Surrogate für einen entfallenden Wohnvorteil sind beim Unterhalt zu berücksichtigen
Im Juli 2011 wurde die Ehe der beteiligten Eheleute rechtskräftig geschieden. Im Scheidungsverbund blieb noch der nacheheliche Aufstockungsunterhalt anhängig, den die Ehefrau gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann geltend machte. Das Nettoeinkommen des Ehemannes lag zuletzt bei knapp 3.000 €, das der Ehefrau bei knapp 2.000 € monatlich. Das beiden zur Hälfte gehörende Familienheim bewohnt die Ehefrau inzwischen allein. Seinen hälftigen Miteigentumsanteil hatte der Ehemann im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung gegen Zahlung von 50.000 € an die Ehefrau abgetreten. Das Familiengericht hatte den geschiedenen Ehemann zur Zahlung eines monatlichen Aufstockungsunterhalts in Höhe von 300 € verpflichtet, befristet auf fünf Jahre ab Rechtskraft der Scheidung.
Die Vorinstanzen lassen Wohnvorteil nach Anteilsverkauf unberücksichtigt
Das OLG hatte bei der Einkommensberechnung der Ehefrau den Wohnvorteil, der durch das alleinige Bewohnen des ehemaligen Familienheims entstand, nicht mehr berücksichtigt. Das OLG begründete dies damit, dass die geschiedene Ehefrau ihrem Ehemann bereits 50.000 € für seinen früheren Miteigentumsanteil ausgezahlt habe. Durch Erwerb eines neuen Eigenheims unter anderem mit Hilfe dieser Summe profitiere der Ehemann inzwischen in gleicher Weise von dem früheren gemeinsamen Familienheim wie die Ehefrau. Im Ergebnis beließ es das OLG bei der nach seiner Auffassung angemessenen Unterhaltsentscheidung des Familiengerichts
Aufstockungsunterhalt unter Berücksichtigung der Wohnvorteile
Der BGH hob die Entscheidung des OLG auf und stellte hierzu einige grundlegende Überlegungen an. Grundsätzlich bestätigte der BGH den rechtlichen Ausgangspunkt des OLG, wonach ein geschiedener Ehegatte Aufstockungsunterhalt gemäß § 1578 Abs.1 Satz 1 BGB verlangen kann, wenn seine Einkünfte zu einem angemessen Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen nicht ausreichen. Bei der Berechnung des Unterhalts sei grundsätzlich auch der Wohnvorteil zu berücksichtigen, den ein Ehegatte aus der alleinigen Nutzung der bisherigen ehelichen Wohnung ziehe. Die Berücksichtigung dieses Vorteils ende allerdings nicht – wie es das OLG fälschlicherweise angenommen habe – mit der Veräußerung von Miteigentumsanteilen.
Surrogate für Wohnvorteile sind unterhaltsrelevant
Nach Auffassung des BGH hat das Familiengericht vielmehr zu beurteilen, welche Surrogate den Wohnvorteil ersetzt hätten und diese Surrogate gegebenenfalls angemessen zu bewerten. Hierfür hat der BGH folgende Grundsätze aufgestellt:
- Veräußert ein Ehegatte seinen Miteigentumsanteil an der ehemaligen Ehewohnung, so tritt an die Stelle seines früheren Nutzungsvorteils als Surrogat der Zins aus dem Erlös, den er aus dem Verkaufserlös zieht.
- Erwirbt der veräußernde Ehegatte mit Hilfe des Erlöses eine neue Wohnung, so tritt der Nutzungsvorteil der neuen Wohnung an die Stelle des Zinserlöses.
- Erwirbt der die frühere Wohnung nutzende Ehegatte von dem aus der Wohnung gewichenen Ehegatten dessen Eigentumsanteil, so tritt an die Stelle seines bisherigen hälftigen Nutzungsvorteils der volle Nutzungsvorteil der Wohnung.
Fazit: Im Ergebnis erhöht sich das unterhaltsrelevante Einkommen des in der Wohnung verbliebenen Ehepartners auf den vollen Nutzungswert des früheren Familienheims, abzüglich der Zinsaufwendungen aus hierfür aufgenommenen Darlehen sowie abzüglich der Tilgungsaufwendungen, soweit diese als zusätzliche Altersvorsorge verstanden werden können (BGH, Urteil v.05.03.2008, XII ZR 22/06). Das Gleiche gilt im umgekehrten Sinne für den gewichenen Ehepartner, der mit Hilfe des Verkaufserlös aus seinem Miteigentumsanteil eine neue Wohnung erworben hat
OLG muss wechselseitige Wohnvorteile bewerten
Da die Vorinstanzen diese Grundsätze nicht berücksichtigt hatten, fehlt es nach Auffassung des BGH an tatsächlichen Feststellungen dazu, wie die aktuellen Wohnvorteile zu bewerten sind. Dies muss die Vorinstanz noch aufklären und dann auf dieser Grundlage den Unterhalt neu berechnen. Zu diesem Zweck hat der BGH die Sache an das OLG zur weiteren Sachaufklärung zurück verwiesen.
(BGH, Beschluss v. 09.04.2014, XII ZB 721/12)
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