Pflichtverteidigerbestellung soll bald schon im Vorverfahren möglich sein
Der veröffentlichte Entwurf zur Umsetzung der PKH-Richtlinie stößt nicht nur auf Zustimmung, wie schon der der Pressemitteilung des Deutschen Bundestages zu entnehmen ist. Kritikpunkte sind unter anderem die erforderliche Antragstellung des Beschuldigten sowie, auf der Ermittlerseite, die Ausweitung der Pflichtverteidigung auf das Ermittlungsverfahren, von der Polizei und Staatsanwaltschaft Behinderungen ihrer Ermittlungsarbeit befürchten.
Bisher keine Prozesskostenhilfe für den Angeklagten im Strafverfahren
Anders als im Adhäsions- und im Nebenklageverfahren ist Prozesskostenhilfe für den Angeklagten im Strafverfahren bisher in Deutschland nicht vorgesehen. Im Strafverfahren gibt es lediglich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, dessen Voraussetzungen jedoch nicht an eine finanzielle Bedürftigkeit des Beschuldigten geknüpft sind. Das soll sich jetzt ändern, nach Vorgaben der EU.
Prozesskostenhilfe für den Angeklagten im Strafverfahren
Die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung sind in § 140 StPO gesetzlich geregelt. Für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist aktuell nach geltendem Recht kein Antrag des Beschuldigten erforderlich. Die Kosten des Pflichtverteidigers werden gegenüber der Staatskasse abgerechnet. Bei einer Verurteilung trägt der Verurteilte die Kosten des Verfahrens, somit auch diejenigen der Pflichtverteidigung.
EU-Richtlinie soll(te) bis Mai 2019 in Deutschland umgesetzt werden
Die EU-Richtlinie 2016/1919, welche seit 2016 in Kraft ist und bis zum 5. Mai 2019 in nationales Recht umzusetzen war, sieht vor, dass Verdächtige und Beschuldigte in einem Strafverfahren sowie gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls bereits frühzeitig Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, wenn diese nicht über ausreichend finanzielle Mittel zur Bezahlung eines Rechtsanwaltes verfügen und dies im Interesse der Rechtspflege steht.
Inzwischen liegt ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung (BT-Drucks. 19/13829) vor, der die EU-Richtlinie umsetzen und das vom BMJV als bewährt empfundene, aber unter Strafverteidigern auch auch in Teilen unumstrittene System der notwendigen Beiordnung grundsätzlich beibehalten soll (→ Zwischen Pflichtverteidigern und Strafrichtern herrscht ein merkwürdiges Verhältnis in Deutschland).
Zweistufigen Prüfung des Rechtspflegeinteresses geplant
Es ist vorgesehen, die Richtlinienvorgaben im Wege einer zweistufigen Prüfung des Rechtspflegeinteresses umzusetzen:
- Zunächst sollen die Tatbestände der notwendigen Verteidigung geregelt und dabei der Katalog des § 140 StPO in mehrfacher Hinsicht an die Richtlinienvorgaben angepasst werden. Unter anderem soll ein Fall notwendiger Beiordnung nicht erst – wie es dem geltenden Recht derzeit entspricht – mit der Vollstreckung von Untersuchungshaft oder vorläufiger Unterbringung, sondern bereits mit der Vorführung an einen Richter vorliegen.
- Liege sodann ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, solle die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in zeitlicher Hinsicht zukünftig maßgeblich durch die Antragstellung des Beschuldigten bestimmt werden. Stelle er einen solchen Antrag nach Belehrung nicht, sei dies bei der Prüfung, wann im Vorverfahren gleichwohl eine Pflichtverteidigerbestellung im Rechtspflegeinteresse erforderlich sei, vorrangig zu berücksichtigen. Spätestens mit der Anklageerhebung sei ihm jedoch, wie im derzeit geltenden Recht, in den Fällen der notwendigen Verteidigung ein Pflichtverteidiger zu bestellen.
Zusätzlich soll zur effektiven Umsetzung des Anspruchs des Beschuldigten zusätzlich eine Eilentscheidungsbefugnis der Staatsanwaltschaft geschaffen werden.
Gesetzesentwurf der Bundesregierung stößt auf Kritik von mehreren Seiten
Strafverteidiger kritisieren den Entwurf unter anderem dahingehend, dass eine Feststellung und Beiordnung grundsätzlich von einer Antragstellung des Beschuldigten abhängig gemacht werden soll. Eine notwendige Verteidigung diene nicht nur dem Schutz des Beschuldigten, sondern liege im gesellschaftlichen Interesse und dürfe nicht von einem Antrag des Beschuldigten abhängig gemacht werden, so Stephan Schneider von der Vereinigung Berliner Strafverteidiger.
Von Seiten der Vertreter auf Ermittlungsseite werden Bedenken geäußert, dass die Umsetzung des Regierungsentwurfs, wie bei einer ersten Beschuldigtenvernehmung durch die Polizei, erhebliche negative Auswirkungen auf die Strafverfolgung haben werde.
Anmerkung: Verspätete Umsetzung
Grundsätzlich verpflichten Richtlinien gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV den Gesetzgeber des jeweiligen Mitgliedstaates zur Umsetzung. Sie können jedoch ausnahmsweise unmittelbare Wirkung entfalten.
Die nicht rechtzeitige Umsetzung der PKH-Richtlinie kann für Haftrichter, aber auch bei Anwälten die Frage aufwerfen, ob sie die Vorgaben dieser Richtlinie ab dem vorgeschriebene Umsetzungstermin 25.05. 2019 mit direktem Bezug auf die EU-Richtlinie beachten müssen. Dazu gibt es einen interessanten Aufsatz von Nicolai Kanies in HRRS Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht.
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