BGH erläutert Voraussetzungen einer Parteivernahme von Amts wegen

Eine Parteivernehmung von Amts wegen setzt voraus, dass die beweisbelastete Partei sämtliche ihr zumutbaren Zeugenbeweise angetreten hat. Ihr ist aber nicht zuzumuten, dass sie einen im Lager des Prozessgegners stehenden Zeugen benennt. Der BGH hat die zu beachtenden Vorgaben erläutert.

Im vom BGH entschiedenen Fall hatten die von einem verstorbenen Ehepaar als Schlusserben eingesetzten Kläger den Beklagten wegen Barabhebungen und Überweisungen von Konten des Erblassers auf Erstattung in Anspruch genommen.

Der Beklagte war Nachfolger des Erblassers als Chef der Wertpapierabteilung einer örtlichen Bankfiliale und mit dem Erblasser und seiner Ehefrau seit Jahren befreundet.

Der Beklagte beruft sich auf anweisungsgemäße Weitergabe der Geldbeträge

Kernpunkt der vor dem BGH verhandelten Revision waren Barabhebungen des Beklagten vom Konto des Erblassers zu dessen Lebzeiten in Höhe von etwas über 60.000 Euro, die der Beklagte nach seiner Darstellung einem der Kläger auf Wunsch des Erblassers übergeben sollte. Diesem Wunsch ist der Beklagte nach seiner von den Klägern bestrittenen Behauptung durch Übergabe von zwei Geldtaschen und einem Briefumschlag nachgekommen.

OLG hält Beweis für Geldweitergabe für nicht erbracht

Das Berufungsgericht hat den Beklagten - nach Abweisung der Klage durch das erstinstanzliche LG - zur Zahlung der abgehobenen Geldbeträge an die Kläger verurteilt. Die erstinstanzlich durchgeführte Befragung zweier Zeugen war nach Auffassung des OLG unergiebig geblieben. Die Zeugen hätten zwar die Übergabe zweier Geldtaschen und eines Briefumschlags bestätigt, jedoch hätten die Zeugen keine klaren Angaben dazu machen können, ob diese Behältnisse neben anderen Unterlagen auch Geld enthielten und insbesondere nicht welche Geldbeträge. Damit sei der Beklagte für seine Behauptung der Geldübergabe an einen der Kläger beweisfällig geblieben, der Zahlungsklage daher stattzugeben.

BGH rügt fehlerhafte Beweiswürdigung durch OLG

Die Beweiswürdigung durch das OLG sah der BGH als fehlerhaft an. Die Vorinstanz habe übersehen, dass die vernommenen Zeugen Indizien dafür bekundet hätten, dass sich in dem Briefumschlag und in den Geldtaschen, die der Beklagte unstreitig an den Kläger zu 2 übergeben hat, jeweils größere Bargeldbeträge befunden hätten.

So habe ein Zeuge bekundet, dass bei der Übergabe einer Geldtasche „Unterlagen mit dabei waren“. Die Unterlagen seien aber offen übergeben worden. Des weiteren habe eine Zeugin ausgesagt, dass sie Gespräche mitbekommen habe, wonach abgehobenes Bargeld an den Kläger weitergegeben werden sollte.

Hilfstatsachen nicht berücksichtigt

Mit diesen wichtigen Details der Zeugenaussagen, hat das Berufungsgericht sich nach der Wertung des BGH nicht hinreichend auseinandergesetzt. Richtig sei, dass mit diesen Zeugenaussagen die Übergabe von gut 60.000 Euro an den Kläger nicht erwiesen sei. Die Zeugen hätten aber Hilfstatsachen, wie die von der Zeugin bekundeten Gespräche zwischen dem Erblasser und dem Beklagten sowie die offene Übergabe von Unterlagen neben den verschlossenen Geldtaschen und dem verschlossenen Briefumschlag angegeben, die den Schluss nahe legten, dass in den Geldtaschen nicht unerhebliche Geldbeträge enthalten gewesen sein könnten.

OLG hätte die Zeugen erneut vernehmen müssen

Diese Hilfstatsachen hatte das erstinstanzliche Gericht, bei dem die Beweisaufnahme durchgeführt wurde, in seinem Urteil ebenfalls nicht gewürdigt, musste dies aber auch nicht, weil es zu einem anderen Endergebnis gekommen war. Hiernach hätte das zweitinstanzlich zuständige OLG nach dem Diktum des BGH von einer erneuten Vernehmung der Zeugen nicht mit der Begründung absehen dürfen, eine erneute Vernehmung sei entbehrlich, da die Aussagen der Zeugen im Hinblick auf die in den Geldtaschen nach der Behauptung des Beklagten enthaltenen Geldbeträge unergiebig seien.

Bestünden Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils, so sei in der Regel eine erneute Beweisaufnahme geboten und die bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nach § 398 Abs. 1 ZPO erneut zu vernehmen.

Parteivernehmung von Amts wegen bei Vorliegen eines Anbeweises

Den darin enthaltenen Verfahrensfehler der Vorinstanz bewertete der BGH als entscheidungserheblich, denn es sei nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach erneuter Vernehmung der Zeugen in Bezug auf die Umstände der behaupteten Geldübergaben eine Vernehmung des Beklagten als Partei hätte in Betracht ziehen müssen. Die von den Zeugen bekundeten Hilfstatsachen könnten es nach Auffassung des BGH rechtfertigen, von einem sogenannten „Anbeweis“ auszugehen, der Grundlage für eine Parteivernahme des Klägers von Amts wegen gemäß § 448 ZPO sein könnte.

BGH erläutert Voraussetzungen der Parteivernehmung von Amts wegen

Der BGH repetierte in seinem Urteil die gesetzlichen Voraussetzungen der Parteivernehmung von Amts wegen. Hiernach ist die Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO

grundsätzlich subsidiär und kommt nur in Betracht, wenn

  • eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptungen der beweisbelasteten Partei
  • bei einer nach dem bisherigen Verhandlungsergebnis ansonsten bestehenden „non-liquet-Situation“ (lat. = es löst sich nichts auf) besteht (BGH, Urteil v. 8.7.2010, III ZR 249/09)
  • und die beweisbelastete Partei sich in Beweisnot befindet (BGH, Urteil v. 26.3.1997, IV ZR 91/96).
  • Die erforderliche Beweisnot setze voraus, dass sämtliche angebotenen Beweismittel ausgeschöpft sind und die beweisbelastete Partei sämtliche ihr zumutbaren Zeugenbeweise angetreten hat.

Die Partei muss keine Zeugen aus dem Lager des Gegners benennen

Das Erfordernis der Beweisnot verlangt nach Auffassung des BGH von der beweisbelasteten Partei nicht, dass sie Zeugen aus dem Lager des Prozessgegners benennt. So habe der Beklagte im konkreten Fall zum Beweis des Inhalts der übergebenen Behältnisse sich nicht auf das Zeugnis der Ehefrau des Klägers zu berufen oder gar die Parteivernehmung des Klägers beantragen müssen. Ein solcher Beweisantritt sei nicht zumutbar.

Subsidiaritätsbedingungen für eine Parteivernehmung sind erfüllt

Im konkreten Fall sah der BGH die Subsidiaritätsbedingungen für eine Vernehmung des Beklagten als Partei als grundsätzlich erfüllt an, da die Vernehmung der Zeugen keinen vollen Beweis für die Richtigkeit des Vorbringens des Beklagten erbracht habe und ein weiterer neutraler Zeuge nicht existiere.

Für eine endgültige Beurteilung fehle es aber an der erforderlichen weiteren Vernehmung der Zeugen durch die Vorinstanz. Daher hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Der BGH gab dem OLG auf, nach der Vernehmung der Zeugen und einer erneuten Würdigung der Zeugenaussagen die Voraussetzungen für eine Vernehmung des Beklagten als Partei gemäß § 448 ZPO gewissenhaft zu prüfen und gegebenenfalls auch eine einfache Parteianhörung des Beklagten gemäß § 141 ZPO in Erwägung zu ziehen.

(BGH, Urteil v. 12.12.2019, III ZR 198/18).


Hintergrund: Parteivernahme

Regelmäßig sind es die Parteien selbst, die über den Sachverhalt am besten Bescheid wissen. Ist der Sachverhalt streitig, stellt sich die Problematik der Parteieinvernahme nach § 445 ff. ZPO. Das BAG (v. 14.11.2013, AZR 813/12) entschied, dass allein die Tatsache, dass der Kläger für seine bestrittenen Behauptungen keinen ihm möglichen Zeugenbeweis angeboten habe, dass Gericht nicht von seiner Verpflichtung zur Parteivernehmung nach § 448 ZPO entbinde. Jedoch müsse für die zu beweisende Tatsache aufgrund einer vorausgegangenen Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit sprechen. Lehnt das Berufungsgericht eine Parteivernahme ab, müssen die Feststellungen in einer § 286 ZPO genügenden Weise getroffen sein. Dafür bedarf es der Angabe von Gründen für die Überzeugungsbildung. 


Schlagworte zum Thema:  Recht, Beweislast, Erbrecht