Neues Lernen ermöglichen
Dieses Jahr wurde die Arbeitswelt vor neue Herausforderungen gestellt. Das bereits seit Jahren vieldiskutierte Schlagwort VUKA bekam mit der Covid-19-Krise eine vollkommen neue Bedeutung.
VUKA ist ein Akronym und steht für "Volatilität", "Unsicherheit", "Komplexität", "Ambiguität". Diese vier Begriffe kennzeichnen eine Arbeitswelt, die ständigen Veränderungen unterworfen ist, von heute auf morgen entscheidende Neuerungen mit sich bringt, auf vielschichtigen Zusammenhängen basiert und Widersprüchlichkeiten beinhaltet.
Wir haben nicht nur erlebt, wie schlagartig sich unsere "gedachte" Normalität verändern kann, sondern auch, wie schnell sich Organisationen sowie ganze Gesellschaften anpassen können. Besonders die neuen digitalen Kommunikationsformen stellten für viele Arbeitnehmende und -gebende ein neues Terrain dar. Dadurch entstanden einerseits Möglichkeiten und Chancen, andererseits erhöhte diese Transformation Risiken für Missverständnisse und Überforderung. Zusätzlich entstand die Notwendigkeit, schnell neue Fähigkeiten zu erwerben – eine besondere Herausforderung, da diese von Arbeitgebenden und -nehmenden zeitgleich erworben werden mussten. Die veränderten Bedingungen der Arbeitswelt erfordern allerdings einen neuen Umgang mit Lernen – ein "neues Lernen"!
Definition: Was ist "neues Lernen"?
Mit der Digitalisierung veränderte sich die Auffassung davon, wie effektives Lernen aussehen kann. Mittlerweile können Personen eine Vielzahl unterschiedlicher Lernformate vorfinden (zum Beispiel Lehrvideos, Selbsttests, interaktive Präsentationen, Podcasts etc.), die adaptiv zugeschnitten werden können, und selbstgeleitete Lernmotivatoren auf verschiedenste Arten nutzen, zum Beispiel durch individuelle Belohnung (Gamification). Neues Lernen umfasst folglich nicht nur neue digitale Möglichkeiten, sondern auch Aspekte des persönlichen und des selbstständigen Lernens sowie die Verschmelzung von Lernsituationen mit anderen Kontexten, zum Beispiel Arbeit, Freizeit, Hobbys, Social Networking.
In diesem Zusammenhang scheint der Begriff der Bildungstechnologie (englisch: Edtech = Educational Technologies) relevant: "Der Begriff Edtech steht nicht nur für den Einsatz neuer Technologien im Bildungssektor. Edtech umfasst auch die Art und Weise, wie man diese Technologien nutzt und dadurch leichter, schneller und motivierter lernt. Dazu braucht es zwei zentrale Kompetenzen: Digitalkompetenz und Lernkompetenz" (Nieswandt et al., 2019, S. 3). Es liegt demnach nahe, gleichzeitig den Erwerb dieser beiden Kompetenzen zu unterstützen: (1) ein Verständnis für Digitalisierung und damit verbundene neue Formen der Interaktion (Digitalkompetenz) und (2) die Fähigkeit, Lernen auf selbstständige und intrinsisch motivierte Art und Weise durchzuführen (Lernkompetenz).
Beharrt man als Unternehmen nun auf einem alten Lernprinzip, in dem es vorrangig um den Erwerb von Wissen geht und weniger um die Motivation der Lernenden, sieht man sich bald vor große Herausforderungen gestellt. Denn Mitarbeitende wünschen sich immer stärker, dass "Unternehmen […] Lernen neu denken" (Nieswandt et al., 2019, S. 3) und dem Anspruch nach Individualität, Flexibilität und Innovation nachkommen. Doch was bedeutet es, Lernen im Unternehmen neu zu denken?
Neues Lernen beschreibt auch eine neue Lernkultur
Da neues Lernen nicht nur digitales Lernen meint, sondern eine neue Lernkultur beschreibt, in der es um selbstgeleitete, bedürfnisorientierte und autonome Lernprozesse geht (Nieswandt et al., 2019), können wir für Unternehmen und Personalentwicklungsmaßnahmen ableiten, Mitarbeitende sowohl in ihrer Digitalkompetenz als auch in ihrer Lernkompetenz zu unterstützen. Besonders für Mitarbeitende, die sich von neuen Lernformaten überfordert oder sogar in ihrer Kompetenz bedroht fühlen, muss daher die Auswahl, Gestaltung und Betreuung neuer Lernumgebungen weitaus präziser und bedürfnisorientierter gestaltet sein. Es muss zunächst die Motivationslage und die Voraussetzung für selbstgeleitetes Lernen geschaffen werden, was durch verpflichtende Nachschulungen oder die Androhung von Strafen bei ausbleibender Weiterbildung nicht erreicht wird. Vielmehr ist es für Personalentwickelnde wichtig, eine Lösung anzubieten, die das Motivations- und Selbstregulationsniveau der Personen in den Prozess einbezieht.
Die Planung neuer Lernformate ist komplexer als die bisher üblicher Settings, in denen die Inhalte und Methoden meist vorher festgelegt waren. Beim "alten Lernen" wurde lediglich nach dem Wissensstand, aber nur selten nach dem Motivations- und Selbstregulationsniveau der Rezipierenden unterschieden. Ganzheitliche Lernprozesse, die den Anforderungen der jeweiligen Person und der zu erwerbenden Kompetenz gerecht werden, sind jedoch von immer höherer Relevanz (Meier/Seufert, 2016). Diese Komplexität des neuen Lernens und die damit verbundene völlig neue Art des Wissenserwerbs bringt für die Personalentwicklung zahlreiche Herausforderungen mit sich. Das im Folgenden vorgestellte PATH-Modell, kann eine Vorgehensweise sein, um diese beschriebene Komplexität zu bewältigen.
Der Weg/Pfad vom Problem zur Intervention
Für viele Personalverantwortliche stellt sich die Frage, wie evidenzbasierte wissenschaftliche Erkenntnisse in Unternehmen Anwendung finden können. Das PATH-Modell (Akronym: Problem, Analyse, Theorie/Test, Hilfe) nach Buunk und Van Vugt (2013) gibt hier eine Antwort. Mithilfe dieses vierstufigen Modells werden Lösungen entwickelt, die fundiert sind und gleichzeitig flexibel an die aktuelle Situation angepasst werden können.
Das PATH-Modell
Das PATH-Modell ist besonders hilfreich für Situationen, die eine systematische Herangehensweise an komplexe Probleme erfordern. Bei komplexen Fragestellungen ist eine systematische Informationssuche, -analyse und -auswertung entscheidend. Laut Kruglanskis (1989, 2004) Theorie der Laienepistemologie kann die Suche nach Wissen als ein Prozess der Hypothesengenerierung und -prüfung aufgefasst werden. Wie lange Personen nach neuen Informationen suchen und diesen gegenüber aufgeschlossen sind, ist jedoch abhängig von ihrer Motivation. Der Prozess der Wissenssuche ist damit in gewisser Weise willkürlich und kann länger oder kürzer sein. Wenn wir mit komplexen Herausforderungen konfrontiert werden, neigen wir häufig dazu, diesen Prozess zu verkürzen und eher intuitiv vorzugehen sowie uns auf vertraute Informationen zu stützen. Dies fällt uns schlichtweg leichter als eine systematische Informationsanalyse und spart viel Zeit. Gleichzeitig ist damit aber die Gefahr verbunden, auf neue Herausforderungen mit unpassenden Strategien zu reagieren.
Beispiel für das PATH-Modell
In Ausgabe 2/2021 des Wissenschaftsjournals PERSONALquarterly können Sie ein Beispiel für die Verwendung des PATH-Modells nachlesen. Hierzu wird das theoretische Vorgehen der einzelnen Unterschritte und parallel dazu die Verdeutlichung der praktischen Anwendung des PATH-Modells am selbstgewählten Beispiel "Remote Arbeiten mit neuen Kollaborationswerkzeugen" als ein Teilproblem des neues Lernens erläutert. Hier geht es zum Download des Beitrags.
Zu den Autorinnen:
Vicky König ist Sozialpsychologin, Trainerin, Coach sowie Lehrbeauftragte an der Universität Salzburg.
Prof. Dr. Eva Jonas ist Leiterin der Abteilung Sozialpsychologie an der Universität Salzburg.
Anna Moser ist Doktorandin im Fachbereich Sozialpsychologie an der Universität Salzburg sowie Trainerin und Coach.
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