Unzulässige Generaleinwilligung
Ein Handelsvertreter, der einen Verlag betreibt, hatte ein Online-Unternehmen auf Unterlassung wegen der Zusendung unerbetener E-Mail Werbung in Anspruch genommen. Vorausgegangen war die Inanspruchnahme eines sogenannten „Free-Ware-Programms“ durch den Handelsvertreter. Beim Herunterladen der kostenlosen Software hatte der Handelsvertreter einen Button angeklickt, der dem Anbieter der Freeware die Weitergabe der E-Mail-Adresse des Handelsvertreters an eine Vielzahl auf einer klickbaren Sonderseite einzeln aufgelisteter Unternehmen erlaubte.
Ungefragte Werbemails an die Geschäftsadresse
Im März 2013 erhielt der Handelsvertreter unter seiner geschäftlichen E-Mail-Adresse zwei Werbemails ihm nicht bekannter Firmen. Der Handelsvertreter vermutete den Anbieter der Freeware als Verursacher und mahnte diesen ab. Der Freeware-Anbieter verweigerte die Abgabe einer Unterlassungserklärung. Darauf nahm der Handelsvertreter das Online-Unternehmen gerichtlich auf Unterlassung in Anspruch.
Kein Unterlassungsanspruch wegen unlauteren Wettbewerbs
Nach Auffassung des BGH stand dem Handelsvertreter kein Anspruch auf Unterlassung aus § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 UWG zu. Nach dieser Vorschrift ist eine geschäftliche Handlung unzulässig, die einen anderen Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt. Dies gilt insbesondere für Fälle ungefragter Übersendung von Werbung. Gemäß § 8 Abs. 3 UWG sind betroffene Verbraucher aber nicht in Person berechtigt, Unterlassungsansprüche geltend zu machen, sondern nur Mitbewerber oder dazu eigens nach dem Gesetz berechtigte Vereine zum Schutz der Verbraucher oder zum Schutz des lauteren Wettbewerbs. Zu diesem Kreis gehörte der Handelsvertreter nicht
Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
Der BGH gestand dem Handelsvertreter aber einen Anspruch Unterlassung gemäß §§ 1004, 823 Abs. 1,831 BGB zu. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH stellt die ungefragte Übersendung von Werbemails einen Eingriff in den eingerichteten ausgeübten Gewerbebetrieb dar (BGH, Urteil v. 21.4.2016, I ZR 276/14).
- Gegenstand des Schutzes dieser Rechtsprechung ist die Verhinderung des Eindringens des Werbenden in die geschäftliche Sphäre, insbesondere in die internen Betriebsabläufe anderer Marktteilnehmer.
- Werbemails können nach Auffassung des BGH zu einer erheblichen Störung der Betriebsabläufe von Unternehmen führen, die den E-Mail-Briefkasten ständig zu Geschäftszwecken einsetzen.
- Der BGH will verhindern, dass Marktteilnehmern Werbemaßnahmen gegen ihren erkennbaren oder mutmaßlichen willen aufgedrängt werden.
- Verhindert werden soll darüber hinaus, dass die belästigende Werbung zu einer Bindung von Ressourcen des Empfängers führt (BGH, Urteil v. 1.6.2006, I ZR 167/03).
Kostenlose Software verpflichtet zu nichts
Nach Auffassung des BGH war die Übersendung der Werbemails hier nicht durch eine Einwilligung des Handelsvertreters gedeckt. Zwar habe der Kläger über die Plattform der Beklagten ein kostenloses Softwareprogramm heruntergeladen, er habe aber nicht damit rechnen müssen, deshalb mit ungefragter Werbung ihm nicht bekannter Unternehmen überzogen zu werden.
- Daran ändert es nach dem Diktum des BGH auch nichts, dass der Handelsvertreter beim Herunterladen der Freeware unterhalb des Eingabefeldes für seine E-Mail-Adresse darauf hingewiesen wurde, dass die eingegebene E-Mail-Adresse für den Betreiber der Seite sowie für dessen Sponsoren für werbliche Zwecke freigegeben wird und der Nutzer anschließend in unregelmäßigen Abständen Werbung per E-Mail erhalten werde.
- Durch Betätigung der Enter-Taste habe der Handelsvertreter zwar die Nutzungsbedingungen der Beklagten bestätigt, diese Nutzungsbedingungen seien aber rechtlich zumindest insoweit nicht verbindlich, als in diesen Nutzungsbedingungen eine vorformulierte Einwilligungserklärung enthalten war.
Eine formularmäßige Einwilligung muss glasklar sein
Der BGH bewertete diese vorformulierte Einwilligungserklärung als AGB im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Abgabe einer Einwilligungserklärung durch AGB sei zwar grundsätzlich möglich (BGH, Urteil v. 25.10.2012, I ZR 169/10), dazu müsse diese Einwilligungserklärung aber hinreichend bestimmt sein. Nach Auffassung des BGH war die vorformulierte Einwilligungserklärung hier
- weder hinreichend konkret gefasst
- noch entsprach sie dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2BGB.
- Nur wenn der Verwender die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners in den AGB glasklar gestalte, sei eine solche Einwilligung in den AGB als wirksame Willenserklärung zu werden (BGH, Urteil v. 9.12.2014, X ZR 147/13).
Eine Generaleinwilligung geht zu weit
Hier bewertete der BGH die Klausel als verdeckte Generaleinwilligung, da nach den verwendeten Formulierungen völlig offen lasse, für welche Produkte und Dienstleistungen geworben werden dürfe. Der Kreis der Kunden sei schwer überschaubar. Die Formulierung der Klausel erwecke auf den ersten Blick der Eindruck, dass es sich um eine beschränkte Einwilligung handelt, die sich nur auf Produkte des Plattformbetreibers bezieht. In Wirklichkeit sei die Produktpalette, für die geworben werden könne, aber überhaupt nicht eingegrenzt, so dass auch die Frage der Bewertung als überraschende Klausel im Raum stehe. Auf Letzteres kam es aber nach der Entscheidung des BGH nicht mehr an.
Unterlassungsklage hat Erfolg
Wegen der mangelnden Bestimmtheit sah der BGH die vorformulierte Erklärung als unwirksam an und bewertete jede darauf folgende Werbung als einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten ausgeübten Gewerbebetrieb des Handelsvertreters. Die Unterlassungsklage war damit erfolgreich.
(BGH Urteil v. 14.3.2017, VI ZR 721/15)
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