Kurz zum Auto auf dem Firmenparkplatz zurückgekehrt - ist Sturz noch ein Wegeunfall?
Eine Berufstätige fuhr morgens mit ihrem Auto zur Arbeit und stellte den Wagen auf dem Firmenparkplatz ihres Arbeitgebers ab. Sie stieg aus, um sich auf direktem Weg zu ihrer Arbeitsstätte zu begeben.
Zweifel, ihr Fahrzeug abgeschlossen zu haben
Nach wenigen Schritten, sie war nur ein bis zwei Meter von ihrem Fahrzeug entfernt, machte sie kehrt, weil sie bemerkt hatte, dass sie vergessen hatte zu überprüfen, ob sie das Fahrzeug tatsächlich abgeschlossen hat. Beim Umdrehen passierte es: Sie stolperte, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Dabei erlitt sie ein Trauma an der linken Schulter.
Berufsgenossenschaft verweigert Zahlung , weil der direkten Weg zur Arbeit verlassen wurde
Die zuständige Berufsgenossenschaft verweigerte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) und begründete dies damit, dass die Verletzung nicht mit der betrieblichen Tätigkeit in Zusammenhang gestanden habe. Mit der Drehung in Richtung ihres Fahrzeugs habe die Frau den unter Versicherungsschutz stehenden direkten Weg zur Arbeitsstätte verlassen. Sie habe sich auf einem aus eigenwirtschaftlichen Gründen gewählten Abweg befunden.
Auch das Sozialgericht hatte die Klage abgewiesen. Der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz sei in dem Moment unterbrochen worden, als sich die Frau aus eigenwirtschaftlichen Gründen in Richtung ihres Pkw umgedreht habe, um zu prüfen, ob sie dessen Tür verschlossen habe.
Bayerisches LSG: Arbeitnehmerin hat versicherten Weg nur geringfügig unterbrochen
Das Bayerische Landessozialgericht schloss sich dieser strikten Auffassung nicht an. Die Frau habe den versicherten Weg durch das Umdrehen in Richtung ihres Pkw lediglich in einer den Versicherungsschutz unberührt lassenden, geringfügigen Weise unterbrochen.
Generell gelte: Der Weg zum Ort der Tätigkeit ende mit dem Durchschreiten des Werkstores. Auf Wegen, die innerhalb eines abgegrenzten Werksgeländes liegen besteht nach § 8 Abs. 1 SGB VII Versicherungsschutz für Betriebswege.
Arbeitnehmerin stand beim Abstecher zum Auto noch unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hatte die Gestürzte zum Zeitpunkt des Unfallereignisses den Ort ihrer Tätigkeit (Arbeitsstätte) noch nicht erreicht. Deshalb stand sie noch unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII).
Das Gericht wiese darauf hin, dass der Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII nicht schon dadurch begründet werde, dass ein Versicherter auf dem unmittelbaren Weg zwischen seiner Wohnung und dem Ort der versicherten Tätigkeit einen Unfall erleidet. Versicherungsschutz bestehe nur dann, wenn der Weg erkennbar zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit zu erreichen.
Wann besteht ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit?
Kriterium für den o.g. sachlichen Zusammenhang:
- Die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges muss – zumindest auch – darauf ausgerichtet sein, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben.
- Das Handeln muss auf das Zurücklegen des direkten Weges („unmittelbar“) zu oder von der Arbeitsstätte gerichtet sein.
Im vorliegenden Fall habe sich die Frau bis zu dem von ihr eingeleiteten Richtungswechsel auf dem direkten, das heißt kürzesten Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Das Umdrehen der Frau hat nicht zum Entfallen des Versicherungsschutzes geführt. Es habe sich dabei um eine nur geringfügige und deshalb den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unberührt lassende Unterbrechung des unmittelbaren Weges zur Arbeitsstätte gehandelt.
Wann ist eine Unterbrechung des unmittelbaren Wegs zur Arbeitsstätte geringfügig?
Geringfügig ist eine Unterbrechung, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit anzusehen ist. Eine solche Unterbrechung sei davongekennzeichnet, dass sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf das ursprünglich geplante Ziel führe, weil sie ohne nennenswerte Verzögerung „im Vorbeigehen“ oder „ganz nebenher“ erledigt werden könne (BSG, Urteil v. 23.1.2018, B 2 U 3/16 R).
Das sah das Landessozialgericht hier als gegeben an.
(Bayerisches LSG, Urteil v. 10.02.2021, L 3 U 54/20).
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