Mitarbeiter helfen Minenopfern
Haufe Online-Redaktion: Welche Idee steckt hinter einem Firmen-Event, das Wohltätigkeit mit einer Teambuilding-Maßnahme kombiniert?
Meinrad Müller: Der Grundgedanke war, Prothesen für die Opfer von Landminen zusammenzubauen. Wenn man das in einer Fabrik macht, fallen Kosten an. Diese Kosten können eingespart werden, wenn der Zusammenbau innerhalb eines Teambuilding-Events stattfindet. Gleichzeitig ergibt sich dadurch ein Teambuilding auf einem anderen emotionalen Niveau als dies durch traditionelle Events möglich ist. Die Motivation entsteht aus dem inneren Bedürfnis, etwas Gutes für einen realen Menschen zu tun.
Die Motivation entsteht aus dem inneren Bedürfnis, etwas Gutes für einen realen Menschen zu tun. #Company-Charity
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Haufe Online-Redaktion: Was sind die grundlegenden Unterschiede zu anderen Teambuilding-Events, die ja nicht unbedingt nur aus Floßbauen oder Drachenbootrennen bestehen müssen?
Müller: Wir erleben, dass die Teilnehmer das spontane emotionale Gefühl erleben, gemeinsam etwas Bedeutsames zu tun, um die Welt ein Stück weit besser zu machen, indem einem konkreten Opfer geholfen wird. Das zeigt sich auch in der Stille, in der der Zusammenbau erfolgt. Die Teilnehmer sind durch das anfangs gezeigte Video emotional auf das Ziel eingestimmt, eine Prothese zu fertigen, die für einen Menschen eine massive Verbesserung der Lebenssituation bringt. Werden sie dagegen zu einer traditionellen Teambuilding-Maßnahme mit Sport, Spaß und Spiel eingeladen, reagieren viele Mitarbeiter ablehnend. Sie wissen ja, was die Firma mit dieser Veranstaltung beabsichtigt: Sie will eine Harmonisierung der Mitarbeiter erreichen, damit diese künftig angenehmer zusammenarbeiten.
Haufe Online-Redaktion: Wie funktioniert Ihr Workshop? Wie viele Personen können teilnehmen?
Müller: An einem Tisch sitzen maximal drei bis vier Personen, damit eine sinnvolle Zusammenarbeit möglich ist. Wir haben Events in den USA miterlebt, bei denen in einer Turnhalle 120 Tische für insgesamt 400 Teilnehmer aufgebaut waren. Auch Microsoft hat kürzlich die Mitarbeiter aus den gesamten Vereinigten Staaten zu einer Convention zusammengebracht, bei der sie auch in einem eineinhalbstündigen Workshop Prothesen zusammengebaut haben. Hierbei habe ich festgestellt: Die Teilnehmer vergessen in dieser Zeit völlig, dass es sich eigentlich um ein Teambuilding-Event handelt.
Die Teilnehmer vergessen in dieser Zeit völlig, dass es sich eigentlich um ein Teambuilding-Event handelt.
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Haufe Online-Redaktion: Wie schwierig ist es, eine Prothese zusammenzubauen?
Müller: Die Teilnehmer bekommen eine Box mit 30 Einzelteilen. Viele denken anfangs, dass sie es nie schaffen, daraus eine Prothese zusammenzubauen. Aber im Zusammenspiel dieser drei oder vier Menschen am Tisch ist das gut möglich. Wir empfehlen, eine Hand in eine Schaumstoffhülle zu stecken. So kann ein Teilnehmer nur mit einer Hand arbeiten. Er kann nicht einmal eine kleine Schraube allein eindrehen, sondern muss sich von einem Kollegen helfen lassen. Damit wird die Zusammenarbeit zu einem integralen Bestandteil des Events. Manche Tische brauchen 90 Minuten, um die Prothesen zusammenzusetzen, andere benötigen 120 Minuten. Aber es entsteht kein Wettbewerb wie beim Sackhüpfen, bei dem es darum geht, zuerst ins Ziel zu kommen. Das Ziel ist vielmehr, die Prothese zusammenzubauen. Und das gelingt wirklich allen, ohne dass der Workshop-Leiter technische Anleitungen geben muss.
Haufe Online-Redaktion: Erfolgt anschließend eine Qualitätskontrolle, um zu überprüfen, dass die Prothesen tatsächlich und auf Dauer funktionieren?
Müller: Um die Funktionalität zu testen, führen wir am Schluss eine kleine Geschicklichkeitsübung durch: Die Teilnehmer können sich die Prothese selbst anschnallen und mit einer Gabel Murmeln von einer Schüssel in die andere legen. Dabei merken sie, wie schwierig es ist, präzise zu arbeiten, wenn sie ihre fünf Finger nicht mehr benutzen können.
Haufe Online-Redaktion: Die Idee kommt ursprünglich aus den USA und wird seit kurzem in Deutschland verbreitet. Gibt es hierzulande bereits Unternehmen, die sich dafür interessieren?
Müller: Wir haben bereits eine feste Buchung von SAP. Im April findet außerdem ein Teamevent beim schweizerischen Pharmakonzerns Roche statt. Ich habe mittlerweile mit einigen Unternehmen telefoniert – bislang bin ich nirgendwo auf Ablehnung gestoßen. Unser Ziel ist es, in diesem Jahr in Deutschland 5.000 Prothesen zu erstellen.
Unser Ziel ist es, in diesem Jahr in Deutschland 5.000 Prothesen zu erstellen.
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Haufe Online-Redaktion: Sie haben schon an Veranstaltungen in den USA teilgenommen: Welche Rückmeldung geben die Teilnehmer? Finden diese es nicht zynisch, an einem Teambuilding-Event teilzunehmen, das rund um die ernste Problematik der Landminen-Opfer gestrickt ist?
Müller: Diese Frage möchte ich mit einer Gegenfrage beantworten: Was wäre die Alternative? Den Schaden hätten die Betroffenen. In den 20 Minuten, in denen wir uns jetzt unterhalten, ist irgendwo auf der Welt wieder eine Mine explodiert. Die Vereinten Nationen sprechen von 110 Millionen vergrabenen Minen. Bei der derzeitigen Geschwindigkeit von 100.000 geräumten Minen pro Jahr würde es weiter 1.100 Jahre dauern, bis die Gefahr behoben ist – vorausgesetzt, es kommen keine neuen Minen hinzu. Dazu kommt: Die Menschen in Kambodscha, Bangladesch oder Uganda haben keine medizinische Versorgung, wie wir sie kennen. Bei den Workshops steht eindeutig das Ziel in den Vordergrund, Prothesen zusammenzubauen, die einem Kind das Leben erleichtert.
Haufe Online-Redaktion: Wirken die Workshops auch nachhaltig?
Müller: Die Teams sind am Ende stolz darauf, dass sie die Prothesen zusammengebaut haben. Anfangs hatten sie noch gedacht, dass sie es nicht schaffen würden, die vielen Einzelteile und Schrauben zusammenzusetzen. Wir empfehlen dann, ein Foto zu machen. Dieses Foto kommt zusammen mit einer Karte „We wish you good luck“ und mit der Prothese in eine Mappe. Auch die E-Mail-Adressen der Teammitglieder sind dort vermerkt. Wir senden die Mappen zurück in die USA und von dort erfolgt die weltweite Verteilung durch Rotary International. Die Empfänger können dann, sofern sie Zugang zu einem Internet-Café haben, Antworten per E-Mail schicken. Die Workshop-Teilnehmer sind tief gerührt, wenn nach zwei bis drei Monaten eine Antwort kommt.
Das Interview führte Daniela Furkel.
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