Rassismuskritik hält nur langsam Einzug in Unternehmen

Zum Deutschen Diversity-Tag am 23. Mai 2023 werfen wir mit Anti-Rassismus-Trainerin Tupoka Ogette einen Blick auf Rassismus in Unternehmen. Wie entfalten Workshops zu Diskriminierung nachhaltig Wirkung? Und was können Unternehmen tun, damit sich dort alle willkommen fühlen? Ein Interview.

Haufe Online-Redaktion: Sie sind seit 2012 Beraterin und Vermittlerin zum Thema Rassismus. Inwiefern hat sich in den Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren etwas verändert, was Rassismus und Diskriminierung angeht?

Tupoka Ogette: Seit zwei bis drei Jahren erhalten wir neben KMU auch Anfragen zur Auseinandersetzung mit Rassismuskritik von großen Konzernen. Vor allem Konzerne, die ein Mutterschiff in den USA haben. Deutsche Konzerne rücken auch langsam nach, sind aber deutlich verhaltener. Ich habe aber auch das Gefühl, dass diese Welle gerade etwas abebbt. Es gibt ein Gefühl von "das haben wir ja jetzt erledigt". Das ist erwartbar, wenn wir schauen, wie in Deutschland schon immer Debatten zu Rassismus geführt wurden, aber es ist auch fatal. Toll ist, dass es inzwischen so viele Netzwerke von BIPOC (Black, Indigenous, People of Color) in Unternehmen gibt. Die gehen auch nicht wieder weg. Dort sind Menschen, die wollen Veränderung und die werden weiterhin dafür kämpfen. 

Workshops helfen, das Konstrukt Rassismus zu verstehen

Haufe Online-Redaktion: Wenn Sie von Unternehmen angefragt werden, einen Sensibilisierungsworkshop zu halten – was ist der Auslöser in Unternehmen dafür, einen Workshop zu buchen?

Ogette: Oft sind es BIPOC-Mitarbeitende und deren Verbündete, die sich zusammengetan haben und in unbezahlten Überstunden die Themen Rassismuskritik und Diskriminierungskritik bearbeiten und Sichtbarkeit dazu einfordern. Es sind diejenigen, die sich dafür einsetzen, dass diese Themen platziert werden, dass dafür Ressourcen frei gemacht werden und dass dann auch entsprechende Expertinnen und Experten eingeladen werden. Ab und an ist es auch die Führungsetage, die sich auf den Weg macht und Rassismuskritik als Grundlagenthema jeder Unternehmenskultur einführen möchte – aber diese Fälle sind noch selten.

"Oft sind es BIPOC-Mitarbeitende und deren Verbündete, die sich zusammengetan haben und in unbezahlten Überstunden die Themen Rassismuskritik und Diskriminierungskritik bearbeiten und Sichtbarkeit dazu einfordern." - Tupoka Ogette, Anti-Rassismus-Trainerin


Haufe Online-Redaktion: Wie sind ihre Sensibilisierungstrainings aufgebaut? Welchen Input geben Sie dabei?

Ogette: Der erste Tag steht im Zeichen der Sensibilisierung. Uns ist wichtig, dass die Teilnehmenden sie und ihre Position im Konstrukt Rassismus verstehen lernen. Wir starten mit einem Blick in die Vergangenheit. Wie hat Rassismus begonnen, welche Rolle spielen der transatlantische Sklavenhandel, der Kolonialismus dabei und wie hat auch Deutschland davon profitiert? Wir kommen dann ins hier und jetzt und auf die Frage, inwiefern wir durch diese koloniale Vergangenheit bis heute geprägt sind. Wir definieren Rassismus. Wir widmen einen großen Block dem Thema Sprache: Welche Sprache ist warum und wann rassistisch? Wie kann ich erkennen, welches Sprechen rassistisch ist, welche Begriffe stehen im Widerstand gegen Rassismus und welche Begriffe zementieren rassistische Strukturen? Danach schauen wir auf das Thema Privilegien. Dabei liegt unser Fokus auf dem Thema Verantwortung. Was kann ich tun, wenn ich mir meiner Privilegien bewusst bin? Wie kann ich sie nutzen, um an Rassismuskritik in meinem Unternehmen und in meinem Alltag mitzuwirken? Abschließend sprechen wir darüber, was Rassismus mit von Rassismus Betroffenen macht. Wenn ein zweiter Tag gebucht wurde, beschäftigen wir uns mit den Fragen: Wie kann ich im Alltag reagieren? Wie kann ich solidarisch sein? Wie kann ich Rassismuskritik im Unternehmen vorantreiben?

Nachhaltige Wirkung durch freiwillige Teilnahme an Trainings

Haufe Online-Redaktion: Rassismuskritik erfordert einen selbstkritischen Prozess. Wie lässt sich ein solcher Reflexionsprozess im Workshop anstoßen?

Ogette: Durch genau die Dinge, die ich in der vorherigen Antwort aufgezählt habe. Es geht darum zu verstehen, dass wir alle von rassistischer Sozialisierung betroffen sind. Es geht um Perspektivwechsel. Um einen Mix aus konkreten Beispielen und den Transfer in theoretische wissenschaftliche Konzepte.

Haufe Online-Redaktion: Wie ist die Reaktion in den Unternehmen auf Ihre Workshops? Wie selbstkritisch gehen die Mitarbeitenden hinein?

Ogette: Wir haben mit sehr vielen großen Konzernen zusammengearbeitet. Google, Netflix, Disney, Otto, Telekom, BMW und viele mehr. Das Feedback ist durchweg extrem positiv. Die Teilnehmenden kommen mit vielen Fragen und Unsicherheiten rein und gehen mit einem Gefühl der Verantwortung und dem Wunsch nach Veränderung raus, und das ist genau das, was wir uns wünschen. Ich erlebe es so, dass die meisten eine große Bereitschaft zur Auseinandersetzung mitbringen. Das liegt sicher auch daran, dass unsere Workshops immer freiwillig sind. Da kommen dann die, die auch Interesse haben. Die Mitarbeitenden, auf die wir treffen, sind nach einem Workshop sehr bewegt und emotional, denn diese Auseinandersetzung ist aufwühlend. Sie gehen aber auch mit einem Gefühl der Dankbarkeit und dem Willen, etwas zu verändern, hinaus.

"Die Teilnehmenden kommen mit vielen Fragen und Unsicherheiten rein und gehen mit einem Gefühl der Verantwortung und dem Wunsch nach Veränderung raus, und das ist genau das, was wir uns wünschen." - Tupoka Ogette, Anti-Rassismus-Trainerin


Haufe Online-Redaktion: Und wie nachhaltig wirken diese Workshops?

Ogette: Das hängt davon ab, welche Wichtigkeit dem Thema im Unternehmen zugesprochen wird. Wenn Rassismuskritik nur als "Trend" oder "Nice to Have" oder "Problem der Anderen" gesehen wird, ist so ein Workshop für die Teilnehmenden vielleicht ein eye opener, aber für das Unternehmen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es braucht immer eine Gesamtstrategie und ein Verständnis darüber, dass es intrinsischer Teil der Unternehmensphilosophie sein muss. Es gibt da einerseits den menschenrechtlichen Aspekt: Es gibt ein Recht auf ein Rassismus-freies Leben. Und es gibt die Unternehmensperspektive: Weniger Rassismus in allen Ebenen führt dazu, dass Unternehmen produktiver sind, innovativer sind. 

"Es gibt da einerseits den menschenrechtlichen Aspekt: Es gibt ein Recht auf ein Rassismus-freies Leben. Und es gibt die Unternehmensperspektive: Weniger Rassismus in allen Ebenen führt dazu, dass Unternehmen produktiver sind, innovativer sind." - Tupoka Ogette, Anti-Rassismus-Trainerin


Übrigens: Die nächste Ausgabe der "neues lernen" widmet sich ganz dem Thema "Diversity" und erscheint am 30. Mai 2023.


Das könnte Sie auch interessieren:

Cultural Fit auf Kosten der Diversität?

Schneller Stellen besetzen – mit Diversitystrategie im Recruiting

Nicht studierte Eltern sind Karrierenachteil