Klägerin des Verfahrens war die Tochter ihres im Jahr 2014 verstorbenen Vaters. Der Verstorbene wurde auf einem städtischen Friedhof in einer „Baumgrabstätte“ beigesetzt. Dabei handelt es sich um eine kreisförmig um einen Baum angeordnete, durch eine Gedenktafel gekennzeichnete Vielzahl von Grabstätten, die einheitlich bepflanzt und durch Pflastersteine eingefasst sind.
Enkelin brachte reichlich Schmuck an die Grabstätte
Die Enkelin des Verstorbenen und Nichte der Klägerin fühlte sich im Andenken an ihren Großvater bemüssigt, die Grabstätte mit reichlich auffälligem Schmuck zu versehen. Vor der Gedenktafel ihres Großvaters stellte sie u.a.
- zwei Topfpflanzen und eine Steckvase auf,
- legte 13 Rosen aus purem Messing nieder,
- dazu hochwertige Kunststoffblumen,
- ein weithin sichtbares rotes Herz aus Holz,
- zwei weitere weiße Herzen,
- ein Weihnachtsherz,
- fünf Keramikübertöpfe,
- eine Laterne
- sowie drei dekorative Engel.
Grabschmuck traf nicht den Geschmack der Klägerin
Die Tochter des Verstorbenen war mit dieser Fülle an zum Teil künstlichem Grabschmuck nicht einverstanden und entfernte diesen kurzerhand. Dies wiederum veranlasste ihre Nichte zur Erstattung einer Strafanzeige gegen ihre Tante wegen Diebstahls. Sie wollte, dass der entfernte Grabschmuck wieder an die Grabstätte zurückkommt.
Tante antwortet auf Strafanzeige mit Unterlassungsklage
In Reaktion hierauf verklagte die Tochter des Verstorbenen ihre Nichte vor dem Amzsgericht u.a. mit dem Antrag, es zu unterlassen auf dem Grab Blumengebinde, Ornamente oder andere Gegenstände jeglicher Art abzulegen. Nachdem die Klage zunächst beim AG scheiterte, gab das LG der Klage in zweiter Instanz im wesentlichen statt, ließ aber ausdrücklich die Revision zu. Die Revision der Beklagten hat der BGH nun zurückgewiesen.
Totenfürsorge ist ein nach § 823 BGB geschütztes Recht
Nach der Entscheidung des BGH hat das LG den Unterlassungsanspruch der Klägerin zu Recht gemäß §§ 1004 Abs. 1 Satz 2, 823 Abs. 1 BGB als begründet angesehen.
- Die beklagte Nichte habe durch die Ablage von diversen Gegenständen auf der Grabstätte
- das durch § 823 Abs. 1 BGB geschützte Recht der klagenden Tante auf Totenfürsorge verletzt.
Die Totenfürsorge qualifizierte der BGH als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB, das im Falle seiner Verletzung Ansprüche auf Schadenersatz sowie auf Beseitigung und Unterlassung von Beeinträchtigungen entsprechend § 1004 BGB begründen könne (OLG Naumburg, Urteil v. 08.10. 2015, 1 U 72/15).
Totenfürsorge umfasst auch Gestaltungsrechte
Die Verletzung des Rechts zur Totenfürsorge folgt nach dem Diktum des BGH aus verschiedenen Gesichtspunkten:
- Zunächst umfasse das Recht zur Totenfürsorge unter anderem das Recht, für die Bestattung des Verstorbenen zu sorgen (BGH, Beschluss v. 26.11.2015, III ZB 62/14).
- Dieses Recht schließe die Bestimmung der Gestaltung und des Erscheinungsbildes einer Grabstätte mit ein.
- In der Folge umfasse das Totenfürsorgerecht die Befugnis zur Pflege und Aufrechterhaltung des Erscheinungsbildes der Grabstätte (OLG Frankfurt, Urteil v. 23.03.1980, 16 U 82/88).
Eine Grabstätte diene nämlich nicht nur der Aufnahme des Sargs oder der Urne, sondern sei als künftiger Ort des Erinnerns und Gedenkens an den Verstorbenen auch auf die Zukunft gerichtet.
Maßgeblich für die Grabgestaltung ist der Wille des Verstorbenen
Nach dem Urteil des BGH ist die klagende Tante im konkreten Fall auch die allein zur Totenfürsorge Berechtigte. Nach den nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts hätten der Verstorbene und seine Ehefrau sie zu Lebzeiten gebeten, für ihre Bestattung und für ihre Grabstätte zu sorgen.
- Für die Ausübung des Totenfürsorgerechts sei der Wille des Verstorbenen maßgeblich.
- Dieser könne die Art und Weise seiner Bestattung sowie die Person bestimmen, die über die konkrete Ausgestaltung der Grabstätte entscheiden soll (BGH, Beschluss v. 14.12.2011, IV ZR 132/11).
- Der zur Totenfürsorge Berechtigte habe damit das Recht, den Willen des Verstorbenen notfalls auch gegen den Willen von anderen Angehörigen umzusetzen (BGH Urteil v. 26.02.1992, XII ZR 58/91).
Für die Ermittlung des Willens des Verstorbenen komme es im übrigen nicht auf eine Niederlegung dieses Willens in einer letztwilligen Verfügung an, entscheidend sei, dass der Wille des Verstorbenen aus den Gesamtumständen erkennbar werde.
Klägerin hatte alleinige Befugnis zur Grabgestaltung
Im konkreten Fall kam der BGH zu dem Ergebnis, dass der Verstorbene erkennbar seiner Tochter die Entscheidungsbefugnis über die Ausgestaltung seiner Grabstätte übertragen hatte. Der Verstorbene habe im übrigen schon zu Lebzeiten eine naturnahe Gestaltung des Grabes gewünscht.
Die von der beklagten Nichte / Enkelin abgelegten, teilweise künstlichen Gegenstände hätten das Erscheinungsbild der Grabstätte massiv verändert. Diese Veränderung des Erscheinungsbildes habe weder dem Willen des Verstorbenen noch dem der Klägerin entsprochen. Auf darüber hinaus mögliche Verstöße gegen die gültige Friedhofsordnung durch Ablegung des Grabschmucks kam es nach Auffassung des BGH im konkreten Fall daher nicht mehr an. Der BGH wies die Revision zurück.
BGH, Urteil v. 26.02. 2019, VI ZR 272/18.
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Rechtsfragen rung um die Totenfürsorge
Hintergrund:
Wer hat die Totenfürsorge? Hat der Verstorbene keine Anordnungen getroffen oder auch keinen Dritten mit der Totenfürsorge beauftragt und ist auch ein sonstiger, zumindest konkludent geäußerter Wille nicht erkennbar, so obliegt die Totenfürsorge nach Gewohnheitsrecht in erster Linie den nächsten Familienangehörigen und nicht den Erben.
Umgekehrt kann sich ein bestattungspflichtiger Erbe durch die Ausschlagung der Erbschaft nicht von seiner Totenfürsorgepflicht befreien.
Nicht totenfürsorgeberechtigt und somit auch nicht bestattungspflichtig sind der Nachlasspfleger und der Betreuer. Vielmehr sind zunächst die nächsten Familienangehörigen berechtigt und verpflichtet, über Ort und Art der Bestattung zu bestimmen. Das Totenfürsorgerecht der nächsten Angehörigen ist eine Nachwirkung aus dem familienrechtlichen Verhältnis, das den Verstorbenen bei Lebzeiten mit den überlebenden Angehörigen verbunden hat.Es gehört damit zu den absoluten Persönlichkeitsrechten, das durch Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 GG geschützt ist.