Erstattung der Anwaltskosten im Bußgeldverfahren bei Freispruch
In Bußgeldverfahren wie auch in Strafverfahren gilt die Regel, dass die dem Betroffenen respektive Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen im Falle eines Freispruchs der Staatskasse aufzuerlegen sind.
Vermeidbare Kosten muss der Betroffene selbst tragen
Für das Ordnungswidrigkeitenverfahren sieht § 109 a Abs. 2 OWiG eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor, wenn dem Betroffenen Auslagen entstanden sind, die er durch rechtzeitiges Vorbringen entlastender Umstände hätte vermeiden können.
In ähnlicher Weise regelt § 467 Abs. 3 StPO für Strafverfahren, dass der Angeschuldigte die durch sein Verhalten verursachten Kosten und Auslagen selbst tragen muss, insbesondere dann, wenn er den Behörden bewusst ihn entlastende Informationen vorenthält.
Die Behörde muss die ihr zumutbare Ermittlungsarbeit leisten
Eine Ausnahme von dieser Ausnahme gilt wiederum dann, wenn
- die von dem Betroffenen vorzubringenden Umstände für den Ausgang des Verfahrens unwesentlich oder nicht adäquat kausal sind,
- die Umstände nicht alleine in der Sphäre des Betroffenen liegen
- und/oder die Umstände der Verwaltungsbehörde, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht im Rahmen der üblichen Ermittlungs- und Aufklärungstätigkeiten ohne weiteres zugänglich gewesen wären.
In diesen Fällen muss der Betroffene seine notwendigen Auslagen nicht selbst tragen, auch wenn er seinerseits frühzeitig zur Aufklärung hätte beitragen können.
Bußgeldbescheid nach Radarkontrolle
In einem vom LG Krefeld entschiedenen Fall, war das Fahrzeug des Betroffenen im Rahmen einer Radarmessung mit überhöhter Geschwindigkeit aufgefallen. Hierbei war das bei diesen Kontrollen übliche Radarfoto des Fahrers erstellt worden. Darauf erhielt der Halter des Fahrzeugs zunächst den obligatorischen Anhörungsbogen und dann den fälligen Bußgeldbescheid. Hiergegen legte er Widerspruch ein, wirkte an der Aufklärung des Sachverhalts aber nicht mit.
Trotz Freispruchs wurden die notwendigen Auslagen nicht der Staatskasse auferlegt
In der mündlichen Verhandlung hatte das AG den Betroffenen vom Vorwurf der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit freigesprochen und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt, nicht aber die notwendigen Auslagen des Betroffenen. Die Kosten für seinen Verteidiger hätte der Freigesprochene damit selbst tragen müssen. Hiergegen legte er sofortige Beschwerde ein.
Behörde hätte Radarfoto mit Passfoto abgleichen müssen
Das LG als Beschwerdegericht hatte also zu prüfen, ob trotz Freispruchs die Voraussetzungen dafür vorlagen, von der Regel der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Freigesprochenen an die Staatskasse abzusehen. Im Rahmen der hierbei vorzunehmenden Abwägung maß das LG dem Umstand eine erhebliche Bedeutung zu, dass die Behörde keine eigene Ermittlungstätigkeit entfaltet hatte. Sie hatte den Betroffenen nicht aufgesucht und auch keine Nachbarschaftsbefragungen mithilfe des Radarfotos durchgeführt. Solch aufwendige Maßnahmen hält das LG Krefeld in diesen Fällen allerdings für nicht zwingend geboten. Die deutlich weniger aufwendige Einholung eines Passfotos zum Zwecke eines Abgleichs mit dem Radarfoto durch die Verwaltungsbehörde sei im Rahmen der üblichen Ermittlungs- und Aufklärungstätigkeit aber zumutbar gewesen. Auch dies habe die Behörde nicht getan, obwohl ein solcher Abgleich in der Praxis üblich sei.
Mindestermittlungspflicht der Behörde
Wenn die Behörde das ihr zumutbare Mindestmaß an Ermittlungsarbeit nicht geleistet hat, darf der Betroffene nach Auffassung des LG nicht mit seinen notwendigen Auslagen belastet bleiben. Nur wenn die Verwaltungsbehörde die zumutbare Ermittlungsarbeit erledigt hat und sich keine weiteren Auffälligkeiten ergeben, die gegen eine Fahrereigenschaft des Betroffenen sprechen, habe der Betroffene seinerseits die ihn entlastenden, der Verwaltungsbehörde nicht ohne weiteres zugänglichen oder erkennbaren Umstände rechtzeitig mitzuteilen.
Gerichtsverhandlung wahrscheinlich nicht vermeidbar
Dies hatte zur Folge, dass die notwendigen Auslagen und damit die Verteidigerkosten des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen waren, da die Voraussetzungen für eine Ausnahme von diesem Grundsatz gemäß § 109a Abs. 2 OWiG nicht vorlagen. Erschwerend kam hinzu, dass das AG in der mündlichen Verhandlung die Fahrereigenschaft des Betroffenen auch durch persönliche Inaugenscheineinnahme seiner Person nicht festzustellen vermochte und damit seinen Freispruch begründet hat. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte nach Auffassung des LG daher auch ein vorgerichtlicher Abgleich und eine rechtzeitige Einlassung des Betroffenen nicht zur Vermeidung des gerichtlichen Verfahrens geführt.
Die Staatskasse hat sämtliche Kosten zu tragen
Die Beschwerde des Betroffenen hatte daher im Ergebnis in vollem Umfang Erfolg. Das LG legte die Kosten sowie die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers sowohl für das Ausgangs- als auch für das Beschwerdeverfahren der Staatskasse auf.
(LG Krefeld, Beschluss v. 29.10.2019, 30 Qs 35/19)
Hintergrund: Notwendigen Auslagen
Zu den notwendigen Auslagen, die im Falle eines Freispruchs der Staatskasse auferlegt werden, gehören die Kosten einer angemessenen Verteidigung und damit auch die Rechtsanwaltskosten. Ausnahme: Geringfügige Bußgelder bis zu zehn Euro, es sei denn die Rechtslage ist besonders kompliziert und anwaltliche Beratung trotz Geringfügigkeit geboten.
Wird ein OWi-Verfahren noch im Stadium der Anhörung eingestellt, so werden dem Betroffenen die Auslagen nicht erstattet. Gemäß § 105 OWiG in Verbindung mit § 467a Abs. 1 StPO setzt die Erstattung der Rechtsanwaltskosten durch den Staat den Erlass eines Bußgeldbescheids voraus.
Im Fall der Einstellung vor dem AG entscheidet dieses nach pflichtgemäßem Ermessen über die Erstattung der notwendigen Auslagen, § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 467 Abs. 4 StPO. Das AG muss seine Entscheidung aber begründen, wenn es von einer Auferlegung der Kosten an die Staatskasse absieht (BVerfG, Beschluss v. 13.10.2015, 2 BvR 2436/14).
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