Knallharte Notwehrhandlungen sind erlaubt
In dem zu Grunde liegenden Fall standen der Angeklagte und ein Bekannter auf dem Bürgersteig neben einem geparkten Kraftfahrzeug, als ihnen auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite zwei Personen auffielen. Sie beschimpfen diese als „Kanacken“. Diese ließen die Beschimpfungen nicht auf sich beruhen und bewegten sich – ebenfalls Beschimpfungen ausstoßend - auf den Angeklagten und seinen Bekannten ebenfalls zu. Der Angeklagte hielt einen gefüllten Bierkrug in der Hand. Sein Bekannter, der bereits in das Fahrzeug einstieg, stieg aus Sorge vor einem Angriff zügig wieder aus. Er hatte nämlich beobachtet, dass eine der Personen in seiner Tasche kramte und befürchtete, dieser werde ein Messer ziehen. Kaum ausgestiegen traf ihn ein Faustschlag unvermittelt kräftig ins Gesicht, worauf der Angeklagte mit dem gefüllten Bierkrug mit voller Wucht gegen den Kopf des Angreifers schlug, um weitere Attacken zu unterbinden. Der so Getroffene erlitt eine Gehirnerschütterung und eine klaffende Platzwunde.
Erst verurteilt, dann freigesprochen
Das zunächst mit der Sache befasste AG verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu vier Monaten Haft, deren Verbüßung es zur Bewährung aussetzte. Das LG sprach den Angeklagten frei und sah den Schlag mit dem Bierkrug aus dem Gesichtspunkt der Nothilfe als gerechtfertigt an. Letzteres wurde in der Revision vom OLG bestätigt.
Nothilfesituation war gegeben
Nach Auffassung des OLG bestand unzweifelhaft zum Zeitpunkt des Schlages durch den Angeklagten eine Nothilfelage. Die Nothilfe setze einen gegenwärtigen Angriff sowie eine unmittelbar bevorstehende Rechtsgutsverletzung voraus. Diese Voraussetzung sei auch dann erfüllt, wenn die Rechtsgutverletzung bereits vorüber sei, aber die Gefahr einer Vertiefung oder Wiederholung andauere und nur durch eine massive Abwehrhandlung abgewendet werden könne (OLG Koblenz, Beschluss v. 17.1.2011, 2 Ss 234/10).
Keine zeitliche Zäsur
Nach Auffassung des OLG dauerte die Nothilfelage auch nach Ausführung des ersten Faustschlages noch an. Das Verhalten des Angreifers hätte ohne weiteres den Schluss zugelassen, dass weitere Verletzungshandlungen zu befürchten seien, zumal er auch weiterhin Beschimpfungen ausgestoßen habe. Die Beendigung der ersten Verletzungshandlung hätte nicht zu einer zeitlichen Zäsur in der Weise geführt, dass der Angeklagte eine weitere konkrete Angriffshandlung hätte abwarten müssen, um zur Gegenwehr berechtigt zu sein. Solange die Gefahrenlage nach den objektiven Gegebenheiten andauere, sei auch nach Ausführung eines Schlages eine Nothilfehandlung zulässig.
Der Nothelfer muss nicht lange fackeln
Der Angeklagte sei auch nicht gehalten gewesen, lange Überlegungen dahingehend anzustellen, ob zur Abwehr möglicherweise ein milderes Mittel als der Schlag mit dem gefüllten Bierkrug in Betracht gekommen sei. Angesichts der Unmittelbarkeit der Gefahr eines weiteren Angriffs hätten derartige Überlegungen sich schon aus zeitlichen Gründen verboten. Der Angeklagte habe auch nicht davon ausgehen können, dass ein Schlag mit der Faust ausreichend sein würde, um weitere Angriffe abzuwenden. Er habe vielmehr das Recht gehabt, seine Abwehrhandlung so anzulegen, dass diese zu einer dauerhaften und endgültigen Beendigung der Gefahrenlage führen würde. Hierzu war der Schlag mit dem Bierkrug gegen den Kopf nach Auffassung des Gerichts angemessen und geeignet, auch wenn dieser im schlimmsten Fall zu lebensgefährlichen Verletzungen hätte führen können.
Rechtswidrige Vortat schränkt Nothilferecht nicht ein.
Nach Meinung der Richter war das Notwehrrecht des Angeklagten auch nicht dadurch eingeschränkt, dass er und sein Bekannter zuvor selbst Beleidigungen in Richtung der Angreifer ausgestoßen hätten. Diese Beleidigungen seien nicht in einer Weise erfolgt, dass der Angeklagte mit einem derart brutalen Angriff durch die „Gegenseite“ hätte rechnen müssen. Es lag damit keine Notwehrprovokation vor, so dass das Recht zur Nothilfe in keiner Weise eingeschränkt gewesen sei. Im Ergebnis wurde der Angeklagte somit rechtskräftig freigesprochen.
(OLG Hamm, Urteil v. 15.7.2013, 1 RVs 38/13)
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