Libanesisches Scharia-Gericht vs. deutsches Familiengericht

Die Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens vor einem libanesischen Scharia-Gericht ist ein Verfahrenshindernis für die Durchführung der Scheidung vor einem deutschen Familiengericht. Das Familiengericht muss den Verfahrensgang im Libanon abwarten.

So sieht es jedenfalls das OLG Hamm. Im April 2015 hatte die 24 Jahre alte Ehefrau vor einem sunnitischen Scharia-Gericht im Libanon die Scheidung von ihrem 28 Jahre alten Ehemann beantragt. Im Libanon hatten die Parteien im Jahr 2009 die Ehe geschlossen. Später lebten die Eheleute in Deutschland, wo auch ihre gemeinsame Tochter geboren wurde.

Scheidungsantrag zunächst beim Scharia-Gericht im Libanon

Im Juli 2014 trennten sich die Eheleute. Darauf beantragte die Ehefrau im April 2015 die Ehescheidung im so genannten  „al tafreeq“-Verfahren vor einem Scharia-Gericht im Libanon. Dieses Verfahren beinhaltet den Antrag auf Scheidung wegen nachgewiesenen Verschuldens des Ehemannes. Daneben beantragte die Ehefrau, den Ehemann zur Leistung der Abendgabe zu verurteilen.

Ein halbes Jahr später Scheidungsantrag beim deutschen Familiengericht

Erst im September 2015 stellte die Ehefrau zusätzlich einen Scheidungsantrag beim Familiengericht in Herne. Dort stellte der Ehe man darauf den Antrag, das Scheidungsbegehren seiner Frau zurückzuweisen. Zum einen wolle er nicht geschieden werden, zum zweiten habe ihn seine Frau im Libanon auf Leistung der Abendgabe in Anspruch genommen. Dieser Anspruch sei unbegründet.

Familiengericht spricht Scheidung aus

Der Familienrichter sah sich durch das Scheidungsverfahren im Libanon nicht daran gehindert, dennoch die Scheidung in Deutschland auszusprechen. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde des Ehemannes hob das OLG Hamm den Scheidungsspruch des AG wieder auf.

OLG hält deutsches Scheidungsverfahren für unzulässig

Nach Auffassung des OLG ist der Scheidungsantrag der Ehefrau im Libanon als regulärer, vor dem libanesischen Gericht rechtshängig gewordener Scheidungsantrag zu bewerten. Die Ehe der Parteien sei nach dem Schariarecht im Libanon gültig geschlossen worden, demgemäß entfalte auch der dort eingereichte Scheidungsantrag zunächst volle rechtliche Wirkung, indem er zur Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens führe. Durch den weiteren Scheidungsantrag bei dem deutschen Familiengericht sei eine doppelte Rechtshängigkeit entstanden mit der Gefahr widerstreitender Urteile. Der Einwand der doppelten Rechtshängigkeit hindere deshalb die Durchführung des Scheidungsverfahrens vor dem deutschen Familiengericht.

Deutsche Gerichte können grundsätzlich Schariarecht anwenden

Die Entscheidung des OLG enthält allerdings den Hinweis, dass ein örtlich zuständiges deutsches Familiengericht grundsätzlich auch die sachliche Zuständigkeit besitzt, eine nach dem Schariarecht geschlossene Ehe zu scheiden, wenn ein Scheidungsverfahren vor einem anderen Gericht noch nicht anhängig ist. Auch die Auslegung von nach dem Recht der Scharia geschlossenen Verträgen, die Entscheidung über die Zahlung einer Morgen- oder einer Abendgabe obliegt in diesem Fall dem deutschen Familiengericht. Gemäß Art 10, 12 Rom III VO und Art. 6 EGBGB hat ein deutsches Gericht hierbei allerdings die unverzichtbaren Grundsätze des deutschen Familienrechts, den so genannten „ordre public“, zu beachten und darf keine Entscheidungen treffen, die diesen unverzichtbaren Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung - wie zum Beispiel dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau - zuwiderlaufen (OLG Hamm, Beschluss v. 22.4.2016, 3 UF 261/15).

Scheidungsverfahren wird ausgesetzt

Im Ergebnis hat das OLG das Scheidungsverfahren an das AG zurückverwiesen mit der Maßgabe, dass das Verfahren so lange auszusetzen ist, bis das Scheidungsverfahren sowie das Abendgabeverfahren im Libanon abgeschlossen sind.

(OLG Hamm, Beschluss v. 6.1.2017 .3 UF 106/16)

 

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