Scharia-Ehevertrag wird nach „ordre public“ zugunsten der Ehefrau ausgelegt
Das OLG Hamm hatte über die Rechtmäßigkeit eines Ehevertrages zu entscheiden, der vor einem Scharia-Gericht nach muslimisch-sunnitischem Recht geschlossen worden war.
Im Ehevertrag vereinbartes Brautgeld
Der 31 Jahre alte Ehemann ist deutscher Staatsbürger libanesischer Abstammung, die 27 Jahre alte Ehefrau besitzt ausschließlich die libanesische Staatsangehörigkeit. Im Jahre 2005 arrangierten die Eltern des Paares die Eheschließung im Libanon nach islamisch-sunnitischem Recht vor dem Scharia-Gericht in Beirut. Dort schlossen die Eheleute einen Ehevertrag, der unter anderem folgende Regelungen enthält:
„Die Parteien genehmigen diesen Ehevertrag und vereinbaren das Brautgeld auf eine Abschrift des heiligen Korans, eine englische Goldlira und 15.000 US-Dollar. Morgengabe: eine Abschrift des heiligen Korans zum Segnen und eine englische Goldlira. Abendgabe: nur 15.000 US-Dollar“.
Ehefrau beantragt Scheidung
Nach der Eheschließung lebte das Paar in Deutschland. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. Anfang Dezember 2013 zog der Ehemann aus der Ehewohnung aus. Seither lebt ein Kind bei dem Ehemann, die beiden anderen Kinder bei der Ehefrau.
- Im November 2014 hat die Ehefrau das Scheidungsverfahren vor dem zuständigen Familiengericht in Deutschland eingeleitet.
- Gleichzeitig stellte sie den Antrag auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von 15.000 US-Dollar.
- Das Familiengericht hat die Scheidung im Einvernehmen beider Parteien ausgesprochen, den Versorgungsausgleich durchgeführt und zugleich den Ehemann verpflichtet, an die Ehefrau 15.000 US-Dollar zu zahlen.
- Diese Entscheidung stützte das Familiengericht auf die im Ehevertrag vereinbarte Abendgabe.
- Hiergegen hat der Ehemann Beschwerde eingelegt.
Entscheidung nach Ottomanischen Familiengesetz
Das OLG bestätigte nun die Entscheidung des Familiengerichts. Nach Auffassung des Senats hatten die Eheleute einen so genannten „Mahr“ wirksam vereinbart.
Ein Mahr beinhaltet die Vereinbarung einer Morgengabe sowie einer Abendgabe, die - zumindest teilweise - bei der Scheidung fällig wird.
Nach Auffassung des Senats gilt in rechtlicher Hinsicht für den Abschluss des Ehevertrages das Recht der sunnitischen Gemeinschaft im Libanon, da ausweislich des Inhalts der Heiratsurkunde beide Eheleute die muslimisch-sunnitische Region besitzen.
Das „Ottomanische Familiengesetz“ von 1917, geändert durch das Gesetz vom 16.07.1962 habe im Libanon heute noch Geltung. Der geschlossene Vertrag entspreche den dort enthaltenen Vorschriften der Art. 33-37.
Beglaubigung durch Scharia-Richter ist öffentliche Beurkundung
Der Senat sah es als unerheblich an, dass der Ehemann bestritt, diesen Vertrag unterschrieben zu haben. Der die Eheschließung vornehmende Scharia-Richter habe die Heiratsurkunde beglaubigt und damit die Richtigkeit der Unterschrift des Ehemannes bestätigt. Die Beweiskraft dieser öffentlichen Urkunde gemäß § 415 ZPO habe der Ehemann nicht widerlegen können.
Mahr kann unterhaltsähnlichen Versorgungsanspruch beinhalten
Materiellrechtlich bewertete der Senat den vereinbarten „Mahr“ als einen unterhaltsähnlichen Versorgungsanspruch der Ehefrau. Nach Art. 80 - 90 des Ottomanischen Familiengesetzes hat der Ehemann diesen aber nur dann zu zahlen, wenn eine von ihm ausgehende „Scheidungsverstoßung“ erfolgt, nicht aber, wenn die Ehefrau die Auflösung der Ehe verlangt.
Benachteiligung der Ehefrau mit „Ordre-public“ nicht vereinbar
Diese Einschränkung ist nach Auffassung des OLG allerdings mit wesentlichen Grundgedanken des deutschen Scheidungsrechts nicht zu vereinbaren.
Versorgung nach ottomanischem Recht darf in Deutschland gem. ordre public nicht an Verstoßungsscheidung geknüpft sei
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Entsprechend Art. 10,12 Rom III VO müsse dieser Teil der Vereinbarung unter Berücksichtigung der Grundregel des Art. 6 EGBGB nach dem Prinzip des in Deutschland geltenden „Ordre-public“ ausgelegt werden.
- Dies führe nach dem durch das Grundgesetz postulierten Gleichheitsprinzip dazu, dass die vereinbarten Scheidungsfolgen auch dann eintreten, wenn die Ehefrau die Scheidung verlangt.
- Die islamische Bestimmung beruhe auf einem mit der deutschen Rechtsordnung nicht zu vereinbarenden, die Ehefrau einseitig benachteiligenden Verschuldensprinzip.
Die Ehefrau stehe hiernach ohne eine unterhaltsrechtliche Versorgung da, wenn sie selbst die Scheidung begehrt.
Diese gleichheitswidrige Diskriminierung der Ehefrau widerspreche den Unterhaltsregeln des deutschen Rechts gemäß §§ 1569 ff BGB fundamental.
Verstoßung der Ehefrau nicht entscheidungserheblich
Nach Auffassung des Senats beinhaltet die vereinbarte Geldsumme, die sich auf rund 13.260 Euro beläuft, eine angemessene Absicherung der Ehefrau, zumal sie zwei kleine Kinder versorge.
Nach alledem kommt es nach Auffassung des Gerichts auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich der Ehemann von seiner Ehefrau nach islamischem Recht schon im März 2014 unter einer Brücke mit dem dreimaligen Ausruf „Talaq“ (= ich verstoße dich) wirksam geschieden hat. Auch dieser „Talaq“ hätte nach Auffassung des Senats nach dem Ehevertrag den Anspruch auf Zahlung der Abendgabe ausgelöst, so dass insoweit der Anspruch der Ehefrau auch nach sunnitisch-muslimischem Recht gerechtfertigt wäre.
Im Ergebnis blieb das Rechtsmittel des Ehemanns gegen die bereits erstinstanzlich ausgesprochene Zahlungsverpflichtung erfolglos
(OLG Hamm, Beschluss v. 22.4.2016, 3 UF 261/15).
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