Leitplanke gestreift - Wartepflicht besteht auch bei Unfall ohne Fremdbeteiligung
Ein Autofahrer war auf der Autobahn bei Tempo 100 mit der linken Leitplanke kollidiert.
Autobahn-Leitplanke massiv touchiert: 22.000 EUR Schaden am Fahrzeug
Er stoppte am nächsten Rastplatz um den Schaden zu inspizieren. An der gesamten linken Seite des Autos gab es deutliche Streifspuren. Nach der Untersuchung des Wagens fuhr der Mann weiter. Vier Tage nach dem Unfall stellte er eine Schadensanzeige an seine Kaskoversicherung. Die Reparaturkosten beliefen sich auf gut 22.000 EUR . Die Versicherung weigerte sich zu zahlen.
Versicherte hat Obliegenheit aus Versicherungsvertrag vorsätzlich verletzt
Das Landgericht hatte die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen. Begründung: Die beklagte Versicherung sei von der Leistungspflicht aus der Vollkaskoversicherung wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung des Klägers gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 VVG i.V.m. E.1.3. S. 2, E.7.1. S. 1 Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) 2012 frei geworden. Begründet hat das Gericht seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Unfallfahrer gegen seine Obliegenheit aus E.1.3 S. 2 AKB 2012 verstoßen habe, indem er nach der Kollision mit der Leitplanke die Örtlichkeit ohne anzuhalten verlassen und erst auf einem weiter entfernten Rastplatz angehalten habe. Gegen das Urteil hatte der Mann Berufung eingelegt. Er vertrat unter anderem die Auffassung, die Einhaltung der Wartepflicht sei ihm bei Tempo 100 auf einer vielbefahrenen Autobahn nicht möglich gewesen.
In Versicherungsbedingungen festgelegte Wartepflicht nicht eingehalten
Das OLG Koblenz hat die Rechtsauffassung des Landgerichts bestätigt. Die beklagte Kaskoversicherung muss infolge der Pflichtverletzung des Klägers den Schaden nicht regulieren. Ein Fahrer verletze die in den Versicherungsbedingungen festgelegte Wartepflicht, wenn er durch Verlassen der Unfallstelle den Straftatbestand der Unfallflucht (§ 142 StGB) verwirkliche. So verhalte es sich in diesem Fall. Denn aufgrund des Schadensbildes am Fahrzeug des Klägers sei davon auszugehen, dass bei der Kollision nicht nur ein erheblicher Schaden am eigenen Fahrzeug entstanden sei, sondern auch ein nicht völlig belangloser Fremdschaden an der Leitplanke.
Unfallfahrer hätte Polizei oder Kaskoversicherung unmittelbar informieren müssen
Dem Versicherten sei vorzuwerfen, dass er an der nächsten regulären Anhaltemöglichkeit – dem Rastplatz – weder die Polizei noch die Kaskoversicherung über den Unfall informiert habe. Durch diese Pflichtverletzung habe er seiner Kaskoversicherung wesentliche Feststellungen zum Versicherungsfall erschwert. Beispielsweise dazu,
- ob er das versicherte Fahrzeug tatsächlich selbst zum Unfallzeitpunkt gefahren hat,
- ob seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt war
- oder ob andere Gründe vorlagen, die dazu hätten führen können, dass der Versicherungsschutz wegfällt oder nur eingeschränkt gegeben ist.
Autofahrer machte sich strafbar wegen unerlaubtem Entfernen vom Unfallort
Indem der Autofahrer nach der Kollision mit der Leitplanke die Unfallörtlichkeit verließ, anschließend auf dem Rastplatz die Beschädigung seines Autos ansah und dann seine Fahrt fortsetzte, hat er sowohl die Wartepflicht aus E.1.3 der AKB als auch den objektiven Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort verwirklicht.
Nach § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB macht sich ein Unfallbeteiligter strafbar, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen. Dabei ist als Unfall im Straßenverkehr ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Verkehr zu verstehen, dass mit dessen Gefahren im ursächlichen Zusammenhang steht und zu einem nicht völlig belanglosen Personen- oder Sachschaden führt.
Belanglos ist ein Schaden nur bei Schadenhöhe unter 50 EUR
Von einem völlig belanglosen Schaden kann nur ausgegangen werden, wenn für diesen üblicherweise keine Ersatzansprüche geltend gemacht werden – die Grenze zogen hier die Gerichte früher bei einer Schadenhöhe 20, 25 EUR und heute von 50 EUR (Schönke/Schröder sieht sogar Schäden bis zu 150 EUR als belanglos i.S.d. § 142 StGB an).
Angesichts der Beschädigung am Fahrzeug des Klägers war nach Ansicht des Gericht davon auszugehen, dass an der Leitplanke ein Schaden entstanden sei, der über der Belanglosigkeitsgrenze liege.
Versicherung bleibt leistungsfrei – Autofahrer muss den Schaden selbst tragen
Den nach § 28 Abs. 3 S. 1 VVG vom Versicherungsnehmer zu führenden sogenannten Kausalitätsgegenbeweis hat der Autofahrer nicht erbracht. Nach dieser Vorschrift ist der Versicherer abweichend von § 28 Abs. 2 VVG zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist.
Das Festellungsinteresse der Versicherung war beeinträchtigt
Der Nachweis ist bei Verletzung der Aufklärungsobliegenheit erst dann erbracht, wenn feststeht, dass dem Versicherer hierdurch keine Feststellungsnachteile erwachsen sind. Bleibt dies unklar und in der Schwebe, ist der Versicherungsnehmer beweisfällig und der Versicherer nach Maßgabe des § 28 Abs. 2 VVG leistungsfrei geblieben.
Dadurch, dass sich der Kläger ohne Mitteilung an die Polizei von der Unfallstelle entfernt und eine solche Mitteilung auch nicht unverzüglich nachgeholt hat, waren etwa Feststellungen zu einer möglichen Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Klägers oder auch dazu, ob er überhaupt selbst das Fahrzeug gesteuert hat, nicht mehr möglich.
Fazit: Der Kläger hat auch aus Sicht des OLG keinen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag gegen die Versicherung.
(OLG Koblenz, Beschluss v. 11.12.2020, 12 U 235/20).
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Nach § 142 Abs. 1 StGB macht sich ein Unfallbeteiligter strafbar, wenn er sich sofort oder nach einer den Umständen angemessenen Wartezeit vom Unfallort entfernt, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.
Wurde eine Unfallflucht nach § 142 StGB begangen, so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen (§ 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB) mit der Folge, dass ihm die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen ist (§ 111a Abs. 1 StPO).
Gem. § 142 Abs. 4 StGB kann das Gericht im Fall einer tätigen Reue in Form von Nachmeldung des Unfalls die Strafe mildern oder von ihr absehen ,wenn ein Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs einen nicht bedeutenden Sachschaden zur Folge hat. Der Schaden lag vorliegend jedoch über der Unerheblichkeitsgrenze von 1.300 EUR.
Wartepflicht gegenüber der Versicherung?
Es wird die Auffassung vertreten, wonach in der Fassung des E.1.3 AKB 2008 eine eigenständige versicherungsrechtliche Wartepflicht vereinbart sein soll, welche unabhängig von der Strafbarkeit des § 142 StGB bestehen und über diese hinausgehen soll (z.B. Tomson/Kirmse, VersR 2013, 177), sodass der Versicherungsnehmer unter Umständen bis zum Eintreffen der Polizei oder sogar unbegrenzt warten müsste, selbst wenn kein Fremdschaden entstanden ist.
Diese Auffassung übersieht jedoch, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BGH Versicherungsbedingungen entsprechend dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen sind. Dieser wird auch bei der Formulierung gem. E.1.3 AKB 2008 den Bezug zur Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) erkennen und daher nicht davon ausgehen, dass von ihm versicherungsrechtlich mehr verlangt wird als strafrechtlich. Dementsprechend ist auch bei der Obliegenheit des E.1.3 AKB 2008 davon auszugehen, dass eine Aufklärungspflichtverletzung nur bei Erfüllung des Straftatbestandes des § 142 StGB vorliegt (OLG München, Urteil v. 26.02.2016, 10 U 2166/15).
(Autoren: RAe Hillmann III/ Schneider in Deutsches Anwalt Office Premium)
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