Keine Akteneinsicht des Nebenklägers bei Aussage-gegen-Aussage

Eine umfassende Einsicht in die Verfahrensakten ist dem Verletzten nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg in aller Regel in solchen Konstellationen zu versagen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.

Dem Angeklagten wurde durch die zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift vorgeworfen, in Hamburg am 28. Februar 2015 einen versuchten Totschlag zum Nachteil des Beschwerdeführers begangen zu haben.

Nebenkläger wollte Akteneinsicht

Der Beschwerdeführer hat nach Anklageerhebung seinen Anschluss als Nebenkläger erklärt und Akteneinsicht beantragt. Die begehrte Akteneinsicht hat der Strafkammervorsitzende unter Hinweis auf die anderenfalls bestehende Gefahr für den Untersuchungszweck nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner „(sofortigen) Beschwerde"; der Strafkammervorsitzende hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen. Die Generalsstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel kostenpflichtig zu verwerfen.

Gerichtliche Sachaufklärung steht im Mittelpunkt

Der Untersuchungszweck im Sinne dieses gesetzlichen Versagungsgrundes ist nach Ansicht des OLG Hamburg gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) zu besorgen ist.

„Eine diesen Maßgaben verpflichtete Entscheidung führt hier wegen einer Reduzierung des gerichtlichen Ermessens auf Null zu einer weitgehenden Versagung der begehrten Akteneinsicht. Eine umfassende Einsicht in die Verfahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versagen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.“

Wann besteht eine Aussage-gegen-Aussage-Situation

Die Beweiskonstellation von Aussage-gegen-Aussage

  • erfährt ihr Gepräge durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Angeklagten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien wie Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsbilder zurückgegriffen werden kann.
  • Dieselbe Verfahrenskonstellation ist allerdings laut Richterspruch auch gegeben, wenn der Angeklagte selbst keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt.

Im vorliegenden Fall wurde das Tatwerkzeug zwar beim Angeklagten sichergestellt.  Allerdings hatte der Angeklagte Notrufe abgesetzt. Zeugenaussagen und das dokumentierte Verletzungsbild beim Angeklagten legenebenfalls Zweifel am Tathergang nahe. Das alles muss das Tatgericht würdigenden – sowohl im Rahmen etwaiger Rechtfertigungsgründe, aber auch für die Strafbemessung (vgl. § 213 StGB).

(OLG Hamburg, Beschluss vom 24.7.2015, 1 Ws 88/15).

Vgl. zum Thema Akteneinsich auch:

Bei erforderlicher Akteneinsicht ist zwingend ein Pflichtverteidiger zu bestellen

Angeklagte hat das letzte Wort


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