Alkohol als Kündigungsgrund: Rechtliche Einordnung ist vielfach problematisch
Besteht in einem Betrieb nicht ohnehin generell oder im Hinblick auf die konkrete Tätigkeit eines Arbeitnehmers ein absolutes Alkoholverbot, gilt die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, sich nicht durch Alkoholgenuss vor oder während der Arbeitszeit oder in den Arbeitspausen in einen Zustand zu versetzen, der eine ordnungsgemäße Arbeitsleistung nicht mehr zulässt (sog. „relatives Alkoholverbot“).
Alkohol am Arbeitsplatz: Keine generellen Grenzwerte für Blutalkoholkonzentration
Generelle Grenzwerte, ab wann eine ordnungsgemäße Arbeitsleistung nicht mehr möglich ist, gibt es allerdings nicht. Je nach Art und Gefährlichkeit der zu leistenden Tätigkeit können jedoch bereits geringe Alkoholmengen ausreichen, um einen Verstoß anzunehmen (z. B. im sicherheitsrelevanten Bereich).
Ort des Alkoholgenusses nicht entscheidend
Für eine Pflichtverletzung kommt es zudem nicht entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer alkoholisiert zur Arbeit erscheint oder erst im Betrieb alkoholische Getränke zu sich nimmt.
Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers
Entscheidet sich ein Arbeitgeber für den Ausspruch einer Kündigung, muss er in einem etwaigen Kündigungsrechtsstreit darlegen und beweisen, dass der Arbeitnehmer alkoholbedingt nicht mehr in der Lage war, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß zu erfüllen bzw. durch die Alkoholisierung für ihn oder andere Arbeitnehmer ein erhöhtes Unfallrisiko bestand (BAG v. 26.01.1995, 2 AZR 649/94). Ausreichend ist hier nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts regelmäßig, wenn der Arbeitgeber
- darlegt, auf Grund welcher Indizien er subjektiv den Eindruck einer Alkoholisierung gewonnen hat (z. B. Alkoholfahne, lallende Sprache, schwankender Gang, aggressives Verhalten) und
- den entsprechenden Beweis durch Zeugenaussagen führen kann.
Grundsätzlich keine Verpflichtung zur Durchführung eines Alkoholtests
Ein Arbeitnehmer ist grundsätzlich nicht verpflichtet, einen Alkoholtest oder eine Blutentnahme durchführen zu lassen. Sofern der Arbeitgeber über die entsprechende Möglichkeit verfügt und die Alkoholisierung nicht offensichtlich ist, kann der Arbeitnehmer eine Alkomatmessung jedoch zu seiner Entlastung fordern (BAG v. 26.01.1995, 2 AZR 649/94).
Verhaltensbedingte Kündigung im Zusammenhang mit Alkoholgenuss
Beruht die jeweilige Pflichtverletzung nicht auf einer Alkoholabhängigkeit, ist sie an sich geeignet, eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zu rechtfertigen. Hier kommt also, ggf. nach einer erfolglosen Abmahnung und Erfüllung der sonstigen Kündigungsvoraussetzungen, grundsätzlich der Ausspruch einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung in Betracht.
Der Ausspruch einer verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung kann demgegenüber nur ganz ausnahmsweise gerechtfertigt sein.
Bei Alkoholabhängigkeit nur personenbedingte Kündigung möglich
Der Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung ist nach der Rechtsprechung des BAG allerdings dann ausgeschlossen, wenn das jeweilige Fehlverhalten auf einer Alkoholabhängigkeit des Arbeitnehmers beruht und dem Arbeitnehmer entsprechend kein Schuldvorwurf zu machen ist (BAG v. 20.12.2012, 2 AZR 32/11). Alkoholabhängigkeit ist danach eine Krankheit im medizinischen Sinne (BAG v. 26.01.1995, 2 AZR 649/94).
Abgrenzung verhaltensbedingte und personenbedingte Kündigung
Von krankhaftem Alkoholismus ist nach der Rechtsprechung des BAG dann auszugehen, wenn infolge psychischer oder physischer Abhängigkeit Gewohnheits- oder übermäßiger Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann (sog. „fehlende Steuerbarkeit“). Die Feststellung des Zeitpunktes, in dem die Schwelle zum krankhaften Zustand überschritten wird, gestaltet sich dabei in der Praxis regemäßig schwierig.
Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer wegen Alkoholsucht, ist die Kündigung nach den vom BAG für die personenbedingte Kündigung aus Krankheitsgründen aufgestellten Grundsätzen zu beurteilen.
Grundsätze der personenbedingten Kündigung aus Krankheitsgründen
Die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung aus Krankheitsgründen ist damit an Hand der folgenden drei Stufen zu prüfen:
- Stufe: Negative Gesundheitsprognose an Hand der objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung,
- Stufe: erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen auf Grund der prognostizierten Fehlzeiten und
- Stufe: Interessenabwägung.
Berücksichtigung der Besonderheiten des Alkoholismus
Aus den Besonderheiten der Alkoholsucht soll sich nach der Rechtsprechung des BAG allerdings die Notwendigkeit ergeben können, im Hinblick auf die anzustellende negative Gesundheitsprognose zur weiteren Entwicklung der Alkoholabhängigkeit geringere Anforderungen zu stellen, als bei anderen Erkrankungen (BAG v. 09.04.1987, 2 AZR 210/86).
Gesundheitsprognose ist bei alkoholsuchtbedingter Kündigung abhängig vom Stadium der Sucht
Die anzustellende Gesundheitsprognose wird im Wesentlichen davon bestimmt, in welchem Stadium der Sucht sich der Arbeitnehmer befindet (LAG Rheinland-Pfalz v. 17.06.2019, 3 Sa 32/19), und zwar insbesondere
- in welcher Weise sich frühere Therapien auf den Zustand des Arbeitnehmers ausgewirkt haben,
- ob er vor Ausspruch der Kündigung therapiebereit war und
- ob eine solche Therapie aus medizinischer Sicht eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit hat.
Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Regel vor Ausspruch einer Kündigung die Chance zu einer Entziehungskur geben.
Rückfall begründet nicht automatisch negative Gesundheitsprognose
Eine negative Gesundheitsprognose kann je nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn auf Grund mehrerer fehlgeschlagener Entzugstherapien auch weiterhin mit einer Rückfallgefahr zu rechnen ist. Umgekehrt soll ein Rückfall nicht automatisch zu einer negativen Prognose führen (LAG Rheinland-Pfalz v. 17.06.2019, 3 Sa 32/19, BAG v. 20.12.2012, 2 AZR 32/11).
Fehlende Therapiebereitschaft des alkoholkranken Arbeitnehmers als Indiz für negative Gesundheitsprognose
Ist der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung nicht therapiebereit, soll nach der Rechtsprechung des BAG davon ausgegangen werden können, dass er von dieser Krankheit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird. Eine von dem Arbeitnehmer erst nach Ausspruch der Kündigung durchgeführte Therapie und ihr Ergebnis können in diesem Fall nicht zur Korrektur der Prognose herangezogen werden (BAG v. 09.04.1987, 2 AZR 210/86).
Vorsorglich auch krankheitsbedingte Kündigung
Steht für den Arbeitgeber nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, ob der Arbeitnehmer tatsächlich alkoholkrank ist, sollte der Arbeitgeber eine verhaltensbedingte und vorsorglich auch eine personenbedingte (krankheitsbedingte) Kündigung aussprechen.
Bei personen- und krankheitsbedingter Kündigung doppelte Betriebsratsanhörung
Ist bei dem Arbeitgeber ein Betriebsrat gebildet, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat entsprechend vorab zu beiden Kündigungsgründen anhören, also zur verhaltensbedingten sowie auch hilfsweise zur personenbedingten (krankheitsbedingten) Kündigung.
Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat erkennbar nur zu einer personenbedingten Kündigung wegen Alkoholsucht des Arbeitnehmers angehört, so kann er die Kündigung nicht nachträglich im gerichtlichen Verfahren als verhaltensbedingte Kündigung qualifizieren, denn der Arbeitgeber hat sich in der Anhörung dauf die verhaltensbedingten Gründe festgelegt, die eine andere Struktur und andere Begründungselemente haben als personenbedingte Gründe (LAG Hamm, Urteil v .01.03.2007, 17 Sa 1503/06).
Hintergrund: Alkohol- und Drogenmissbrauch
Alkohol- und Drogenmissbrauch kann eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn dadurch eine Beeinträchtigung der Arbeitsleistung eintritt oder wenn der Arbeitnehmer durch den Alkohol- oder Drogenkonsum sich oder andere gefährdet. Hat der Arbeitnehmer eine Funktion inne, bei der Alkohol- oder Drogenkonsum besonders gefährdend für sich oder andere wirkt, wie z.B. bei Berufskraftfahrern, Ärzten oder Piloten, kann schon ein einmaliger Verstoß gegen das Alkoholverbot während der Arbeitszeit einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen.
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