Mitverschulden, wenn keine Motorradstiefel getragen werden?
Im vor dem OLG München verhandelten Fall ging es darum, wie bei einem Zusammenstoß zwischen einem Kradfahrer, der nur Turnschuhe trug, und einem Autofahrer die Haftungsfrage zu regeln ist. Der Unfall fand innerorts statt.
Unfallhergang war nicht aufklärbar
Unstrittig war, dass der Unfallhergang bezüglich der entscheidenden Parameter nicht aufklärbar war. Weder der Autofahrer noch der Kradfahrer hatten der jeweils anderen Seite einen die allgemeine Betriebsgefahr erhöhenden Verursachungsbeitrag nachweisen können.
Blieb die Frage, ob der Kradfahrer dadurch, dass er nur einen Helm trug, aber ansonsten keine weitere motorradtypische Schutzkleidung, also beispielsweise Motorradstiefel, sich ein Mitverschulden gem. § 9 StVG i.V.m. § 254 I BGB anrechnen lassen muss. Anders als die Vorinstanz sah das OLG München dies nicht so.
Motorradstiefel sind keine Pflicht-Schutzkleidung
Abgesehen von der gesetzlichen Helmpflicht gem. § 21 a II 1 StVO gibt es keine darüberhinausgehende Pflicht, besondere Motorradschutzkleidung zu tragen, so das Gericht. Auch keine Motorradstiefel.
Allein deswegen ist eine Anspruchskürzung gem. § 9 StVG i.V.m. § 254 I BGB zwar noch nicht ausgeschlossen. Ein Mitverschulden ist nämlich bereits dann anzunehmen, wenn der Verletzte die Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eines Schadens anzuwenden pflegt.
Allgemeines Verkehrsbewusstsein strittig
Bei der Frage nach den Schuhen eines Motorradfahrers sei zwar einerseits klar, dass festere Schuhe grundsätzlich einen besseren Schutz bieten als leichte Schuhe. Doch das reicht nicht. Denn dem Gericht lagen keine belastbaren Zahlen vor, die belegen, dass es dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein zum Zeitpunkt des Unfalls entsprochen hätte, dass es für Leichtkraftradfahrer innerhalb geschlossener Ortschaften erforderlich ist, Motorradstiefel zu tragen.
Statistik: Nur 21 Prozent tragen komplette Schutzkleindung
Das Gericht stützte sich auf eine amtliche Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen aus dem Jahr 2012, also dem Jahr, in dem der Unfall sich auch ereignet hatte (November 2012). Danach trugen zwar 53 Prozent aller motorisierten Zweiradfahrer zusätzlich zum Helm weitere Schutzkleidung. Aber: Eine komplette Schutzkleidung trugen nur 21 Prozent.
Schlussfolgerung des OLG München: Die entscheidende Frage, ob es am Unfalltag dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprach, mit einem Leichtkraftrad innerhalb einer Ortschaft nur mit Motorradstiefeln zu fahren, lässt sich aufgrund der Statistik nicht hinreichend verlässlich beantworten.
Die Haftung zwischen Auto- und Kradfahrer ist deshalb im Verhältnis 50:50 zu verteilen.
(OLG München, Urteil v. 19.05.2017, 10 U 4256/16)
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