BAG zur Verwertung 6 Monate alter Videoaufzeichnungen im Kündigungsschutzprozess
Die Arbeitnehmerüberwachung findet im Spannungsfeld zwischen den Persönlichkeitsrechten des Arbeitnehmers und dem Interesse des Arbeitnehmers an loyalen Mitarbeitern und dem Schutz seines Geschäftsbetriebs von Straftaten. Nun hat das BAG die Grenze ein Stück weit zu Gunsten der Arbeitgeber verschoben.
Aufzeichnungen sichtbarer Videokamera als Beweismittel für Unterschlagung
In einem Zigaretten- und Zeitschriftengeschäft mit angeschlossener Lottoannahmestelle war eine Überwachungskamera sichtbar installiert. Mit deren Aufzeichnungen wollte der Inhaber sich vor Straftaten von Kunden und Arbeitnehmern schützen.
Erst nachdem er bei einer Stichprobe einen Warenschwund feststellte, ließ der Inhaber am 1. August 2016 die mittlerweile 6 Monate alten Aufzeichnungen der Überwachungskamera von zwei Arbeitstagen einer seiner Verkäuferinnen analysieren. Danach hatte sie seiner Ansicht nach in drei Fällen Tabakwaren verkauft und die eingenommenen 35 EUR in die Lottokasse gelegt, sei dann mit der Lottokasse ins Büro gegangen und habe sie bei der Rückkehr in der anderen Hand gehalten.
Diese Videoaufzeichnungen deutete der Geschäftsinhaber so, dass die Verkäuferin in die Ladenkasse gegriffen habe und ihre fristlose Kündigung „wegen der begangenen Straftaten“ gerechtfertigt sei. Sie bestritt die Unterschlagung und klagte gegen die Kündigung.
In den ersten Instanzen hatte der Arbeitgeber mit seiner Beweisführung keinen Erfolg
Das LAG Hamm sah eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmerin. Der Arbeitgeber hätte die Kamerabilder regelmäßig überprüfen und dann unverzüglich löschen müssen. Durch den Verstoß gegen den Datenschutz durch unverhältnismäßig lange Datenspeicherung bestehe für die Erkenntnisse aus den Videoaufzeichnungen ein Beweisverwertungsverbot: Die Bildsequenzen hätten jedenfalls deutlich vor dem 1. August 2016 gelöscht werden müssen. Das LAG hatte deshalb die Kündigung der Verkäuferin aufgehoben.
Wie alte Aufzeichnungen dürfen im Arbeitsgerichtsverfahren als Beweis dienen?
Das BAG sah dies anders. Die Speicherung von Bildsequenzen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, wird nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig und damit zum nicht verwertbaren Datenschutzverstoß.
Der Beklagte musste das Bildmaterial laut BAG nicht sofort auswerten, sondern durfte hiermit solange warten, bis er für die Auswertung einen berechtigten Anlass sah. Sie dürften solange gespeichert werden, wie die Ahndung einer eventuellen Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich sei. Sollte es sich um eine rechtmäßige offene Videoüberwachung gehandelt haben, wäre die Verarbeitung und Nutzung der einschlägigen Bildsequenzen nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG aF daher zulässig gewesen. Damit stünde das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Verwendung des Materials nicht entgegen. Das BAG hob das LAG-Urteil auf und verwies die Sache an das Landesarbeitsgericht zurück.
BAG äußerte sich auch zur Rechtslage nach der DSGVO
Sollte die Videoüberwachung rechtmäßig erfolgt sein, stünden nach seinem Dictum auch die Vorschriften der seit dem 25. Mai 2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung einer gerichtlichen Verwertung der erhobenen personenbezogenen Daten der Klägerin im weiteren Verfahren nicht entgegen.
(BAG, Urteil v. 23. 8.2018, 2 AZR 133/18; Vorinstanz: LAG Hamm, Urteil v. 20. 12. 2017, 2 Sa 192/17 )
Normen:
*§ 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG in der bis zum 25. Mai 2018 geltenden Fassung (aF) lautet:
Personenbezogene Daten eines Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist.
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