Doppelter Regressanspruch der Versicherung bei 2-fachem Fahrer-Fehlverhalten?
Ein doppeltes Fehlverhalten eines Autofahrers, der einen Unfall verursacht hatte, kam diesen teuer zu stehen. Die Besonderheit an der Unfallsituation:
- Der Mann hatte keine Fahrerlaubnis und hatte sich unerlaubt vom Unfallort entfernt.
- Seine Haftpflichtversicherung regelte den Schaden in Höhe von knapp 9.200 Euro zwar erst einmal,
- nahm den Unfallverursacher dann aber in Regress und zwar für den gesamten Schaden.
Der Beklagte hatte dagegen die Ansicht vertreten, der Versicherung stehe nur ein Regressanspruch in Höhe von 5.000 Euro zu.
Landgericht sah komplette Leistungsfreiheit der Versicherung
Das Landgericht hatte entschieden, dass die Kfz-Versicherung im Innenverhältnis dem Beklagten gegenüber der gesamten Schadenhöhe in Höhe von knapp 9.200 Euro leistungsfrei geworden sei, weil dieser die in den Versicherungsbedingungen festgelegten Obliegenheiten verletzt habe:
- Er habe zunächst das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen ohne die erforderliche Fahrerlaubnis benutzt.
- Zudem habe er seine Aufklärungspflicht verletzt,
- weil er sich nach dem Unfall unerlaubt vom Unfallort entfernt habe.
Wann kann sich die Regresshöhe auf 10.000 Euro verdoppeln
Die beiden Obliegenheitsverletzungen seien zwar gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 und § 6 Abs. 3 S. 2 der Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung (KfzPflVV) jeweils auf 5.000 Euro beschränkt. Die Regressbeträge seinen aber zu addieren,
- weil die eine Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls (Fahren ohne Fahrerlaubnis)
- und die andere nach Eintritt des Versicherungsfalls (unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) begangen worden sei.
Bei einer derartigen Konstellation erhöhe sich die Grenze auf 10.000 Euro. Eine besondere Schutzwürdigkeit des Versicherungsnehmers, der zwei Obliegenheitsverletzungen begehe, sei nicht erkennbar.
Gesetzliche Grundlage für Verdoppelung der Regressbeträge
Gegen dieses Urteil hatte der Beklagte Berufung eingelegt. Begründung: Es sei nicht ersichtlich, wo die Verdoppelung der Regressbeträge eine gesetzliche Grundlage habe.
Das OLG Frankfurt hat die Auffassung des Landgerichts bestätigt. Der Beklagte sei zu Recht zum Ersatz des gesamten Schadens verurteilt worden.
Die Annahme des Klägers, dass man bei der Argumentation des Landgerichts eventuell zu einer noch höheren Vervielfachung des Betrags der Leistungsfreiheit der Versicherung komme, wenn ein Versicherter gegen weitere Obliegenheiten verstoßen habe, sei nicht korrekt.
- Die Erhöhung des Betrags der Leistungsfreiheit auf das Doppelte knüpfe nicht an die Zahl der insgesamt verletzten Obliegenheiten an,
- sondern allein an die Unterscheidung von Obliegenheiten vor und nach dem Versicherungsfall.
Schwerwiegende vorsätzliche Verletzung der Aufklärungspflicht
Das Landgericht habe ebenso zutreffend eine besonders schwerwiegende vorsätzlich begangene Verletzung der Aufklärungspflicht im Sinne des § 6 Abs. 3 KfzPflVV bejaht, bei der die Obergrenze der Leistungsfreiheit des Versicherers bei 5.000 Euro liegt und damit doppelt so hoch wie bei einer einfachen Verletzung der Aufklärungs- oder Schadensminderungspflichten.
Bei Verletzung von Obliegenheiten, die den Versicherten vor und nach dem Versicherungsfall treffen, sind die Beträge (hier: jeweils 5.000 Euro) zu addieren, für die Leistungsfreiheit besteht.
Die §§ 5 und 6 KfzPflVV führten ebenfalls Obliegenheiten mit unterschiedlichem und eigenständigem Charakter auf, die in ihrer Zielsetzung differierten und als Sanktion jeweils eine beschränkte Leistungsfreiheit des Versicherers vorsähen. Auch wenn die Verordnung eine Zusammenrechnung der Regressbeträge nicht ausdrücklich vorsehe, schließe sie eine Verdopplung der Leistungsfreiheitsbeträge jedenfalls nicht aus.
Unerlaubtes Entfernen vom Unfallsort nicht grundsätzlich ein schwerwiegender Verstoß
Grundsätzlich sei ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort nicht ein besonders schwerwiegender Verstoß. Dazu müssten weitere erschwerende Umstände kommen wie im Streitfall, in dem der Beklagte im Nachhinein bestritten hatte, das Unfallfahrzeug gefahren zu haben. Durch das Bestreiten der Fahrereigenschaft habe er versucht zu verhindern, dass die verantwortliche Person festgestellt werde. Zur Identifizierung war deshalb in einem Strafverfahren ein DNA-Abgleich von Spuren im Fahrzeug mit dem Beklagten nötig gewesen.
Zwar führe in einem Strafverfahren ein Leugnen des Angeschuldigten zu keiner Strafverschärfung. Im Versicherungsrecht obliegen dem mitversicherten Fahrer dagegen Aufklärungspflichten, auf die der Versicherer angewiesen ist, um unnötige Kosten eines gegen ihn geführten Rechtsstreits zu verhindern.
(OLG Frankfurt, Beschluss v. 27.12.2017, 10 U 218/16).
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Hintergrund: Obliegenheiten im Versicherungsrecht
Es wird zwischen gesetzlichen und vertraglichen Obliegenheiten unterschieden. Die gesetzlichen Obliegenheiten sind im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geregelt. Sie gelten für alle Versicherungssparten.
Gesetzlichen Obliegenheiten:
Die wichtigsten gesetzlichen Obliegenheiten sind die vorvertragliche Anzeigepflicht (§§ 16 bis 22 VVG), Unterlassungs- und Anzeigepflichten im Zusammenhang mit einer Gefahrenerhöhung (§§ 23-30 VVG), die Obliegenheit zur Anzeige eines Versicherungsfalls (§ 33 VVG) und die Auskunfts- und Belegpflicht (§ 34 VVG).
Vertragliche Obliegenheiten:
In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) werden die vertraglichen Obliegenheiten vereinbart. § 28 Versicherungsvertragsgesetz regelt die Rechtsfolgen, die eintreten können, falls eine vertragliche Obliegenheit verletzt wird. Obliegenheiten müssen transparent formuliert sein (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer deutlich erkennen kann, was von ihm verlangt wird und unter welchen Umständen er seinen Versicherungsschutz verlieren kann. Zudem dürfen Obliegenheiten den Versicherungsnehmer nicht unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 2 BGB).
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