Berufungsbegründung muss ein Mindestmaß an Konkretisierung aufweisen
Immer wieder haben Gerichte Veranlassung, sich mit den grundsätzlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründungsschrift auseinanderzusetzen. In einem jetzt vom OLG Köln entschiedenen Fall bestand die Berufungsbegründung ausschließlich aus Textbausteinen und Versatzstücken ohne konkreten Bezug zum Sachverhalt.
Rechtsstreit um Schadenersatz wegen Diesel-Manipulationssoftware
Der der Entscheidung zugrundeliegende Rechtsstreit hatte die Schadenersatzforderung einer Fahrzeughalterin gegen die Herstellerin eines Mercedes Benz Typ A 250d 4Matic zum Gegenstand. Das Fahrzeug war mit einem Dieselmotor versehen, der nach dem Vortrag der Klägerin mit einem Sachmangel behaftet war. Das Fahrzeug soll über eine sogenannte „Schummel-Software“ verfügt haben, die den Betriebsmodus eines Rollenprüfstandes erkennt und dort für einen wesentlich niedrigeren Schadstoffausstoß sorgt als dieser im normalen Straßenverkehr auftritt.
Klage erstinstanzlich als unschlüssig abgewiesen
Erstinstanzlich war die Klage mit der Begründung abgewiesen worden, die Klägerin habe nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, wie die Manipulationssoftware funktioniert haben soll. Die Verwendung eines im streitgegenständlichen Fahrzeug eingebauten sogenannten thermischen Fensters sei laut Hersteller gerade nicht ausschließlich für den Rollenprüfstand gedacht. Die Klägerin sei dem nicht entgegengetreten und habe auch im übrigen mit einer ganzen Reihe von Mutmaßungen und Behauptungen ins Blaue hinein argumentiert, weshalb der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch im Ergebnis nicht schlüssig begründet sei.
146 Seiten ohne konkreten Sachbezug
Gegen das klageabweisende Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und diese allgemein damit begründet, ihr Fahrzeug sei vom sogenannten Abgasskandal betroffen. Beim Erwerb des Fahrzeugs sei es ihr um ein umweltfreundliches, kraftstoffsparendes Fahrzeug gegangen. Auf insgesamt 146 Seiten folgt in dem Berufungsbegründungsschriftsatz eine umfangreiche Darstellung der Historie des Abgasskandals, der Darstellung einer Rückrufaktion seitens Mercedes-Benz und einer technischen Darstellung zur Beeinflussung des Emissionsverhaltens durch Einbau einer Manipulationssoftware. Letztere bezog sich allerdings im wesentlichen auf die in VW-Dieselfahrzeuge eingebaute Abgassoftware.
Berufungsanträge unklar
Diese Ausführungen bewertete das OLG als insgesamt zu unspezifisch und daher unsubstantiiert. Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO habe die Berufungsbegründung eine Erklärung zu enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Ersturteils beantragt werden. Schon hieran mangele es dem. Der Berufungsantrag beschränke sich auf die Erklärung, dass man die bisherigen „Anträge über den bereits zugesprochenen Umfang hinaus in vollem Umfang“ weiter verfolge. Dies sei schon deshalb merkwürdig, weil erstinstanzlich gar nichts gesprochen worden sei.
Berufungsbegründung zu floskelhaft
Die Berufungsbegründungsschrift erschöpfte sich nach Auffassung des OLG auch sonst in allgemeinen floskelhaften Redewendungen und nahm zur Konkretisierung mehrfach formelhaft auf den Sachvortrag erster Instanz Bezug. Die Berufungsbegründung enthalte demgegenüber keine konkret auf das erstinstanzliche Urteil bezogenen Berufungsangriffe, weder in sachlicher noch in rechtlicher Hinsicht.
Ausschließlich Textbausteine sind zu wenig
Im Ergebnis bestand die 146 Seiten umfassende Berufungsschrift nach Einschätzung des Senats lediglich aus Textbausteinen und Textversatzstücken. Dies genüge nach ständiger Rechtsprechung nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung (BGH, Urteil v. 27.5.2008, XI ZB 41/06).
Textbausteine seien zwar nicht grundsätzlich unzulässig, jedoch müssten sie zumindest an irgendeiner Stelle der Berufungsbegründung einen Bezug zum Einzelfall erkennen lassen (BGH, Urteil v. 6.12.2011, II ZB 21/10). Die telefonbuchartige Schreibvorlage sei hier auch so formuliert, dass unterschiedliche Motoren der Euro V und Euro VI-Norm von der Darstellung abgedeckt würden.
OLG hat nicht die Aufgabe, sich die passenden Textbausteine herauszusuchen
Die Berufungsbegründungsschrift sei eher ein Rechtsgutachten zur Diesel-Krise allgemein als ein Berufungsangriff mit Bezug auf den konkreten Fall. Der Verfasser habe offensichtlich darauf spekuliert, dass der Senat sich aus einer Vielzahl von Textbausteinen die zum Fall passenden heraussucht. Dies entspreche nicht dem Sinn einer Berufungsbegründung, der darin liege, konkret mögliche erstinstanzliche Fehler zu benennen und aufzudecken.
Eine nachträgliche Heilung ist nicht möglich
Nach einem entsprechenden Hinweis des Senats hatten die Anwälte der Berufungsklägerin konkretere Berufungsgründe nachgereicht. Die nachgereichten Textpassagen hätten nach der Entscheidung des OLG zwar möglicherweise einen erneuten Eintritt in die Beweisaufnahme getragen, diese Ausführungen seien aber nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist und damit zu spät an das Gericht gelangt. Die Heilung einer unzureichenden Berufungsbegründungsschrift nach Fristablauf komme grundsätzlich nicht in Betracht.
(OLG Köln, Beschluss v.18.8.2020, 15 U 171/19)
Hintergrund: Mindestanforderungen an eine Berufungsbegründung
Auch der BGH hatte sich schon mehrfach mit den Mindestanforderungen an eine Berufungsbegründung zu befassen. In einem des kürzlich entschiedenen Fall hat der BGH die Verwerfung einer Berufung durch das vorgeschaltete OLG als unzulässig mit der Begründung bestätigt, die Berufungsbegründungsschrift sei sprachlich und inhaltlich in weiten Teilen chaotisch und enthalte keine nachvollziehbaren Angriffe gegen die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils. Die Verständlichkeitsgrenze sei unterschritten, die Berufung daher unzulässig (BGH, Beschluss v. 30.7.2020, III ZB 48/19).
Einige der vom BGH für wesentlich gehaltenen Anforderungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung muss § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 u. 3 ZPO die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung durch das Erstgericht und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche konkreten Punkte des Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er dem Ersturteil entgegengesetzt (BGH, Beschluss v. 23.10.2018 III ZB 50/18).
- Die Berufungsbegründung muss sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die Zweifel an der Richtigkeit der des angegriffenen Urteils begründen, aufführen (BGH, Beschluss v. 3.3.2015 VI ZB 54/19).
- Eine zulässige Berufungsbegründung muss argumentativ auf den konkreten Streitfall zugeschnitten und darf nicht lediglich aus standardmäßig formulierten Textbausteinen ohne konkreten Sachbezug zusammengesetzt sein (BGH, Beschluss v.10.12.2015, IX ZB 35/15).
- Die Berufungsbegründungsschrift hat sämtliche entscheidungserheblichen Aspekte, die das Urteil tragen, anzugreifen. Fehlt ein Berufungsangriff gegen einen das Urteil allein tragenden Aspekt, so ist die Berufungsbegründung ebenfalls unzureichend und die Berufung damit unzulässig (BGH, Beschluss v. 7.5. 2020, IX ZB 62/18).
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