Bei Lebensgefahr muss die Krankenkasse auch eine teure Auslandsbehandlung übernehmen
Kosten ärztlicher Behandlungen werden von Krankenkassen nicht nur gedeckt, sondern auch gedeckelt, so scheint es. In diesem besonderen Fall, der vor der Bremer Sozialgerichtsbarkeit landete, kann die betroffene Familie erleichtert sein, dass die Richter bei ihrer Entscheidung das Leiden des behandelten Jungen im Blick hatten und vielleicht dessen Leben gerettet haben.
Lebensbedrohliche Lungenerkrankung als Folge von Operationen am Herzen
Im März 2000 kam ein Kind mit einem schweren Herzfehler zur Welt. Schon in der ersten Lebenswoche musste es operiert werden; es folgten weitere Herz-OPs. Als wäre das nicht genug, kam später eine sog. „Bronchitis fibroplastica“ hinzu, eine seltene, qualvolle und vor allem lebensbedrohliche Folgeerkrankung. Es bilden sich stetig Eiweißklumpen (sog. Casts), die einen akut einsetzenden Husten und extreme Atemnot mit Erstickungsanfällen auslösen. Innerhalb von fünf Jahren ab Diagnose stirbt die Hälfte der Patienten oder benötigt eine Herz-Lungen-Transplantation.
Deutsche Ärzte bei „Bronchitis fibroplastica“ am Ende ihres Lateins, Hoffnung aus den U.S.A.
Bis Ende 2016 wurde Junge, inzwischen ein Teenager, am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein behandelt und schließlich ratlos entlassen, als eine Studie aus den U.S.A. auftauchte, die der Familie Hoffnung gab. Am Kinderklinikum in Philadelphia hatte ein Arzt
- eine weltweit einzigartige Behandlungsmethode gefunden, die
- mittels Verschlusses von Lymphgängen die Eiweißklumpenbildung unterband und
- bei allen 18 Test-Patienten zu einer Verbesserung geführt hatte.
Das Klinikum in Philadelphia gab den Eltern grünes Licht für eine Aufnahme ihres Sohnes in das Programm, sofern diese eine Kostenzusage einer Versicherung beibrächten. Selbst zahlen konnten sie die horrende Summe nicht.
Sämtliche medizinische Gutachter befürworten Behandlung in U.S.A.
Der Junge und seine Eltern brachten Stellungnahmen von Ärzten bei und auch die Krankenkasse initiierte über den Medizinischen Dienst eine Handvoll ärztlicher Gutachten verschiedener Unis und Medizinischer Hochschulen in Deutschland. Unisono kamen diese zu dem Ergebnis:
- Es besteht Lebensgefahr für den jungen Mann.
- Die letztmögliche Behandlung hierzulande ist eine Herz-Lungen-Transplantation.
- Die Behandlungsmethode der Kinderklinik in Philadelphia verspricht Linderung.
- Diese Methode ist in einem deutschen Klinikum nicht durchführbar.
Krankenkasse wollte trotz lebensbedrohlicher Situation nicht zahlen
Die Krankenkasse indessen lehnte die Übernahme der Kosten ab und wies den von den Eltern eingelegten Widerspruch zurück. Sie argumentiert:
- Die Kosten, die von der U.S.-Klinik verlangt würden, seien viel zu hoch und nicht nachvollziehbar.
- Es gebe noch keine Langzeitstudien für die amerikanische Studie.
- Der Junge könne sich in Deutschland alternativ noch Herz und/oder Lunge transplantieren lassen.
- Der Widerspruch sei verfristet.
Erfolgreiche Behandlung in Philadelphia nach Obsiegen im Eilverfahren
Die Eltern stellten gleichzeitig einen Antrag auf einstweilige Anordnung und erhoben Klage vor dem Sozialgericht Bremen. SG und LSG Bremen (Beschwerde) entschieden im Verfahren auf einstweiligen Rechtschutz zugunsten des Jungen. Er ließ sich im Dezember 2017 mit Erfolg in Philadelphia behandeln und kann seitdem erstmals wieder regelmäßig zur Schule gehen.
Bei Lebensgefahr und alternativloser Behandlung spielt die Kostenhöhe keine Rolle
Das Sozialgericht Bremen bestätigte die Einschätzung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und verurteilte die Krankenkasse zur Zahlung (§ 18 Abs.1 S.1, Abs.2 i.V.m. § 2 Abs.1, Abs.1a SGB V). Den Argumenten der Krankenkasse begegnet das SG Bremen wie folgt:
- Das Krankenversicherungsrecht kennt keine kostenmäßige Beschränkung. Im Übrigen würde eine Herz-Lungen-Transplantation ähnlich viel kosten wie die Behandlung in Philadelphia.
- Die fehlenden Studien sind irrelevant, es reicht die entfernte Aussicht auf Heilung.
- Der Verweis auf die Transplantation ist wegen der damit verbundenen Unsicherheiten und Risiken unzumutbar, solange es die alternative Behandlungsmethode gibt. Das Ermessen der Krankenkasse ist in diesem Fall auf Null reduziert.
- Die Verfristung hatte die Kasse selbst provoziert, weil es ihren Bescheid als vorläufig bezeichnete und noch umfangreiche Gutachten danach einholte. Die Berufung hierauf war daher treuwidrig.
Die Krankenkasse hat Berufung gegen das Urteil eingelegt.
(SG Bremen, Urteil v. 23.10.2018, S 8 KR 263/17).
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