Keine überspannten Anforderungen an beachtliches Bestreiten

In einen Zivilprozess muss die Partei für sie sprechende Tatsachen substantiiert und schlüssig einbringen. Werden allerdings die Anforderungen an die Substantiierung eines Vortrages vom Gericht überspannt, dann liegt darin laut BGH ein Verstoß gegen den im Grundgesetz verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör.

In einem zivilgerichtlichen Verfahren gilt der sog. Beibringungsgrundsatz, d.h. jede Partei muss die ihr günstigen Tatsachen substantiiert und schlüssig darlegen. Auf ein bloßes Bestreiten der vom Gegner vorgetragenen Tatsachen kann sich eine Partei nur beschränken, wenn sie sich zu den Behauptungen inhaltlich nicht äußern kann, wenn also der gegnerische Vortrag aus einer Sphäre stammt, in die die andere Partei keinen Einblick hat.

Beispiel für die Zulässigkeit bloßen Bestreitens 

Als Beispiel sei genannt, dass der Kläger bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall behauptet, Eigentümer des beschädigten Fahrzeugs zu sein. Hierüber hat der Beklagte in aller Regel keine Kenntnis, sodass er diesen Vortrag einfach mit Nichtwissen bestreiten kann.

Geht es hingehen um die Höhe der Reparaturkosten und legt der Kläger hierzu ein Sachverständigengutachten vor, dann fragt sich, ob der Beklagte die Höhe des Schadens einfach bestreiten kann oder ob er sich im Einzelnen zu dem Inhalt des vorgelegten Sachverständigengutachtens äußern muss, seinen Vortrag zum Bestreiten also ebenfalls substantiieren muss.

Gericht hatte Schadenersatzanspruch auf Grundlage eines Privatgutachtens zugesprochen

Mit dieser Frage hat sich der BGH befasst. In dem entschiedenen Fall hatten die Vorinstanzen einen Schadenersatzanspruch auf der Grundlage eines vom Kläger vorgelegten Privatgutachtens zugesprochen und ausgeführt, dass der Beklagte den Schaden nicht substantiiert bestritten hätte. Er hätte zu erkennen geben müssen, welche konkreten Positionen in welcher konkreten Höhe zu Unrecht angesetzt worden seien.

BGH sah Verletzung der rechtlichen Gehörs

Dem Ansatz der Vorinstanz ist der BGH entgegengetreten. In den vom Berufungsgericht gestellten Anforderungen an den Beklagten zur Substantiierung seines Bestreitens sah der BGH eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Aus dem Gehörsgrundsatz ergibt sich eine Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Anforderungen an die Substantiierung des Parteivortrags dürfen vom Gericht nicht überspannt werden.

Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag

Im Einzelfall hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat. In dem entschiedenen Fall hatte der Kläger den Schaden auf der Grundlage eines Privatgutachtens beziffert.

  • Der Beklagte hatte sich nicht darauf beschränkt, den Schaden pauschal zu bestreiten,
  • sondern hatte die einzelnen Schadenpositionen aus dem Gutachten benannt
  • und eine Begründung geliefert, warum er diese bestreitet.

Dies hielt der BGH für ausreichend. Höhere Anforderungen an das Bestreiten des Beklagten hätten nicht gestellt werden dürfen.

Gericht muss geeignete Möglichkeiten zur Aufklärung ausschöpfen

Des Weiteren hat der BGH einen Rechtsfehler darin gesehen, dass das Berufungsgericht trotz entsprechenden Beweisantrags des Beklagten davon abgesehen hat, zur Unfallrekonstruktion ein Sachverständigengutachten einzuholen. Das Berufungsgericht wäre gehalten gewesen – so der BGH – die angebotenen Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Das als Beweismittel angebotene Sachverständigengutachten war jedenfalls nicht von vornherein ungeeignet, um zur weiteren Aufklärung beizutragen.

(BGH, Beschluss v. 7.7.2020, VI ZR 212/19).


Hintergrund:

Nach Art 103 Abs. 1 GG ist der Grundsatz rechtlichen Gehörs verfassungsrechtlich garantiert und für jedes gerichtliche Verfahren konstitutiv und unabdingbar. Eine Missachtung des rechtlichen Gehörs verletzt den Betroffenen in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 GG.

Das BVerfG (BVerfG, Urteil v. 19.05.1992, 1 BvR 986/91) deutet den Anspruch auf rechtliches Gehör jedenfalls dahin, dass die Prozessbeteiligten einen Anspruch darauf haben, dass die Richter ihren Vortrag zur Kenntnis nehmen, um so „Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können“.

Wird das rechtliche Gehör entscheidend verletzt, so hat der Betroffene die Möglichkeit, den Fortgang des Verfahrens mit Hilfe einer Gehörsrüge zu erreichen.


Schlagworte zum Thema:  Bundesgerichtshof (BGH), Rechtliches Gehör