Wie Corona die Berufsausbildung beeinflusst

Die Coronapandemie hat nicht nur erhebliche Auswirkungen auf das Lernen in Schulen und Universitäten. Auch die betriebliche Ausbildung ist stark betroffen. Doch es gibt positive Beispiele, wie Arbeitgeber kreative Wege zur Vermittlung von Ausbildungsinhalten gefunden haben.

Laut der aktuellen Randstad-Ifo-Personalleiterbefragung entstanden in 72 Prozent der Unternehmen, die durch Corona von betrieblichen Einschränkungen betroffen waren, Lücken in der Wissensvermittlung für Auszubildende. Diese Wissenslücken konnten nur in weniger als der Hälfte der Fälle (49 Prozent) wieder geschlossen werden. Fast ein Viertel der befragten Personalleiter (23 Prozent) bescheinigte seinen Azubis auch weiterhin Nachholbedarf.

Geschlossene Berufsschulen und niemand im Büro

Um die duale Ausbildung in der Coronapandemie zu fördern, hat die Bundesregierung das Programm "Ausbildungsplätze sichern" gestartet, das unter anderem eine Ausbildungsprämie, eine Übernahmeprämie und Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung beinhaltet. (Lesen Sie hier mehr dazu: "Verbesserte Förderung für Ausbildungsbetriebe in der Coronapandemie"). Aber nur wenige Unternehmen haben die Förderung bislang genutzt, obwohl die Zugangsvoraussetzungen für Betriebe erleichtert und Übernahmeprämien sowie Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung bis Mitte 2021 verlängert wurden. Ein Grund mag darin liegen, dass die Vermittlung von Ausbildungsinhalten in Theorie und Praxis in der Coronapandemie nur noch sehr eingeschränkt möglich ist. In den Berufsschulen findet während des Lockdowns ausschließlich Distanzunterricht statt und die meisten Beschäftigten arbeiten im Homeoffice.

Kreative Wege für die Wissensvermittlung

Es gibt allerdings auch zahlreiche positive Beispiele von Unternehmen, die weiterhin an der dualen Berufsausbildung festhalten. Um den Ausbildungserfolg in der aktuellen Situation sicherzustellen, haben diese Betriebe kreative und ungewöhnliche Maßnahmen ergriffen. Einige Beispiele:

1. Mitarbeiter spielen Gäste

Wie können wir die Ausbildung weiterführen, während der Betrieb mehr oder weniger geschlossen hat? Vor dieser Frage stand das Seehotel Niedernberg, das derzeit 15 Nachwuchskräfte ausbildet. Da das Hotel es als seine Aufgabe ansieht, dem Nachwuchs trotz geschlossener Türen eine professionelle Ausbildung anzubieten, agieren nun die Mitarbeiter als Gäste im Restaurant und an der Rezeption. So sollen die Azubis unter nahezu realistischen Bedingungen auf den "normalen" Hotelalltag vorbereitet werden. Ergänzt werden dies Aktionen durch fachliche Schulungen und interne Gespräche zu den Themen Unternehmensphilosophie und Sozialkompetenz. Direktorin Karina Kull: "Unsere Azubis arbeiten extrem eigenständig und zuverlässig. Sie helfen sich gegenseitig, suchen sich selbst neue Aufgaben, machen vernünftige Vorschläge und bringen sich mit Elan ein. Ich bin fest überzeugt, dass eine erfolgreiche Ausbildung auch während eines Lockdowns möglich ist."

2. Azubi-Austausch via App

Auch die Leonardo Hotels setzen weiterhin auf die Nachwuchssicherung durch Ausbildung und haben während der Krise 100 neue Azubis und duale Studierende eingestellt. Mit einer Neuaufstellung im HR-Bereich und der Ernennung von Eduardo do Nascimento als neuen Talent & Development Manager, der als zentraler Ansprechpartner für alle regionalen Ausbildungsbeauftragten fungiert und die Weiterentwicklung des Ausbildungskonzepts verantwortet, hat sich die Hotelgruppe auf die neuen Herausforderungen in der Ausbildung eingestellt. Der Austausch der Azubis untereinander wird unter anderem über die Interne-Kommunikations-App LEAPP ermöglicht, in der jeder Postings veröffentlichen, Likes setzen und Kurznachrichten versenden kann. Über die App werden auch die jeweiligen Neuerungen und Informationen zu Hygieneregeln oder Kurzarbeitergeld an die Beschäftigten und Azubis kommuniziert.

3. Digitales Spiel für die virtuelle Zusammenarbeit

Im Januar 2021 bekamen 150 Azubis der Volksbanken Raiffeisenbanken eine verriegelte Box zugesandt, bei der es zunächst darum ging, das erste Level des Spiels "Next Drehmoment – the game" zu überwinden, um das Paket zu öffnen und die digitale Spielarena zu betreten. Bis zum 10. März 2021 lösen die Auszubildende in virtueller Zusammenarbeit weitere Level und entwickeln in Teams Ideen für die Finanzwelt von morgen. Um die Azubis über mehrere Wochen für das digitale Spiel zu motivieren, hat die Bank zusammen mit der Strategieagentur Waald ein Eventnarrativ rund um einen fiktiven Hackerangriff entwickelt. Mit dem digitalen Spiel soll auch die Employer Brand unterstützt werden, um neue Schülergenerationen für eine Ausbildung zu begeistern.

4. Selbstorganisation erlernen

Mit dem sogenannten "Sofa"-Projekt hat das Elektrotechnikunternehmen Weidmüller im Oktober 2020 ein zweiwöchiges Weiterbildungsprogramm für seine Auszubildenden des ersten Lehrjahrs gestartet. Die Abkürzung Sofa steht für "Selbstorganisation für Auszubildende" und beschreibt ein Konzept, mit dem die Auszubildenden selbstständig lernen, organisiert und ergebnisorientiert zu arbeiten. Praxisorientierte Übungen, eigenständige Gruppenarbeit und Präsentationstechniken nahmen eine wesentliche Rolle innerhalb des Programms ein.

5. Azubi-Marketing auf virtueller Rennstrecke

Simracing ist eine neue virtuelle Form des Motorsports. Das IT-Unternehmen Urano sieht Parallelen zwischen den eigenen IT-Kompetenzen, High End Equipment und der Begeisterung für Motorsport und hat das Simracing-Team "Urano E-Sports" gegründet. Damit will es in Zeiten, in denen Ausbildungsmessen und -veranstaltungen entfallen, neue Wege gehen, um junge Talente anzusprechen und zu fördern. In den drei Monaten seit Gründung sind bei "Urano E-Sports" bereits viele Bewerbungen eingegangen – als Fahrer und als Auszubildende. Darüber hinaus erhöhte das Unternehmen zum 1. August 2020 seine Ausbildungskapazitäten um sieben auf insgesamt 32 Personen. "Zudem werden alle Azubi-Gehälter zum 1. August dauerhaft auf ein weit überdurchschnittliches Niveau erhöht, um auch zukünftig hochtalentierte Nachwuchskräfte in der Region halten und für innovative Technologien und Urano begeistern zu können", so Eva Beuscher, Chief Human Resource Officer und geschäftsführende Gesellschafterin.

6. Virtuelle Auftaktveranstaltung

Im August 2020 starteten 74 neue Auszubildende an zehn Standorten der DMK Group ins Berufsleben. Das milchverarbeitende Unternehmen bildet in 18 Berufen aus, vom Milchtechnologen bis zum Fachinformatiker. Da eine persönliche Auftaktveranstaltung in diesem Jahr nicht möglich war, fand die Azubi-Begrüßung digital via Microsoft Teams statt. Zudem setzt das Unternehmen auf den Einsatz von Videokonferenzen und Echtzeitkommunikation. Um die neuen Kommunikationsmöglichkeiten allen Azubis zugänglich zu machen, wurden auch an den Produktionsstandorten Computerarbeitsplätze eingerichtet. Denn 85 Prozent der neuen Azubis arbeiten in Ernährungs- und technischen Berufen ohne PC-Arbeitsplatz. Zudem wurden schon im August Pläne erstellt, die bei einem möglichen Ausfall der Berufsschule den reibungslosen Verlauf der Ausbildung sicherstellen sollen.

7. Talentsharing statt Absagen

Häufig haben große, bekannte Unternehmen einen Überschuss an Bewerbern und müssen gut qualifizierten Kandidaten eine Absage erteilen, obwohl sie einen erfolgreichen Einstellungstest absolviert haben. Kleinere, weniger bekannte Betriebe dagegen suchen vergeblich nach Auszubildenden. Dieses Ungleichgewicht bleibt auch in der Coronapandemie bestehen. Um dem Nachwuchskräftemangel in der Chemie-, Pharma- und kunststoffverarbeitenden Industrie entgegenzuwirken, entwickelte das Startup Praktikumsjahr gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband Hessenchemie und einigen Mitgliedsunternehmen eine Talentsharing-Plattform namens Ausbildungsradar. Ziel ist die Empfehlung geeigneter Bewerber an andere Mitgliedsunternehmen des Verbands, sollte eine Ausbildung aufgrund von Kapazitätsgründen nicht möglich sein.

8. Virtual-Reality-Technik für Azubis

Das Chemieunternehmen BASF nahm zum Start des neuen Ausbildungsjahrs ein virtuelles Ausbildungstechnikum in Betrieb. Grundlage für das VR-Technikum für Produktionstechnik war sein realer Zwilling auf dem Ausbildungscampus. Zunächst wurde ein 3D-Modell der realen Anlage erstellt, das das gesamte Equipment wie Rohrleitungen, Pumpen und Behälter detailgetreu abbildet. Daraus wurde eine Virtual-Reality-Anwendung entwickelt, in der das 3D-Modell mit einem Prozessleitsystem verknüpft ist. Bevor die Auszubildende ins reale Technikum gehen, können sie jetzt die Anlage vorab virtuell begehen und bedienen und so lernen, wie die Anlagenteile miteinander zusammenhängen. Für die VR-Anwendung sind zahlreiche Lern- und Arbeitsaufträge hinterlegt, die die angehenden Chemikanten bearbeiten.

9. Zugewinn an digitaler Reife

Welchen Nutzen – abgesehen von der Nachwuchssicherung – es haben kann, weiterhin in die Ausbildung zu investieren, zeigt eine Studie des RKW Kompetenzzentrums: Kleine und mittlere Unternehmen gewinnen an digitaler Reife und profitieren vom Kompetenzzuwachs ihrer Azubis, wenn diese eigenständig Digitalisierungsprojekte im Betrieb umsetzen. Untersucht wurden die Entwicklungen in 78 Unternehmen während des RKW-Projekts "Digiscouts": Im Schnitt gewannen die FIrmen acht Prozent an digitaler Reife hinzu und profitierten vom Kompetenzzuwachs ihrer Auszubildenden, unabhängig von Branche und Größe. Die Azubis konnten dank der Erfahrung aus dem Projekt häufig in eine Expertenrolle wachsen und die Unternehmen steigerten so zudem ihre Attraktivität als Ausbildungsbetriebe.


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