BGH zur vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei Existenzgefährdung
Der BGH hatte sich im Rahmen einer Patentnichtigkeitsklage mit Zwangsvollstreckungsfragen zu befassen.
In dem entschiedenen Fall war eine Patentnichtigkeitsklage in erster Instanz erfolgreich. Auf der Grundlage eines Streitwertes von 30.000.000 EUR ergingen gegen die Schuldnerin Kostenfestsetzungsbeschlüsse über mehr als 950.000 EUR.
Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung?
Da die Schuldnerin gegen das Urteil Berufung eingelegt hatte, beantragte sie zusätzlich, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil und den ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlüssen ohne Sicherheitsleistung einzustellen. Zur Begründung berief sie sich darauf, dass die Vollstreckung die Vernichtung ihrer Existenz zur Folge hätte und ihr somit außergewöhnliche Nachteile entstünden.
Der BGH führte aus, dass die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Berufungsgericht gemäß §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO nur dann ohne Sicherheitsleistung erfolgen könne, wenn der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Zwangsvollstreckung für ihn einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
Auch bei großen drohenden Nachteilen ist eine Interessenabwägung vorzunehmen
Sofern die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, muss das Berufungsgericht aber nicht in jedem Fall die Zwangsvollstreckung einstellen. Vielmehr hat es eine Interessenabwägung vorzunehmen und darf dem Antrag nur entsprechen, wenn die schutzwürdigen Interessen des Schuldners diejenigen des Gläubigers überwiegen.
Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten der gegen das zu vollstreckende Urteil eingelegten Berufung zu berücksichtigen.
- Grundsätzlich kann nach der Entscheidung des BGH der drohende Verlust der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Schuldners als nicht zu ersetzender Nachteil im Sinne der §§ 707, 719 ZPO anzuerkennen sein.
- Im konkreten Fall stellte der BGH jedoch darauf ab, dass die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin auch unabhängig von den eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen als bedroht anzusehen sei.
Interessen der Schuldnerin waren nicht schutzwürdiger als die der Klägerin
Zudem hätte die Schuldnerin sich durch die Ausrichtung ihres Unternehmens in der Weise, dass sie ich speziell und ausschließlich mit der Verwertung eines einzigen Schutzrechtes befasst, selbst einem Risiko ausgesetzt. Es sei unangemessen, die Schuldnerin von diesem Risiko freizustellen, indem der einzige Vermögenswert jedem Zugriff im Wege der Zwangsvollstreckung entzogen wird.
Die die Zwangsvollstreckung betreibende Klägerin hat vielmehr ein schutzwürdiges Interesse daran, sicherzustellen, dass sie die von ihr bereits aufgewendeten Verfahrenskosten auch erstattet erhält. Im konkreten Fall sah der BGH das Interesse der Gläubigerin an Erstattung ihrer Kosten daher als überwiegend an und kam zu dem Ergebnis, dass eine Einstellung ohne Sicherheitsleistung nicht in Betracht kommt.
(BGH, Beschluss v. 06.08.2019, X ZR 97/18).
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Hintergrund: Einstellung der Zwangsvollstreckung
Ohne Sicherheitsleistung darf die Zwangsvollstreckung nur eingestellt werden, wenn der Berufungskläger gem. § 707 Abs. 1 S. 2 ZPO glaubhaft macht, dass er zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und ihm die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil (etwa Entzug der Existenzgrundlage) bringen würde. Das ist bei Titeln, die sich nicht auf Geld richten, vor allem dann denkbar, wenn die Vollstreckung die ökonomische Existenz des Schuldners vernichten würde (BGHZ 21, 377 = NJW 56, 1717; BGHZ 18, 219 = NJW 55, 1635; Rostock FamRZ 04, 127).
Keinesfalls genügen für die Einstellung ohne Sicherheitsleistung aber Nachteile (zB die Gefährdung des Kredits), die mit jeder Zwangsvollstreckung verbunden sind (BGH NJW 00, 3008, 3009).
Prozessmuster:
Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung
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