Höhere Entschädigung bei zu langen Verfahren in Kindschaftssachen mit Kleinkindern
Die Kinder waren kaum auf der Welt, da wurde schon um sie gestritten.
Trennung von der Mutter im frühkindlichen Alter
Die Eltern trennten sich noch vor der Geburt des zweiten Babys, das der Mutter einen Tag nach der Niederkunft im Juli 2012 entzogen wurde. Nach einem Aufenthalte in einer Pflegefamilie lebten die Geschwister ab Mai 2013 beim sorgeberechtigten Vater. Die Mutter leitete ein Jahr später das erste Umgangsverfahren ein. Da waren die Kinder knapp 4 ½ und 2 Jahre alt.
Über den Umgang wurde erst entschieden, als die Kinder schulpflichtig waren
Bis über das beantragte Umgangsrecht der Mutter entschieden wurde, waren mehr als vier Jahre vergangen. Zugestanden wurden ihr zunächst 14-tägige begleitete Treffen mit ihren Kindern, dann zusätzlich noch einmal monatlich unbegleitet. Bis zu dieser Entscheidung hatte die Mutter ihre Kleinen nur sehr selten zu Gesicht bekommen.
Langes Verfahren durch abweisende Entscheidungen, Rechtsmittel und Befangenheit
Gestritten wurde in Form des einstweiligen Rechtsschutzes inklusive Beschwerden sowie im Hauptsacheverfahren. Der Gerichtsmarathon umfasste zusätzlich erfolgreiche Befangenheitsanträgen gegen eine Richterin und eine Sachverständige, was ebenfalls Zeit kostete.
Trotz mitgeteilter Überlastung keine Bestellung eines neuen Sachverständigen
Den gravierendsten Verfahrensstillstand gab es, als das Gericht es bei einer Sachverständigenbestellung beließ, obwohl die Sachverständige wegen hoher Auslastung langes Warten auf ihr Gutachten angekündigt hatte. Der Bitte der Mutter, jemand anderen zu beauftragen, wurde nicht entsprochen. Mehr als 14 Monate gingen zwischen Bestellung und Gutachtenvorlage ins Land.
Zug durch die Instanzen auch für die höhere Entschädigung
Das beklagte Land in dem Entschädigungsverfahren hatte der Mutter - bestätigt durch das OLG Koblenz - den Regelsatz als Entschädigung für die Langsamkeit des Gerichts zugesprochen (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG). Das waren 3.700 Euro.
Für die Verfahrensverzögerung von 37 Monaten wollte die Mutter aber deutlich mehr. Ihr langer Atem zahlte sich aus. Der BGH entschied in der Revision, dass hier ein Sonderfall vorliegt, der eine höhere Entschädigung nach sich zieht. Wieviel genau, dass muss nun wieder das OLG Koblenz herausfinden und entscheiden.
Verzögerungen in Kindschaftssachen führen nur ausnahmsweise zu höherer Entschädigung
In Umgangs- und Sorgerechtsverfahren gilt das Vorrang- und Beschleunigungsgebot (§ 155b FamFG). Tritt eine unnötige Verzögerung ein, löst dies aber nicht per se eine erhöhte Summe für die erlittenen immateriellen Nachteile aus. Jeder Fall muss mit seinen Besonderheiten betrachtet werden, die im Vergleich zum typischen Rechtsstreit seiner Art entschädigungsrelevant herausstechen muss.
Je kleiner die Kinder, desto größer der Schaden bei verlorener gemeinsamer Zeit
In diesem Fall hat den BGH das junge Alter der Kinder und die Tatsache, dass das Zweitgeborene von Anfang an nicht bei der Mutter war, dazu bewogen solche besonderen Umstände anzunehmen. Bei kleinen Kindern ist die Gefahr irreparabler Folgen durch fortschreitenden Zeitablauf besonders groß. Eine Entfremdung kann kaum aufgeholt werden.
OLG Koblenz muss Entschädigung neu und höher bewerten
Die besondere persönliche Bedeutung des Verfahrens für die Mutter und ihre schwerwiegende Beeinträchtigung durch die erhebliche Verschleppung der Verfahren muss das OLG Koblenz nun einer neuen Bewertung unterziehen. Die Entschädigung, die es zuspricht muss höher sein als der Pauschalsatz. Konkretere Vorgaben hat der BGH nicht mit auf den Weg gegeben.
(BGH, Urteil v. 6.5.2021, III ZR 72/20).
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Hintergrund: Beschleunigungsgrundsatz in Kindschaftssachen
Dieser Justizgewährungsanspruch erlangt gerade in Kindschaftssachen besondere Bedeutung, weil mit einer zunehmenden Verfahrensdauer eine Entfremdung oder eine Kontinuität zum Nachteil des anderen Elternteils zunehmen können, so dass nicht mehr der Richter, sondern der Zeitablauf den Streitfall entscheidet. Hinzu kommt die besondere, teilweise existenzielle persönliche Betroffenheit der Beteiligten.
Ein fest umrissener Zeitrahmen, ab dessen Überschreitung diese Voraussetzungen erfüllt sind, besteht nicht. Maßgeblich sind vielmehr die jeweiligen Einzelfallumstände (BVerfG, Beschluss vom 24.07.2008 , 1 BvR 547/06. Allerdings wird der Beschleunigungsgrundsatz in den von § 155 FamFG erfassten Kindschaftssachen konkretisiert und verschärft (Saarländisches, OLG Beschluss v. 23.08.2011, 6 WF 92/11).
Völker/Clausius, Das familienrechtliche Mandat - Sorge- und Umgangsrecht in : Deutsches Anwalt Office Premium
Ausschluss und Einschränkung des Umgangsrechts
In Ausnahmefällen kann der Richter den Umgang eines Elternteils mit dem Kind vollständig unterbinden, z.B. in Fällen extremer Entfremdung oder Misshandlung. Ein völliger oder fast völliger Ausschluss des Umgangsrechts darf nur angeordnet werden, wenn anderenfalls eine konkrete und gegenwärtig bestehende Gefährdung der körperlichen oder geistig seelischen Entwicklung des Kindes droht.
Daneben ist Voraussetzung, dass keine milderen Mittel zum Schutz des Kindes in Betracht kommen, um der konkreten Gefährdung zu begegnen, z. B. eine vorübergehende Einschränkung des Umgangsrechts oder Anwesenheit einer neutralen Aufsichtsperson.
Als mildere Einschränkung besteht die Möglichkeit der Anordnung des betreuten Umgangs, d.h. das Umgangsrecht wird im Beisein einer dritten, neutralen Person (z.B. des Jugendamtes) ausgeübt. Der betreute Umgang bietet auch die Möglichkeit einer Kindesübergabe, bei der die Eltern sich nicht sehen. Dies kann in Extremfällen Stresssituationen auch für das Kind vermeiden helfen.
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