Einzelne unwirksame Abrede kann zur Nichtigkeit des gesamten Ehevertrags führen
Die beteiligten Eheleute stritten im Scheidungsverbund um die Wirksamkeit eines Ehevertrages. Geschlossen wurde die Ehe im Jahr 1991. Der Ehemann arbeitete als selbständiger Versicherungsvertreter, die Ehefrau hatte während der Ehe vorwiegend den Haushalt geführt und das gemeinsame Kind betreut.
Mit Ehevertrag während einer Ehekrise gesetzlichen Scheidungsfolgen ausgeschlossen
Im Januar 2007 schlossen die Eheleute einen notariellen Ehevertrag, der in seiner Präambel darauf hinwies, dass die Ehe sich in einer Krise befand.
- In dem Ehevertrag schlossen die Parteien die gesetzlichen Scheidungsfolgen Versorgungsausgleich, Zugewinn und Unterhalt im Wesentlichen aus.
- Ein Wertpapierdepot in Höhe von seinerzeit 260.000 EUR wurde zwischen den Eheleuten hälftig geteilt.
- Ferner verpflichtete sich der Ehemann, seiner Ehefrau eine während der Ehezeit erworbenen Eigentumswohnungen im Wert von rund 130.000 EUR zu übertragen.
Mit Blick auf ehebrecherischen Verhalten der Ehefrau Unterhalt befristet
Unterhaltsrechtlich vereinbarten sie, dass für den Fall der Trennung keiner der Ehepartner „Getrenntlebensunterhaltsansprüche geltend machen“ wird.
Wegen des „ehebrecherischen Verhaltens“ der Ehefrau verpflichtete sich der Ehemann für die Zeit ab Trennung lediglich zur Zahlung eines auf zwölf Monate befristeten monatlichen Unterhalts von 1.500 EUR. Darüber hinaus verzichteten die Eheleute auf nachehelichen Unterhalt, auch für den Fall der Not. Die Eheleute trennten sich im April 2010, im Juli 2011 wurde die Scheidung rechtshängig.
Vorinstanzen halten Ehevertrag für wirksam
Im Verbundverfahren begehrte die Ehefrau die Durchführung des Versorgungsausgleichs sowie Auskünfte hinsichtlich des von ihrem Ehemann erzielten Zugewinns. Die entsprechenden Anträge der Ehefrau hatte zunächst das Amtsgericht zurückgewiesen. Das OLG wies die hiergegen gerichtete Beschwerde der Ehefrau zurück. Nach Auffassung des OLG waren durch den geschlossenen Ehevertrag der Versorgungsausgleich sowie der Zugewinnausgleich wirksam ausgeschlossen worden. Gegen diese Entscheidung legte die Ehefrau Rechtsbeschwerde beim BGH ein.
Grundsatz: Scheidungsfolgen sind begrenzt disponibel
Der BGH stellte zunächst fest, dass die Eheleute grundsätzlich befugt waren, durch einen Ehevertrag die gesetzlichen Scheidungsfolgen weitgehend abweichend vom Gesetz zu regeln. Allerdings dürfe hierbei der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen nicht übersehen werden.
Dieser Schutzzweck dürfe nicht durch eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung beliebig unterlaufen werden. Die Lastenverteilung sei hierbei um so genauer zu prüfen, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung der gesetzlichen Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreife.
Einseitig nachteilige Regelungen bedürfen der Kompensation
Schließe der Ehevertrag die Verpflichtung der Eheleute zur ehelichen Solidarität weitgehend aus, so habe der Tatrichter immer zu prüfen, ob bei Gesamtwürdigung der individuellen Verhältnisse bei Vertragsschluss die Vereinbarung zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führe, dass bei einer Gesamtwürdigung die Außerkraftsetzung der gesetzlichen Regelungen sittenwidrig gemäß § 138 BGB sei.
Verdikt der Sittenwidrigkeit
Das Verdikt der Sittenwidrigkeit sei immer dann in Betracht zu ziehen, wenn der Abbedingung der Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts keine anderweitigen Vorteile des anderen Ehegatten gegenüber stünden, die die hierdurch für eine Partei eintretende Nachteile minderten (BGH, Urteil v. 28.03.2007, XII ZR 130/04).
Nach dem Verständnis des BGH hatten die Eheleute hier in zulässiger Weise Regelungen zum Zugewinn und zu den versorgungsrechtlichen Ansprüchen getroffen und den hierdurch bedingten Nachteilen auch ausreichende Kompensationsgeschäfte (durch Übertragung des hälftigen Wertpapierdepots und der Eigentumswohnung) gegenübergestellt.
Unter diesem Gesichtspunkt war nach Auffassung des BGH auch der Ausschluss des nachehelichen Unterhalts auch für den Fall des Alters oder der Krankheit in Abweichung von den Regelungen der §§ 1571,1572 BGB zulässig.
Trennungsunterhalt kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden
Nicht ohne weiteres akzeptieren wollte der BGH jedoch den nach der Scheidungsfolgenvereinbarung verabredeten Ausschluss des Trennungsunterhalts. Gemäß §§ 1361 Abs. 4 Satz 4, 1360 a Abs. 3, 1614 BGB ist ein Verzicht auf künftigen Trennungsunterhalt unwirksam und daher nach § 134 BGB nichtig. Diese Regelung hat nach Auffassung des BGH sowohl individuelle als auch öffentliche Interessen im Blick und soll verhindern, dass sich der Unterhaltsberechtigte während der Trennungszeit durch Dispositionen über den Bestand des Unterhaltsanspruches seiner Lebensgrundlage begibt und dadurch gegebenenfalls öffentlicher (Sozial-)Hilfe anheim zu fallen droht.
Dies gelte auch für das so genannte „pactum de non petendo“, d.h. das gegenseitige Versprechen der Eheleute, den an sich bestehenden Anspruch auf Zahlung von Trennungsunterhalt nicht geltend zu machen. Obwohl durch eine solche Abrede der eigentlich bestehende Unterhaltsanspruch nicht ausgeschlossen werde, bedeute das „pactum de non petendo“ unter Umständen eine unzulässige Umgehung der gesetzlichen Regelung. Nach Auffassung des BGH würde es dem Gesetzeszweck jedenfalls zuwiderlaufen, wenn die Parteien trotz bestehenden Anspruches auf Unterhalt verbindlich vereinbaren könnten, diesen Anspruch nicht geltend zu machen.
„Pactum de non petendo“ bedarf der Auslegung
Nach Auffassung des BGH ist ein solches „pactum de non petendo“ dennoch nicht per se unwirksam. Das gegenseitige Versprechen, Trennungsunterhaltsansprüche nicht geltend zu machen, sei nämlich daraufhin zu hinterfragen, ob es sich hierbei um eine bloße Absichtserklärung ohne rechtliche Bindungswirkung handle, die die unterhaltsrechtliche Rechtsposition als solche nicht infrage stelle oder ob über die bloße Erklärung der Absicht hinaus hierdurch eine rechtliche Bindung eintreten solle.
Dieser Auslegungsfrage sei die Vorinstanz nicht hinreichend nachgegangen, so dass dies in tatsächlicher Hinsicht noch zu klären sei. Sollte die Auslegung ergeben, dass ein unwirksames „pactum de non petendo“ vorliege, sei zu prüfen, ob die Teilnichtigkeit dieser Bestimmung gemäß § 139 BGB auch den weiteren Ehevertrag erfasse. Hierbei sei klären, inwieweit ein so enger Zusammenhang zwischen den Einzelvereinbarungen bestehe, dass nach dem Willen der Parteien die eine Regelung ohne die andere keinen Bestand haben könne.
Nachteilskompensation kann für Vertragseinheit sprechen
Sei von einem einheitlich Rechtsgeschäft auszugehen, sei weiter durch ergänzende Vertragsauslegung zu ermitteln, ob die Eheleute die gleichen Vereinbarungen zu den Scheidungsfolgen auch dann getroffen hätten, wenn ihnen bewusst gewesen wäre, dass der Verzicht auf Trennungsunterhalt unwirksam war.
Wenn der unwirksame Ausschluss von Trennungsunterhalt durch Leistungen ausgeglichen werden sollte, die dem berechtigten Ehegatten im Rahmen der Regelung der Scheidungsfolgen zugesagt worden sind, so könne dies ein Indiz für den Einheitlichkeitswillen der Parteien sein, für den ohnehin eine tatsächliche Vermutung streite.
Führt Teilunwirksamkeit zur Unwirksamkeit des gesamten Ehevertrag?
Seien die einzelnen Bestimmungen in dieser Weise miteinander verquickt, so führe die Teilunwirksamkeit zur Unwirksamkeit des gesamten Ehevertrages. Die Ehefrau sei dann nicht an der Geltendmachung von versorgungs- und zugewinnrechtlichen Ansprüchen gehindert. Diese Fragen habe die Vorinstanz umfassend aufzuklären. Demgemäß wies der BGH das Verfahren zur weiteren Aufklärung und Verhandlung an die Vorinstanz zurück.
(BGH, Beschluss v. 29.01.2014, XII ZB 303/13).
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