Keine elterliche Alleinentscheidung über gefährliche Urlaubsreise
Gemäß § 1687 BGB müssen bei gemeinsamen Sorgerecht getrenntlebender Eltern die Getrenntlebenden bei wichtigen Entscheidungen bezüglich des Kindes - anders als bei Entscheidungen des täglichen Lebens - übereinstimmen.
Ist eine Urlaubsreise mit Kind eine zustimmungspflichtige Entscheidung?
Ob es sich beim Urlaub um eine wichtige Entscheidung nach § 1687 BGB handelt, ist in der Rechtsprechung umstritten und im Einzelfall zu entscheiden. Es richtet sich auch nach dem Reiseziel, den familiären Urlaubsgepflogenheiten sowie Alter und Gesundheit des Kindes. Reisen in Heimatländer bzw. unkritische Reiseziele sind mittlerweile regelmäßig keine Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung.
Mit dem Urlaub dürfen keine besonderen Gefahren für das Kindeswohl verbunden sein
Zustimmungspflichtig sind Urlaubsreisen dagegen um so mehr, wenn mit der Reise Gefahren für das Kindeswohl verbunden sein könnten.
So ist die Reise eines Elternteils mit dem gemeinsamen minderjährigen Kind in die Türkei ist zur Zeit nur mit Zustimmung des anderen sorgeberechtigten Elternteils möglich.
Verweigerung der Zustimmung zu einem Badeurlaub unzulässige Schikane?
Bereits Anfang 2016 Jahres hatte in einem Fall die von ihrem Ehemann geschiedenen Ehefrau einen Badeurlaub nahe Antalya in der Türkei geplant. Den Urlaub wollte sie mit dem bei ihr lebenden gemeinsamen 8-jährigen Sohn, für den die Eltern das gemeinsame Sorgerecht haben, verbringen. Im Mai 2016 hatte der Vater die Zustimmung zur Reise im Hinblick auf die schwierigen politischen Verhältnisse in der Türkei und die hierdurch erhöhte Anschlagsgefahr verweigert.
Die Mutter hatte hierauf im Juli 2016 beim Familiengericht eine einstweilige Anordnung erwirkt, mit der ihr die Befugnis übertragen wurde, über die Durchführung der Türkei-Reise mit dem 8-jährigen Sohn alleine zu entscheiden.
Familiengericht möchte dem Kind eine riesige Enttäuschung ersparen
Das Familiengericht hatte den Sohn angehört, der sich sehr auf den Badeurlaub freute. Befreundete Familien hatten ebenfalls in der dortigen Region ihren Urlaub geplant. Mit deren Kindern hatte der Sohn sich bereits verabredet.
Aufgrund dieser Anhörung kam das Familiengericht zu dem Ergebnis, dass die Durchführung der Reise dem Wohl des Kindes diene und deren Absage für ihn eine riesige Enttäuschung sein würde, zumal er bisher keinen Badeurlaub dieser Art gemacht hatte. Infolge der finanziellen Verhältnisse stehe zu befürchten, dass bei einer Absage überhaupt kein Urlaub gemacht werden könne, zumal der Vater auch nicht bereit sei, einen finanziellen Beitrag zu leisten.
Alleinentscheidungsbefugnis in Angelegenheiten des täglichen Lebens
Das zweitinstanzlich mit der Sache befasste OLG hatte Verständnis für die Befürchtungen des Vaters und setzte die Wirksamkeit des Anordnungsbeschlusses gemäß § 55 Abs. 1 FamFG aus.
Der Senat verwies auf § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB. Gemäß § 1687 BGB ist für Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, das gegenseitige Einvernehmen der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern erforderlich. Im Falle des Getrenntlebens hat allerdings der Elternteil, bei dem das Kind lebt, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens.
Keine Alleinentscheidungsbefugnis bei Risikolagen
Das OLG vertrat insoweit die Auffassung, dass die Entscheidung für einen gemeinsamen Urlaub von Mutter und Kind in der Regel als Angelegenheit des täglichen Lebens anzusehen und daher die Mutter unter „normalen“ Umständen zur alleinigen Entscheidung befugt gewesen wäre. Dieser Grundsatz gelte aber angesichts der derzeitigen Risikolage in der Türkei nicht.
- Der Senat verwies auf die mehrfachen terroristischen Anschläge in der Türkei.
- Auch die Region um Antalya sei im Jahre 2015 bereits von solchen Anschlägen betroffen gewesen.
- Die Medien hätten darüber hinaus mehrfach über die Drohungen extremistischer Gruppen berichtet, Anschläge gerade auch in Touristenregionen durchzuführen.
Angesichts dieser Bedrohungslage gehe die Entscheidung für eine Urlaubsreise in eine solche Region über eine Angelegenheit des täglichen Lebens hinaus.
Auf Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes kommt es nicht an
Das OLG verkannte nicht, dass eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für diese Region nicht vorliegt. Unabhängig von einer etwaigen Reisewarnung seien die Ängste und Befürchtungen des Kindesvaters angesichts der Ereignisse in der Türkei nicht aus der Luft gegriffen. Wenn Eltern schon ein gemeinsames Sorgerecht hätten, so setze die Entscheidung über eine Reise in eine solche Region voraus, dass sie von beiden Eltern getragen werde.
Die vom Familiengericht getroffene einstweilige Anordnung habe vor diesem Hintergrund auch keinen vorläufigen Charakter, denn mit Durchführung der Reise werde eine Entscheidung im Hauptverfahren obsolet. Angesichts der drohenden erheblichen Gefahren könne auch der Wille des Kindes und dessen Freude auf den Urlaub nicht den Ausschlag für eine Entscheidung zu Gunsten einer Reisedurchführung geben.
Urlaub geplatzt
Angesichts des inzwischen herrschenden Ausnahmezustandes in der Türkei, u.a. den Massenverhaftungen nach dem Putschversuch, sah der Senat eine konkrete Gefahr, dass es in der Türkei bis hinein in die Urlaubsregionen zu Unruhen kommen könne.
Die Verweigerungshaltung des Vaters könne daher nicht als schikanöse Intervention abgetan werden.
Die bei einer Absage der Reise möglicherweise nicht ganz von der Hand zu weisenden nachteiligen Folgen für das Kindeswohl und die Enttäuschung über den nicht durchgeführten Badeurlaub wertete das Gericht vor diesem Hintergrund als weniger gravierend als die möglichen negativen Folgen, die eine Durchführung der Urlaubsreise haben kann. Damit war der Urlaub für Mutter und Kind endgültig geplatzt (OLG Frankfurt, Urteil v. 21.7.2016, 5 UF 206/16). Ähnlich könnte es aussehen, wenn es nach Ägypten oder Thailand gehen soll.
In einem anderen Fall hatte das Oberlandesgericht Köln eine Reise zur Großmutter nach Russland als Entscheidung von erheblicher Bedeutung eingeordnet und im Hinblick auf das Alter des Kindes und die strapaziöse Reise abgelehnt wurde (Beschluss vom 22.11. 2011, II-4 UF 232/11)
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§ 1687 BGB (Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge bei Getrenntleben)
(1) Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so ist bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, ihr gegenseitiges Einvernehmen erforderlich. Der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, hat die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Solange sich das Kind mit Einwilligung dieses Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung bei dem anderen Elternteil aufhält, hat dieser die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung. § 1629 Abs. 1 Satz 4 und § 1684 Abs. 2 Satz 1 geltend entsprechend.
(2) Das Familiengericht kann die Befugnisse nach Absatz 1 Satz 2 und 4 einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.
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