Trotz Corona-Beschränkungen Demonstration mit 50 Personen genehmigt
Die Entscheidung des VG Köln reiht sich ein in eine Reihe weiterer gerichtlicher Entscheidungen, die den staatlichen Behörden bei der Beschränkung der Versammlungsfreiheit im Zuge der Bekämpfung der Ansteckungsgefahr mit dem Covid-19-Virus Grenzen setzt.
Versammlung zunächst nur unter strengen Auflagen genehmigt
Der Antragsteller hatte eine Versammlung auf dem Kölner Neumarkt für den 8.5.2020 in der Zeit von 21 bis 22:00 Uhr angemeldet. Das Motto der Versammlung lautete: „Künstlerischer, kreativer Akt für Demokratie und das deutsche Grundgesetz“. Die zuständige Versammlungsbehörde hatte die Versammlung unter folgenden Auflagen genehmigt:
- Beschränkung der Teilnehmerzahl auf höchstens 20 Personen,
- die verbindliche Eintragung sämtlicher teilnehmenden Personen in eine Teilnehmerliste,
- die jeweils die wichtigsten persönlichen Daten zur Identifizierung der Teilnehmer wie Vor- und Zuname, Postanschrift und Telefonnummer enthält.
- Der Versammlungsleiter wurde verpflichtet, diese Liste zwei Monate aufzubewahren und diese gegebenenfalls auf Anforderung dem örtlichen Gesundheitsamt zur Verfügung zu stellen.
Behörde muss Versammlungsfreiheit angemessen berücksichtigen
Die von der Versammlungsbehörde verfügten Auflagen gingen dem VG zu weit. Maßgeblich für die Beurteilung der behördlichen Anordnung war § 11 Abs. 6 CoronaSchVO NRW, wonach die zuständigen Behörden Ausnahmen von dem zur Bekämpfung der Covid-19-Gefahren in NRW bestehenden grundsätzlichen Versammlungsverbot erteilen können, wenn die erforderlichen Maßnahmen für den Schutz der Bevölkerung vor Infektionen sichergestellt sind. Die Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ist nach dem Beschluss des VG im Lichte der grundrechtlichen Gewährleistung des Versammlungsrechts gemäß Art. 8 Abs. 1 GG zu beurteilen.
Auf großen Plätzen dürfen mehr als 20 Personen demonstrieren
Nach den Feststellungen des VG war die behördlich angeordnete Beschränkung der Teilnehmerzahl auf 20 Personen unverhältnismäßig. Der Ort der Versammlung, der Kölner Neumarkt, weise eine Gesamtfläche von 27.000 m² und einen freien Bereich in der Platzmitte von 8.600 m² auf. Bei einem Abstand der Versammlungsteilnehmer untereinander von 1,5 m und Abständen von weiteren Personen von 3,5 m, habe der Platz offenkundig eine Kapazität von mehr als 20 Personen, zumal in der angemeldeten Zeit von 21:00 Uhr bis 22:00 Uhr die Fußgängerfrequenz dort bereits deutlich reduziert sei. Vor diesem Hintergrund hielt das VG eine Teilnehmerzahl von 50 Personen für vertretbar.
Wahrung der Anonymität ist essenzieller Bestandteil des Versammlungsrechts
Die gegenüber dem Versammlungsleiter erteilte Auflage, eine Teilnehmerliste mit persönlichen Daten der teilnehmenden Personen zu führen, bewertete das Gericht als unrechtmäßig. Das Versammlungsrecht des Art. 8 GG gewähre das Recht, anonym an einer Versammlung teilzunehmen. Die Anonymität habe den Sinn, auch solchen Personen die Teilnahme an einer Versammlung zu ermöglichen, die etwa aus Furcht vor Sanktionen des Arbeitgebers oder vor einer staatlichen Erfassung der eigenen Person nicht bereit sind, ihre Identität zu offenbaren. Eine Verpflichtung zur Preisgabe der persönlichen Daten sei daher geeignet, potentielle Teilnehmer der Versammlung abzuschrecken.
Teilnehmerliste widerspricht der allgemeinen Lockerungstendenz
Die Verpflichtung zur Führung einer Teilnehmerliste geht nach Auffassung der Kammer auch deutlich über das hinaus, was im Zuge der aktuellen Anpassung der Schutzmaßnahmen in anderen Lebensbereichen verlangt wird, in denen man sich im wesentlichen auf Abstands-, Masken- und Zutrittsregelungen beschränke. Die Pflicht zur Führung einer Teilnehmerliste ist nach Auffassung des VG daher auch unverhältnismäßig.
Versammlungsleiter muss auf Einhaltung der Abstandsregeln hinwirken
Die von der Behörde erteilte Auflage an den Versammlungsleiter, bei der Versammlung ein gut sichtbares Plakat mitzuführen, das auf die geltende Abstandsregelung hinweist, hielt das Gericht allerdings für geeignet, die Einhaltung der Abstandsregel zu unterstützen. Das Recht der Versammlungsfreiheit werde durch diese Auflage allenfalls am Rande berührt. Daneben hielt das Gericht die Führung einer Teilnehmerliste zur freiwilligen Eintragung für sinnvoll. Es sei durchaus nicht unwahrscheinlich, dass ein Großteil der Teilnehmer zur freiwilligen Eintragung in eine Liste bereit sei. Dies könne im Fall des späteren Auftretens einer Infektion bei der Verfolgung der Ansteckungswege hilfreich sein.
Im Ergebnis verpflichtete das VG die zuständige Versammlungsbehörde die Versammlung mit den von der Kammer vorgegebenen Maßgaben zu genehmigen.
(VG Köln, Beschluss vom 7.5.2020, 7 L 809/20)
Hintergrund:
Die Entscheidung des VG Köln entspricht der auch sonst in der Bundesrepublik zu beobachtenden Tendenz der Gerichte, die verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsfreiheit gegenüber allzu weitgehenden staatlichen Eingriffen zu verteidigen. So hat das BayVGH bereits Anfang April in einem Eilverfahren einem Antrag gegen das von der zuständigen Versammlungsbehörde verfügte Verbot einer Demonstration am Gründonnerstag am Münchner Isarufer stattgegeben und die Verbotsverfügung aufgehoben (BayVGH, Beschluss v. 9.4.2020, 20 CE 20.755; ähnlich: VG Schwerin, Beschlüsse v. 11.4.2020, 15 B 487/20 SN u. 15 B 486/20 SN). Auch das BVerfG gewichtet das Recht auf Versammlungsfreiheit hoch und besteht auf einer eingehenden Abwägung des Rechtes auf Versammlungsfreiheit gegenüber dem in diesen Verbotsfällen bezweckten Schutz der Bevölkerung gegen die Gefahr der Ansteckung mit dem Covid-19-Virus (BVerfG, Beschluss v. 15.4.2020, 1 BvR 828/20).
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