EuGH zur Unabhängigkeit des Anwalts bei universitärem Lehrauftrag
Der EuGH (Große Kammer) hat einen Beschluss des EuG aufgehoben, mit dem die Klage der Universität Breslau gegen die Exekutivagentur für die Forschung (REA), die die Forschungsmittel der EU verwaltet, als offensichtlich unzulässig abgewiesen wurde, weil der die Universität vertretene Rechtsberater nicht die nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union erforderliche Voraussetzung der Unabhängigkeit erfülle.
Von der Universität wurden Fördermittel zurückgefordert
In dem vom EuGH entschiedenen Fall hatte die Universität Breslau im Rahmen eines Forschungsprogramms mit der REA eine Finanzhilfevereinbarung geschlossen. Die Vereinbarung sah vor, dass der im Rahmen der geförderten Tätigkeiten vollzeitbeschäftigte Forscher nicht berechtigt ist, über die Bezahlung seiner Forschungstätigkeit hinaus andere Einkünfte zu erzielen. Nach den Feststellungen der REA hielt die Universität diese Vereinbarung nicht ein. Die REA kündigte darauf die Finanzhilfevereinbarung und forderte einen Teil der der Universität bereits gewährten Fördermittel in Höhe von etwas über 36.000 Euro zurück.
EuG weist Klage als offensichtlich unzulässig ab
Die Universität Breslau erhob Klage beim EuG mit dem Antrag, die Kündigung der Finanzhilfevereinbarung sowie den Rückforderungsbescheid betreffend die Fördermittel für nichtig zu erklären. Hierbei ließ sie sich von einem „Rechtsberater“ vertreten, der durch einen Lehrvertrag mit der Universität verbunden war. Das EuG sah in diesem Lehrvertrag ein Abhängigkeitsverhältnis und hielt den Rechtsberater daher nicht für hinreichend unabhängig. Demgemäß wies das EuG die Klage als offensichtlich unzulässig ab.
Hinweis: Das polnische Recht kennt neben dem Beruf des Rechtsanwalts den Beruf des Rechtsberaters (radca prawny), der berechtigt ist, Mandanten vor den ordentlichen Gerichten zu vertreten. Der EuGH subsummierte auch diese Berufsgruppe unter den Begriff des Anwalts im Sinne des Anwaltszwangs in Art. 19 der EuGH-Satzung.
Partieller Anwaltszwang vor den Unionsgerichten
Gegen die Entscheidung der REA legte die Universität Rechtsmittel ein. Der EuGH stellte bei seiner Entscheidung auf Art. 19 der Satzung des Gerichtshofes der Europäischen Union ab. Nach dieser Vorschrift können sich die Mitgliedstaaten sowie die Unionsorgane vor dem EuGH durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen.
Alle anderen Parteien müssen vor den Unionsgerichten durch einen Anwalt vertreten sein, der berechtigt ist, vor einem Gericht eines Mitgliedstaates oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum (EWR) aufzutreten. Dass der Rechtsberater der Universität grundsätzlich berechtigt war, vor den innerstaatlichen Gerichten seines Landes aufzutreten, stand nicht infrage. Der EuGH machte das zu beurteilen Rechtsproblem deshalb an der Frage fest, ob der Rechtsvertreter als „Anwalt“ im Sinne des Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union anzusehen ist oder nicht.
Bestmögliche Interessenvertretung nur durch Anwälte
Der EuGH wies darauf hin, dass der Begriff „Anwalt“ im Sinne von Art. 19 der Satzung innerhalb der Union einheitlich auszulegen sei und dabei nicht allein der Wortlaut der Vorschrift zu berücksichtigen, sondern auch auf den Gesamtzusammenhang und das Ziel des Art. 19 abzustellen sei. Hierbei sei zu beachten, dass außer den Mitgliedstaaten der Union und deren Organe andere Parteien zwingend durch einen Anwalt zu vertreten seien. Diese Regelung verfolge den Zweck, durch die Vertretung eines von den Parteien unabhängigen Anwalts, der an eigene Berufsstandesregeln gebunden sei, die Interessen des Mandanten bestmöglich zu wahren und zu schützen.
Nicht jedes Beschäftigungsverhältnis macht abhängig
Der Begriff der Unabhängigkeit ist nach dem Diktum des EuGH aber nicht nur negativ durch das Fehlen eines Beschäftigungsverhältnisses zu definieren, sondern auch positiv unter Bezugnahme auf die berufsständischen Pflichten. Daraus folge, dass die Unabhängigkeit des Anwaltes nicht das Fehlen jeglicher Verbindung zu seinem Mandanten voraussetze, vielmehr komme es entscheidend auf das Fehlen von Verbindungen an, die die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit des Anwalts beeinträchtigen könnten. Dies sei regelmäßig dann der Fall, wenn ein Anwalt innerhalb der Organisation seines Mandanten administrative und finanzielle Befugnisse habe und er mit höheren Führungsaufgaben betraut sei. Fehle eine solche Leitungsfunktion, sei die Unabhängigkeit regelmäßig nicht gefährdet.
Lehrauftrag gefährdet die Unabhängigkeit des Anwalts nicht
Für den anhängigen Fall zog der EuGH daraus den Schluss, dass die bloße Beauftragung eines Anwalts oder ihm gleichgestellten Rechtsberaters innerhalb der Lehre einer Universität frei von jeglicher administrativen Einbindung und ohne ein Über/Unterordnungsverhältnis innerhalb der Organisation der Uni in seiner Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt sei. Den Begriff des Anwalts im Sinne des Art. 19 erfülle der Rechtsberater im konkreten Fall daher ohne weiteres. Seine Fähigkeit, die Interessen seines Mandanten bestmöglich und unabhängig zu vertreten, sei durch den erteilten Lehrauftrag nicht beeinträchtigt. Demgemäß beurteilte der EuGH die Entscheidung des EuG als rechtsfehlerhaft und wies die Rechtssache zur weiteren Entscheidung und Verhandlung an das EuG zurück
(EuGH, Urteil v. 4.2.2020, C-515/17P u. C-561/17P).
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