BGH hat Benachteiligung unverheirateter Paare beim Elternunterhalt verringert
Die "wilde" Ehe mag ideele oder sonstige Vorteile bergen. Rechtlich und finanziell birgt sie für die Partnern oft Nachteile und Gefahren.
Vater braucht einen Pflegedienst
Der Fall: Der 74 -jährige Vater des Klägers wird seit dem Jahr 2010 von einem Pflegedienst in seiner Wohnung in Berlin betreut. Die Kosten belaufen sich auf ca. 2.900 Euro monatlich. Das sind ca. 900 Euro monatlich mehr, als die Rente des Mannes und die Pflegeversicherung hergeben. Den Fehlbetrag in Höhe von monatlich ca. 900 Euro bringt das Land Berlin als Sozialhilfeträger auf.
Sohn soll sich an den Kosten beteiligen
Das Land verlangt von dem Sohn eine monatliche Beteiligung an diesen Kosten in Höhe von ca. 270 Euro (Rückstand inzwischen ca. 15.000 Euro). Der Kläger ist Programmierer und lebt mit seiner Lebensgefährtin, einer Physiotherapeutin in der Nähe von Nürnberg. Beide haben zusammen eine siebenjährige Tochter. Darüber hinaus leben im Haushalt noch zwei ältere Söhne aus der früheren Ehe der Lebenspartnerin.
Klagende Sohn rügt Schlechterstellung gegenüber Verheirateten
Der Kläger sieht sich durch die Forderung des Sozialhilfeträgers ungerecht behandelt.
- Hätte er nämlich seine Lebenspartnerin geheiratet, so könnte er den sogenannten Familienselbstbehalt geltend machen.
- Dieser liegt aktuell bei 3.240 Euro monatlich, so dass er sich an den Kosten für die Pflege seines Vaters nicht beteiligen müsste.
- Als Unverheirateter wurde ihm nur ein Selbstbehalt von 1.800 Euro monatlich zugestanden.
Diese Ungleichbehandlung bedeutet nach Auffassung des Klägers einen unzulässigen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Er werde vom Staat quasi dazu verurteilt, seine Lebenspartnerin zur ehelichen, um in den Genuss des Familienselbstbehaltes zu kommen.
OLG hält Privilegierung der Ehe für gerechtfertigt
In den Vorinstanzen konnte er die Richter mit seiner Auffassung nicht überzeugen. Das OLG vertrat die Auffassung, dass die Situation einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht mit der einer ehelichen Lebensgemeinschaft auch und gerade im Hinblick auf die Heranziehung zu Elternunterhalt vergleichbar sei.
Eheleute gingen mit der Ehe die verschiedensten gegenseitigen Verpflichtungen ein, so dass deren Privilegierung bei der Berechnung des Selbstbehalts gerechtfertigt sei. Allerdings ließ das OLG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit ausdrücklich die Rechtsbeschwerde zum BGH zu.
Der BGH setzt an einem möglichen Betreuungsunterhalt an
Der BGH bestätigte in seiner Entscheidung grundsätzlich die Auffassung des OLG hinsichtlich der Besonderheiten der Ehe und hielt daher die Privilegierung von Eheleuten bei der Bemessung des Selbstbehaltes ebenfalls für gerechtfertigt.
Allerdings beanstandete der Senat die Nichtberücksichtigung einer möglicherweise bestehenden Pflicht des Klägers zur Zahlung von Betreuungsunterhalt an seine Lebensgefährtin hinsichtlich der im gemeinsamen Haushalt lebenden minderjährigen Tochter.
Betreuungsunterhalt ist bei Bemessung des Elternunterhalts zu berücksichtigen
Gemäß § 1615 l Abs. 2 BGB ist ein Vater verpflichtet, einer Mutter Unterhalt zu gewähren, wenn wegen der Pflege oder Erziehung des gemeinsamen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Gemäß § 1615 l Abs. 2 Satz 3 u. 4 BGB besteht diese Unterhaltspflicht für mindestens drei Jahre nach der Geburt und verlängert sich solange und soweit dies der Billigkeit entspricht.
- Diese möglicherweise bestehende Unterhaltspflicht des Klägers ist nach Auffassung des BGH als sonstige Verpflichtung im Sinne von § 1603 Abs. 1 BGB anzusehen.
- Ein solcher möglicherweise bestehender Betreuungsunterhaltsanspruch könne sich auf die Leistungsfähigkeit auch eines nicht verheiraten Unterhaltspflichtigen auswirken.
- In der Konsequenz könne dies die Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber dem Vater schmälern oder entfallen lassen.
Verfahren an das OLG zurückverwiesen
Nach Auffassung des BGH versorgt der Kläger de facto eine ganze Familie mit seinem Einkommen. Unter Berücksichtigung der Familiensituation sei denkbar, dass von der Lebensgefährtin in Hinblick auf die Versorgung der gemeinsamen Tochter eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden könne. Diese Umstände näher aufzuklären, haben die Vorinstanzen nach Auffassung des BGH zu Unrecht unterlassen. Es fehle daher an hinreichenden Tatsachenfeststellungen, die eine abschließende Beantwortung dieser Frage im konkreten Fall zuließen. Zur Aufklärung der näheren Umstände hat der BGH daher das Verfahren an das OLG zurückverwiesen.
Moderate Besserstellung für Patchworkfamilien
Das Urteil hat erhebliche Konsequenzen für die Berechnung der übergegangenen Unterhaltsansprüche der Sozialämter gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Im Jahre 2014 waren mehr als 450.000 Menschen auf ergänzende Hilfe zur Pflege angewiesen. Für die Sozialämter geht es also um beträchtliche Summen. Zwar dürfte die Zahl der Fälle, in denen eine Lebenspartnerin möglicherweise Anspruch auf Betreuungsunterhalt hat, deutlich niedriger liegen. Dennoch ist die Bedeutung der Entscheidung des BGH nicht zu unterschätzen und räumt gerade Patchworkfamilien einen deutlich vergrößerten Gestaltungsspielraum ein.
(BGH, Beschluss v. 9.3.2016, XII ZB 693/14).
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