Wann müssen Eltern nach einer Ausbildung noch ein Studium finanzieren?
Nach der Lehre, Fachoberschule und Fachhochschule absolviert
Ein junges Mädchen schloss zunächst die Realschule erfolgreich ab und absolvierte im Anschluss eine Ausbildung. Ursprünglich hatte die junge Frau vor, danach im Ausbildungsberuf zu arbeiten. Dann packte sie jedoch der Ehrgeiz und sie entschloss sich, nicht nur die Fachoberschule zu durchlaufen, sondern danach noch ein Fachhochschulstudium anzugehen. Während des Studiums erhielt sie finanzielle Unterstützung vom BAföG-Amt in Höhe von 413 Euro pro Monat.
BAföG-Amt verlangt Rückzahlung von der Mutter
Das BAföG-Amt wandte sich wegen der Rückzahlung der an die Mutter der jungen Frau. Es stützte seinen Anspruch auf die Unterhaltsvorschrift des § 1610 BGB, wonach der Unterhalt den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf umfasst.
- Die Mutter, die 2.200 EUR pro Monat zur Verfügung hat, sah das nicht ein und verweigerte die Zahlung.
- Sie hätte wegen entsprechender Aussagen ihrer Tochter damit gerechnet, dass sie im Ausbildungsberuf arbeiten und im Haus ihres verstorbenen Vaters wohnen würde. Deshalb habe sie die Renovierung dieses Hauses in Angriff genommen und dafür einen Kredit aufgenommen.
OLG Oldenburg sah Unterhaltspflicht für Schule und Studium nach Abschluss der Lehre
Das OLG Oldenburg stellte sich auf die Seite des Unterhaltsberechtigten bzw. in diesem Fall des BAföG-Amtes und entschied, dass die Mutter die Ausbildungskosten bis einschließlich des Fachhochschulstudiums zu tragen habe. Für das Bestehen eines solchen Unterhaltsanspruchs sahen die Richter folgende Voraussetzungen:
- Die Ausbildungskosten müssen sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern halten.
- Zwischen Ausbildung und Studium muss ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen.Ausbildung und Studium müssen sich inhaltlich sinnvoll ergänzen.
All dies sahen sie im entschiedenen Fall als erfüllt an.
BGH unterscheidet Abitur-Lehre-Studium- und Schule-Lehre-Schule- Studium-Konstellation
Anders als OLG Oldenburg verlangt der BGH in seiner derzeitigen Rechtsprechung bei einer Konstellation wie dieser einen früheren und für die Eltern erkennbaren Studienentschluss bereits zu Beginn der Ausbildung. |
Der BGH hat zwar den Unterhaltsanspruch in der Konstellation Abitur-Lehre-Studium bejaht,
- wenn das Studium mit der vorausgegangenen praktischen Ausbildung in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht und
- die Kosten den Eltern wirtschaftlich zumutbar sind.
Dass der Studienentschluss von vornherein oder jedenfalls noch vor Beendigung der Lehre gefasst wird, verlangt der BGH in der Abitur-Lehre-Variante nicht; er kann noch nach der Lehre gefasst werden.
Andere Sachlage, wenn nach dem Realschulabschluss eine Lehre absolviert wurde
Eine Übertragung der für die Fälle „Abitur-Lehre-Studium“ entwickelten Grundsätze auf die Fälle, in denen nach dem Realschulabschluss eine Lehre absolviert und der Besuch der Fachoberschule zur Erlangung der Fachhochschulreife und ein Fachhochschulstudium angeschlossen wird, lehnt der BGH bislang ab (zuletzt noch: BGH, Beschluss v. 8.3.2017, XII ZB 192/16). Nur dann, wenn
- das Kind von vornherein, also bei Beginn der Lehre, die Absicht hatte, nach der Lehre die Fachoberschule zu besuchen und anschließend zu studieren, bejaht er den Unterhaltsanspruch.
- Die Absicht, über die Lehre hinaus eine berufliche Weiterbildung zu absolvieren, muss dabei nach außen zumindest einem Elternteil gegenüber erkennbar gemacht worden sein.
Investitionen der Eltern vor Kenntnis von Studium
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Zumutbarkeit des Ausbildungsunterhalts berücksichtigt der BGH eine wirtschaftliche Disposition des Unterhaltspflichtigen, die dieser zu einer Zeit getätigt hat, zu der er über die geplante Ausbildung des Kindes noch nicht informiert war und mit ihr nicht mehr rechnen musste.
Auch hiwr war das OLG Oldenbur auf der Seite des Unterhaltsberechtigten. Die Mutter könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Tochter ihre Pläne geändert und ihre Absicht, auf Dauer in dem Haus ihres Vaters zu wohnen, aufgegeben habe. Persönlichen und beruflichen Unwägbarkeiten seine gerade im Leben eines jungen Menschen üblich.
(OLG Oldenburg, Beschluss v. 2.1.2018, 4 UF 135/17).
Anmerkung: Nachdem das OLG Oldenburg hier kinder- und ausbildungsfreundlicher argumentiert, bleibt abzuwarten, ob der BGH seine von vielen Seiten kritisierte Rechtsprechung ändert.
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Hintergrund:
Der BGH hat für diejenigen Fälle, in denen das Kind nach der Hochschulreife zunächst eine praktische Ausbildung durchlaufen hat, und die Eltern sodann ein sich hieran anschließendes Hochschulstudium finanzieren sollen (sog. Abitur-Lehre-Studium-Fälle), in gefestigter Rechtsprechung Grundsätze entwickelt (s.o und u.a. BGH, Urteil v. 14.07.1999 , XII ZR 230/97).
Diese will er aber nicht anwenden, wenn die Konstellation Schule-Lehre-weiterer Schulbesuch-Studium vorliegt, sofern das Studium nicht zuvor geplant und für die Eltern absehbar war.
- Für Ausbildungsabläufe, in denen nach einem Realschulabschluss zunächst eine Lehre, dann die Fachoberschule und später die Fachhochschule absolviert wird, sind die einzelnen Ausbildungsabschnitte nur als einheitliche, von den Eltern zu finanzierende Berufsausbildung anzusehen, wenn schon bei Beginn der praktischen Ausbildung erkennbar eine Weiterbildung einschließlich des späteren Studiums angestrebt wurde.
- Denn die Unterhaltspflicht der Eltern werde dadurch mitbestimmt wird, inwieweit sie damit rechnen müssen, dass ihr Kind nach einem Schulabschluss und einer zu Ende geführten, in sich geschlossenen Berufsausbildung noch eine berufsqualifizierende Ausbildung anstrebt.
- Das erfordere der Vertrauensschutz der Eltern (BGH, Urteil v. 29.06.2011, XII ZR 127/09). Die Eltern müssen sich in ihrer eigenen Lebensplanung in etwa darauf einstellen können, wie lange sie mit einer Unterhaltslast zu rechnen haben (BGH, Beschluss v. 08.03.2017, XII ZB 192/16).
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