Merkmale für einen in der Gesamtschau sittenwidrigen Ehevertrag
Die geschiedenen Ehegatten stritten bis zum BGH um die Regelung des Versorgungsausgleichs und des Unterhalts. Die Ehe schlossen sie im März 1993. Aus der Ehe ist eine gemeinsame Tochter hervorgegangen.
Im Dezember 1995 unterzeichneten die Eheleute einen notariellen „Ehevertrag und Erbverzicht“, in dem die Ehegatten u.a. wechselseitig auf nachehelichen Unterhalt - mit Ausnahme des Vorliegens der Voraussetzungen von Betreuungsunterhalt – verzichteten.
Die Durchführung des Zugewinnausgleichs und des Versorgungsausgleichs schlossen sie aus.
Schwiegermutter will Schwiegertochter ausbooten
Hintergrund des notariellen Ehevertrages war eine Umstrukturierung des der Mutter des Ehemannes gehörenden Unternehmens.
Im Zuge dieser Umstrukturierung übertrug die Mutter auf den Ehemann wesentliche Geschäftsanteile.
- Die Mutter machte die Übertragung von der Bedingung abhängig,
- dass durch einen Ehevertrag jegliche Übertragung und Vererbung der Geschäftsanteile an die Ehefrau,
- die in den Jahren 1998 bis 2008 im Familienunternehmen in Teilzeitbeschäftigung als Sekretärin arbeitete,
- ausgeschlossen würde.
Ehefrau ist inzwischen zu 100 % schwer behindert
Im Jahre 1997 wurde bei der Ehefrau die Erkrankung „Multiple Sklerose“ diagnostiziert. Die Ehefrau ist inzwischen zu 100 % schwer behindert und in Pflegestufe 2 eingestuft. Sie bezieht eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von monatlich 777 Euro und ist Inhaberin eines Aktiendepots im Werte von rund 46.000 Euro.
Konträre Instanzentscheidungen
Im Scheidungsverfahren berief sich die Ehefrau auf die Unwirksamkeit des Ehevertrages und forderte unter anderem Ehegattenunterhalt wegen ihrer Erkrankung.
Das AG hat den Ehevertrag für wirksam gehalten und Ansprüche auf Unterhalt abgelehnt. Darüber hinaus stellte das AG fest, dass ein Versorgungsausgleich nicht durchgeführt wird. Das OLG hat die Entscheidung des AG aufgehoben und sowohl Ansprüche auf nachehelichen Unterhalt als auch auf Durchführung des Versorgungsausgleichs für begründet gehalten. Hiergegen hat der Ehemann Rechtsbeschwerde eingelegt.
BGH stuft Ehevertrag als sittenwidrig ein
Der BGH bestätigte die Entscheidung des OLG, wonach der zwischen den Parteien geschlossene Ehevertrag in der Gesamtschau als eine objektiv unangemessene Benachteiligung der Ehefrau zu bewerten und damit sittenwidrig sei.
Getroffenen Einzelvereinbarungen nicht zu beanstanden
Der BGH untersuchte dezidiert die getroffenen Einzelvereinbarungen und kam zu dem Ergebnis, dass diese zwar im wesentlichen für die Ehefrau nachteilig seien, jedoch seien sämtliche Einzelvereinbarungen, insbesondere auch der weitgehende Unterhaltsausschluss für sich genommen zulässig, zumal der Anspruch der Ehefrau auf Betreuungsunterhalt im Hinblick auf die Versorgung ehelicher Kinder weitgehend erhalten geblieben sei.
Auch sei zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht absehbar gewesen, dass die Ehefrau wegen Krankheit unterhaltsbedürftig würde. Die Diagnose „Multiple“ Sklerose sei erst 1997 gestellt worden und habe daher keinen rückwirkenden Einfluss auf den Abschluss des Ehevertrages.
Ausschluss des Zugewinnausgleichs regelmäßig zulässig
Auch den Ausschluss des Zugewinnausgleichs bewertete der Senat isoliert als zulässig, insbesondere auch in einer Unternehmerehe.
Die Aufteilung des in der Ehe erzielten Zugewinns gehöre nicht zum Kernbereich der ehelichen Pflichten. Ein Ausschluss des Zugewinnausgleichs sei daher grundsätzlich nicht zu beanstanden, soweit hierdurch nicht die Versorgung eines Ehegatten in existenzieller Weise gefährdet werde (BGH, Urteil v. 17.10.2007, XII ZR 96/05; BGH, Urteil v. 28.3.2007, XII ZR 130/04).
Sittenwidrigkeit als Ergebnis der gesamten Vertragsumstände
Der BGH verwies allerdings auf seine gefestigte Rechtsprechung, wonach ein Ehevertrag in seiner Gesamtheit sittenwidrig sein kann,
- wenn die ehevertraglichen Einzelregelungen zu den Scheidungsfolgen sich in ihrer Gesamtwürdigung als insgesamt erkennbar auf die einseitige Benachteiligung eines Ehegatten gerichtet erweisen (BGH Beschluss v.29.1.2014, XII ZB 303/13).
- Zwar kenne das Gesetz keinen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen zu Gunsten des berechtigten Ehegatten,
- jedoch sei die Annahme einer verwerflichen Gesinnung des begünstigten Ehegatten dann gerechtfertigt,
- wenn sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt.
In der Regel sei das Verdikt der Sittenwidrigkeit allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn außerhalb der Vertragsurkunde verstärkte Tendenzen zu erkennen seien, die auf eine subjektive Disparität deuten, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage eines Ehegatten, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder bei einseitig intellektueller Überlegenheit (BGH, Urteil v. 31.10.2012, XII ZR 129/10)
Ehevertrags-Checkliste für Anwälte
Vorliegend resümierte der Senat folgende Faktoren, die in ihrer Summe zur Sittenwidrigkeit führen. Die vom BGH gerügten Punkte sind für Anwälte eine geeignete Checkliste sowohl bei der Ausarbeitung von Eheverträgen als auch für die Prüfung bestehender Verträge:
- Objektive, die Ehefrau einseitig benachteiligende Disparität der getroffenen Vereinbarungen,
- eine erkennbar wirtschaftlich schwächere Position der Ehefrau zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses:
- Die Ehefrau war in die Verhandlungen, die dem Vertragsschluss vorausgingen in keiner Weise eingebunden, einen wesentlichen Einfluss hatte die Mutter des Ehemannes.
- Vor der Notartermin wurde der Ehefrau kein Vertragsexemplar zur Prüfung zur Verfügung gestellt,
- der Vertragsinhalt wurde der Ehefrau im Notartermin zum ersten Mal bekannt gemacht, ihr vorgelesen und von ihr anschließend sofort unterschrieben.
- Hieraus folgerte der Senat eine unterlegene Verhandlungsposition der Ehefrau und eine lediglich passive Rolle,
- sowie gleichzeitig die wirtschaftliche und soziale Überlegenheit des Ehemannes, die dieser gegenüber seiner Frau ausgenutzt habe,
- so dass die Ehefrau im Ergebnis einen kompensationslosen Totalverzicht unterschrieben habe.
Der Ehefrau stehen sämtliche gesetzlichen Scheidungsfolgenansprüche zu
Diese Gesamtbewertung führt nach Auffassung des BGH im Ergebnis zur Sittenwidrigkeit des Ehevertrages und damit zu der Rechtsfolge, dass die Ehefrau sämtliche, nach dem Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen der Ehescheidung wie
- Unterhalt,
- Zugewinnausgleich
- sowie Versorgungsausgleich
- gegen ihren geschiedenen Ehemann geltend machen kann.
Entscheidung ist eine Warnung für Familienrechtler
Für Anwälte folgt aus dem Diktum des BGH: Vorsicht bei der Ausarbeitung von Eheverträgen! Bei allzu einseitiger Lastenverteilung besteht immer die Gefahr der Sittenwidrigkeit. Da ist weniger manchmal mehr.
(BGH, Beschluss v. 15.3.2017, XII ZB 109/16)
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Zur Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages wegen unangemessener Benachteiligung der Ehefrau
Hintergrund:
Wenn gleichzeitig in einem Ehevertrag Gütertrennung, Ausschluss des Unterhalts und des Versorgungsausgleichs vereinbart werden, kann dies eine regelrecht verwerfliche Gesinnung des Ehepartner und eine subjekt einseitige Benachteiligungsabsicht gegenüber dem anderen erkennen lassen.
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