Kindesmutter hat Mitwirkungspflichten bei der Ermittlung des Erzeugers
Die der Entscheidung zugrunde liegende Geschichte ist schnell erzählt: Ein feuchtfröhlicher Abend in einem Brauhaus, das zu einer Tanzveranstaltung am Faschingssonntag geladen hatte. Unter dem Einfluss von reichlich Alkohol kam es zu einem One-Night-Stand mit einem der Kindesmutter zuvor unbekannten Mann. Nach der Veranstaltung sah die Frau den Mann nicht wieder.
One-Night-Stand führte zu ungewollter Zwillingsschwangerschaft
Auch als sie ihre Schwangerschaft bemerkte, unternahm sie nichts, um die Identität des Mannes zu ermitteln. Zur Begründung ihrer Untätigkeit führte die Kindesmutter gesundheitliche Gründe an. Im übrigen sei sie aber auch an der Ermittlung des Vaters ihrer Zwillinge nicht interessiert. Sie sei überzeugter Single. An dem Kindesvater habe sie - abgesehen von der einmaligen sexuellen Betätigung - kein Interesse.
Einzige Information zum Vater: Südländischer Typ
Nach Geburt der Zwillinge beantragte sie die Zahlung von Unterhaltsvorschuss nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UhVorschG). Die zuständige Behörde forderte die Kindesmutter daraufhin auf, den Namen und die Identität des Vaters mitzuteilen. Die Kindesmutter erklärte, den Vater nicht zu kennen. Sie könne sich nur erinnern, dass es sich um einen südländischen Typ handelte. Mehr könne sie zum Kindesvater nicht sagen.
Überleitung Jobcenter verklagt Landkreis auf Zahlung von Unterhaltsvorschuss
Die Behörde lehnte darauf die Zahlung von Unterhaltsvorschuss ab mit der Begründung, ohne Kenntnis der Identität des Vaters fehle der Behörde die Möglichkeit, den Vater unterhaltsrechtlich in Regress zu nehmen. Daher sei die Zahlung von Unterhaltsvorschuss nicht möglich. Die Kindesmutter bezog darauf vom zuständigen Jobcenter Leistungen nach SGB II (Hartz IV).
- Das Jobcenter leitete daraufhin die vermeintlichen Ansprüche auf Zahlung von Unterhaltsvorschuss auf sich über
- und verklagte schließlich den zuständigen Landkreis auf Leistungen nach dem UhVorschG.
Verwaltungsgericht weist Klage auf Unterhaltsvorschuss ab
Das angerufene VG wies die Klage ab und verneinte einen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss unter analoger Anwendung von § 1 Abs. 3 UVG.
- Nach dieser Vorschrift kann einer Kindesmutter der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss versagt werden, wenn sie sich weigert, der Unterhaltsbehörde die nötigen Auskünfte zu erteilen, die zur Feststellung der Vaterschaft erforderlich sind oder sie sich weigert bei der Ermittlung des Aufenthalts des anderen Elternteils mitzuwirken.
- Diese Vorschrift ist nach Auffassung des VG analog anzuwenden, wenn eine Frau ohne Verhütungsmittel mit einem unbekannten Mann Geschlechtsverkehr hatte und dadurch – möglicherweise ungewollt - eine Situation geschaffen hat, in der die spätere Feststellung des Kindesvaters unmöglich wird.
- In einer solchen Konstellation trifft die Kindesmutter nach Auffassung des VG ein vorwerfbares Verschulden daran, dass der Unterhaltspflichtige zu Leistungen nicht herangezogen werden kann.
OVG konkretisiert Mitwirkungspflichten der Kindesmutter
Das OVG Rheinland-Pfalz bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz im wesentlichen.
- Eine Kindesmutter sei grundsätzlich verpflichtet, das ihr Zumutbare zu tun, um der Unterhaltsvorschussbehörde die Möglichkeit einzuräumen, den Kindesvater in Regress zu nehmen.
- Dies bedeute, dass eine Frau, die feststellt dass sie schwanger ist und den Vater nicht kennt, umgehend Maßnahmen zur Identitätsfeststellung zu ergreifen habe (BVerwG, Urteil v. 16.5.2013, 5 C 28/12).
- Im konkreten Fall habe die Kindesmutter, nachdem sie die Schwangerschaft bemerkt habe, unverzüglich das Brauhaus aufsuchen müssen und bei Mitarbeitern oder bei ihr bekannten anderen Gästen der Tanzveranstaltung nachfragen müssen, wer sich an ihren Tanzpartner noch erinnere oder diesen kenne.
Versagung des Unterhaltsvorschussanspruchs folgt unmittelbar aus dem Gesetz
Nach Auffassung des OVG findet der Versagungsgrund des § 1 Abs. 3 UhVorschG in diesem Fall sogar unmittelbare Anwendung. Die Mitwirkung der Kindesmutter bei der Feststellung des Vaters sei Voraussetzung dafür, dass der Landkreis Unterhaltsansprüche gemäß § 7 UhVorschG auf sich überleiten und so die Erstattung der im Voraus geleisteten Zahlungen verlangen kann. Die Behauptung, überzeugter Single zu sein, rechtfertige das Unterlassen solcher Bemühungen jedenfalls nicht. Damit sei der geltend gemachte Anspruch unmittelbar nach § 1 Abs. 3 Alt. 2 UhVorschG ausgeschlossen.
Anonymer Geschlechtsverkehr führt nicht immer zur Anspruchsversagung
Der Senat stellte allerdings ausdrücklich klar, dass er entgegen der Ansicht des niedersächsischen OVG (OVG Niedersachsen, Beschluss v. 16.1.2014, 4 LA 3/14) die Auffassung vertritt, dass der Anspruch auf Zahlung von Unterhaltsvorschuss nicht in allen Fällen ausgeschlossen ist, in denen der alleinstehende Elternteil die prekäre Lage durch anonymen Sex selbst herbeigeführt hat. Ein Ausschluss des Anspruchs auf Zahlung von Unterhaltsvorschuss komme nur in zwei alternativen Fallgestaltungen in Betracht, nämlich,
- wenn die Kindesmutter absichtlich schwanger werde und dabei die Absicht der Identitätsverschleierung des Vaters habe
- oder wenn - wie im anhängigen Fall - die Schwangerschaft unabsichtlich eintritt und die Kindesmutter ihren zumutbaren Mitwirkungspflichten zur Feststellung der Identität des Erzeugers nicht nachkommt.
In allen anderen Fällen einer nicht feststellbaren Erzeugeridentität bestehe der Anspruch auf Leistungen nach dem UVG. Schön, dass hier die puritanisch-wertende Auslegung unterblieb.
(OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24.9.2018, 7 A 10300/18).
Hintergrundinformation
Der Unterhaltsvorschuss wird geleistet
- in Höhe des Mindestunterhalts der ersten oder zweiten Altersstufe nach § 1612a BGB – entsprechend dem Mindestsatz der Düsseldorfer Tabelle in der zutreffenden Altersstufe – (§ 2 Abs. 1 S. 1 UhVorschG)
- oder in Höhe der Differenz zwischen dem gezahlten Unterhalt und dem Mindestunterhalt (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 UhVorschG).
Vom betreuenden Elternteil bezogenes Kindergeld (stets nur in Höhe des geringsten Satzes für ein erstes Kind) oder Kindergeldersatz gemäß § 65 Abs. 1 EStG wird – anders als in § 1612b BGB – in voller Höhe angerechnet (§ 2 Abs. 2 UhVorschG).
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