwei Stellen frei“, postete Mareike Rehl, Teamleiterin des Unternehmensbereichs Nachhaltigkeit und Energie, kürzlich auf Linkedin. Die VAG hatte zwei 50-Prozent-Jobs ausgeschrieben – einmal mit Fokus Datenmanagement und einmal mit Schwerpunkt im Projektmanagement. Bisher war Mareike Rehl im Vorstandsbüro angesiedelt und alleine für Nachhaltigkeit zuständig. Nun hat sie die Freigabe für eine weitere Vollzeitstelle bekommen und diese in zwei geteilt. 

„Zwei Personen können sich in ihrer Perspektive ergänzen“, sagt Rehl. Je größer das Team, desto mehr verschiedene Charaktere habe man. Ein Vorteil, um die Nachhaltigkeitsagenda im Unternehmen zu vertreten, findet die Teamleiterin. So sei es leichter, einen Draht zur Belegschaft zu finden, denn Mitarbeitende könnten sich die Ansprechperson aussuchen, mit der sie besser zurechtkommen: „Nachhaltigkeitsprojekte werden oft als Arbeit on top gesehen. Da müssen wir überzeugen können und Vertrauen aufbauen.“

Um die Nachhaltigkeitsstrategie umzusetzen, muss der neue Bereich „viel auf die Kette“ kriegen. Die großen Hebel der nachhaltigen Steuerung seien gesetzt. Wer von den beiden Neuen welche Aufgabe übernimmt – dazu hat die Teamleiterin klare Vorstellungen. Da sind einerseits die Aufgaben im Energie- und Datenmanagement, die eine Person übernimmt. Die andere soll vorrangig die CSRD-Berichterstattung und das Projektmanagement in den Blick nehmen. Nach Möglichkeit möchte Rehl mit der Zeit den Arbeitsumfang aufstocken.

Bewerbung als Tandem bei der Deutschen Bahn

Eine etwas andere Form des Jobsharing lebt Janina Schönitz bei der Deutschen Bahn: Gemeinsam mit Miriam Kotte leitet sie den Bereich „Strategie & Reporting Nachhaltigkeit und Umwelt“ – mit dem Führungstandem umfasst das Team etwa 25 Personen. Beide Co-Leaderinnen arbeiten an vier Tagen in der Woche. Eine Aufteilung auf bestimmte Themen haben sie zwar auch, aber die Organisation soll sich damit nicht beschäftigen müssen. Deshalb sprechen sie vom „Mia-Modell“ – für Miriam und Janina. „Wir haben eine gemeinsame E-Mail-Adresse, tauchen als Mia in Protokollen auf und man kann einfach eine von uns ansprechen und sich darauf verlassen, dass wir uns darum kümmern“, so Janina Schönitz. 

Die beiden sind mittlerweile ein eingespieltes Tandem. Im Zuge einer Reorganisation taten sie sich 2019 zusammen und übernahmen gemeinsam eine Führungsstelle im Bereich „Digitale Transformation“. Aus der Überzeugung heraus, im Nachhaltigkeitsbereich ihre Transformationsexpertise noch besser einsetzen zu können, haben sie sich als Quereinsteigerinnen beworben – und konnten mit ihrer Konzernerfahrung punkten. So kamen sie Ende 2022 zu ihrem aktuellen Team. 

„Unser Mia-Modell haben wir in den Nachhaltigkeitsbereich mitgebracht. Es basiert darauf, die perfekte Balance zu finden aus gemeinsam machen und sich effizient aufteilen“, erklärt Schönitz. So lernten die beiden Tandempartnerinnen anfangs die Grundlagen für Sustainability Management gemeinsam, vertieften dann aber jeweils bestimmte Facetten. Deshalb entstehe in einem solchen Jobsharing-Modell ein höherer Aufwand – vor allem in der Einarbeitungsphase, aber auch für die Abstimmung im Alltag. Doch das zahle sich aus.

„Die Anforderungen an Führung sind heute durch eine hohe Dynamik in der Wirtschaft und die Vielzahl an Erwartungen enorm gestiegen. Ich bin froh, immer eine Feedbackgeberin zu haben“, stellt Schönitz fest. Man könne im Tandem schneller Entscheidungen treffen und diese seien auch resilienter. „Wenn wir zu zweit draufgeschaut haben, müssen wir nicht noch zig Leute fragen. Wir haben die Entscheidung schon aus verschiedenen Blickwinkeln durchdacht.“ Das gelte für Jobsharing generell, auch in anderen Tätigkeitsfeldern, aber gerade im Nachhaltigkeitsbereich sei das von großem Vorteil. ESG – Ökologie, Soziales und Governance, die verschärften Regularien und Reportinganforderungen – ständig komme etwas Neues hinzu. „Da man muss sich sehr anstrengen, um mitzukommen und gute Entscheidungen zu treffen“, so Janina Schönitz. 

Tandempower gegen Nachhaltigkeitsdepressionen?

Auch Rebecca Röcher kennt Priorisierungs- und Anforderungsdruck aus ihrer Tätigkeit bei Mast-Jägermeister SE. Von September 2020 bis Mai 2022 teilte sie sich in dem Unternehmen die Leitung des Nachhaltigkeitsmanagements mit Sandra Broschat. Beide bekleideten eine Stabstelle, direkt beim Vorstand aufgehängt und zuletzt jeweils in etwa 60 Prozent. Sie bearbeiteten viele Projekte gemeinsam, insbesondere bei der Strategie- und Zieldefinition sowie der internen und externen Kommunikation. Aber während Rebecca Röcher sich eher um Einkaufsprojekte und Verpackung kümmerte, war Sandra Broschat tiefer in Regulatorik, Compliance und Finance involviert. 

„Eine Aufteilung ließ sich auch aus Kapazitätsgründen nicht umgehen – da mussten wir ehrlich die Kalender nebeneinanderlegen“, berichtet Rebecca Röcher, die vor dem Jobsharing bereits beim Jägermeister Tochterunternehmen M-Venture (heute: Best Nights VC) angestellt war und dadurch nützliche Kontakte in die globale Organisation hatte. Als sie sich auf die neue Stelle im Nachhaltigkeitsmanagement bewarb, konnte sie sich ihre Tandempartnerin aussuchen. Obwohl die Chemie sofort stimmte, war die Aufteilung ein Findungsprozess, zu Beginn von einer Coachin begleitet.      

Viele Prozesse, die auf mehr Nachhaltigkeit einzahlen, müssen sich in Unternehmen erst noch etablieren. „Das erfordert Mut und ist einfacher zu zweit. Das erscheint so, als wäre mehr Power da, quasi 200 Prozent“, meint Röcher. Allerdings könne es passieren, dass man dadurch die Kapazität von Tandems überschätzt. 

Einen der größten Vorteile von Jobsharing im Nachhaltigkeitsmanagement sieht Rebecca Röcher darin, sich gegenseitig bestärken zu können. Denn es ziehe vor allem Überzeugungstäterinnen und -täter in den Bereich, sagt Röcher: „Die tägliche Beschäftigung mit dem Klimawandel und der Zerstörung der Erde geht an die Substanz. Da hilft es, wenn man zu zweit ist.“ Dennoch hat sich die Nachhaltigkeitsmanagerin nach einem Sabbatical als Beraterin und Coachin selbständig gemacht. Was in diesem Fall für die Kollegin passte, kann aber auch zum Problem werden. „Man ist im Jobsharing sehr abhängig voneinander. Was eine Person will, hat krasse Auswirkungen auf die andere.“ 

Was Tandems in der Nachhaltigkeit erfolgreich macht

Viele Risiken und Erfolgsfaktoren von Jobsharing gelten natürlich nicht nur für Jobs in Nachhaltigkeitsfunktionen. So bedarf es laut Rebecca Röcher in dem Arbeitsmodell generell der Bereitschaft, Informationen und Lorbeeren zu teilen. Man müsse veränderungs- und kompromissbereit sein. „Wir haben immer wieder neue Herangehensweisen aufgesetzt, getestet und angepasst – nach dem Motto build, measure and learn.“

„Man muss der Tandempartnerin blind vertrauen können“, meint auch Janina Schönitz, die neben ihrer Jobsharing-Rolle bei der Deutschen Bahn als Sidepreneurin die Beratung Knallkrebs & Grundel mitgegründet und das Buch „Co-Leadership“ geschrieben hat. Zudem weist sie auf nötige organisationale Rahmenbedingungen hin. Eine 60-Prozent-Stelle für beide betrachtet sie als Minimum. Das koste mehr, sei aber realistischer, denn nur dann bleibe Zeit für Absprachen, die die Perspektivenvielfalt und Entscheidungsqualität erhöhen. Wichtig sei es auch, eine passende IT-Infrastruktur zu schaffen: „Viele IT-Systeme sind nicht dafür gedacht, dass zwei Leute auf die gleichen Daten zugreifen.“ Sie seien hierarchiebasiert und eine Person müsse dann doch im System die Führungsrolle innehaben. 

Zu diesem Ergebnis ist auch Raffaella Garippo, Mitgründerin und Vorstandsmitglied des Instituts für Zukünfte, in ihrer Masterarbeit über Topsharing – das Teilen einer Führungsfunktion – gekommen. Dafür hat sie zehn Nachhaltigkeitsmanagerinnnen interviewt, die in diesem Modell arbeiteten. Sie lernte auch Tandems kennen, die nicht harmonierten. Wenn sich die Kompetenzprofile und Bedürfnisse zu sehr ähneln, werde das bisweilen problematisch: „Es können nicht beide nur am Vormittag arbeiten, wenn der Vorstand Sitzungen gerne am Nachmittag ansetzt.“ Auch extrem unterschiedliche Erfahrungsschätze könnten zum Problem werden. Dann entwickle sich leicht eine Person zur Sprecherin und das Tandem agiere nicht mehr auf Augenhöhe. 

Jobsharing ist nachhaltig

„Wenn Topsharing gelingt, kann es einen Beitrag zum nachhaltigen Personalmanagement leisten“, fasst Raffaella Garippo das Ergebnis ihrer Arbeit zusammen. Sie hat sich die sechs Prinzipien nach Robert J. Zaugg (Partizipation, Strategieorientierung, Kompetenz- und Wissensorientierung, Anspruchsgruppenorientierung, Flexibilität) vorgenommen und überprüft, ob Topsharing im Nachhaltigkeitkeitsmanagement darauf einzahlt. Und fand in allen sechs Bereichen entsprechende Ausprägungen. 

So könnten die Mitarbeitenden etwa im Tandem das Arbeitsmodell meistens flexibel ausgestalten und ihre Aufgaben und Arbeitszeit passend aufteilen. Wenn beide als Führungskräfte agieren, komme dies den Ansprüchen der Beschäftigten entgegen, da sie sich beispielsweise aussuchen können, mit welcher Person sie ins Mitarbeitendengespräch gehen. Vor allem zeige sich eine überproportionale Wertsteigerung durch die Arbeit im Tandem. Da Entscheidungen schneller und abgewogener seien, bekämen Unternehmen tatsächlich die gefühlt doppelte Power von 200 Prozent, auch wenn die Arbeitszeit darunter liege. „Die Personen im Jobsharing sollten das für sich zu nutzen wissen und etwa in Bewerbungs- und Personalgesprächen gezielt für sich einsetzen.“

Unternehmen könnten sich mit dem Modell als attraktive Arbeitgeber präsentieren. Topsharing verbessere die Einstiegsmöglichkeiten für Frauen in Führungspositionen. „Aber es ist auch eine Exitmöglichkeit für Männer, raus aus der Vollzeiternährerrolle. Das könnten Unternehmen noch viel gezielter ansprechen“, findet Raffaella Garippo, die selbst gerade in Vollzeit in der Konzernnachhaltigkeit bei VW arbeitet, aber sich in Zukunft auch ein Jobsharing-Modell vorstellen kann. 

Kaum Stellen im Tandem ausgeschrieben

Wie verbreitet Job- oder Topsharing im Nachhaltigkeitsbereich oder insgesamt ist – darüber gibt es keine repräsentativen Daten. Auch, weil eine exakte Definition schwerfällt. Die meisten dieser Stellen ergeben sich – Stimmen aus der Praxis zufolge – durch Eigeninitiative von Beschäftigten. Janina Schönitz empfiehlt allen, die im Tandem arbeiten möchten, sich zunächst nach dem/der passenden Tandempartner oder -partnerin umzusehen. „Die Überzeugung von Führung, Erwartungen an die Zusammenarbeit und Karriereambitionen müssen zusammenpassen“, meint Garippo. Aber ohne die Bereitschaft von Unternehmen geht es eben auch nicht: „Nur wenige Unternehmen schreiben Stellen so aus, dass sie explizit auch in Jobsharing möglich sind. Damit verschenken sie Potential.“

In Freiburg bei der VAG war das anders. Die Bewerberinnen und Bewerber auf die zwei ausgeschriebenen 50-Prozent-Stellen kannten sich vorher nicht. Das Unternehmen hat die Ausschreibung auf der eigenen Website, in einer Jobbörse, im eigenen Netzwerk und bei Hochschulen mit Studiengängen im Sustainability Management veröffentlicht. „Überraschenderweise haben sich mehr Männer als Frauen beworben“, erzählt Teamleiterin Mareike Rehl. Sie hat einen Mann und eine Frau eingestellt. Gemeinsam wollten die beiden im Nachhaltigkeitsmanagement bei der VAG etwas bewegen. Das Geschlecht spielt dabei offensichtlich keine Rolle.


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