Erkundigungspflichten eines Gesellschafters bei gefassten Beschlüssen in der GmbH
Hintergrund
Am 13. Dezember 2018 fand eine Gesellschafterversammlung der beklagten GmbH statt. An dieser Gesellschafterversammlung nahm der Kläger (als Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Gesellschafterin, deren Geschäftsanteile wegen der Insolvenz zwangsabgetreten werden sollten) trotz form- und fristgerecht zugestellten Ladungsschreibens nicht teil. Mit E-Mail vom 10. Januar 2019, also vier Wochen nach Beschlussfassung, übermittelte die Gesellschaft dem Kläger das Versammlungsprotokoll. Dieser erhob gegen die gefassten Beschlüsse einen Monat nach Übermittlung dieses Protokolls Anfechtungsklage. Die Satzung der Gesellschaft enthielt – was nicht unüblich ist – keine Bestimmung über die Anfechtungsfrist.
Gegen die Beschlussanfechtung wandte die beklagte Gesellschaft ein, dass diese Klage innerhalb von einem Monat nach Beschlussfassung hätte erhoben werden müssen, was nicht der Fall war. Der Insolvenzverwalter dagegen war der Ansicht, dass nur die Zustellung des Versammlungsprotokolls die Frist zur Erhebung der Anfechtungsklage in Gang setzen könne. Denn erst dann habe der Gesellschafter Kenntnis von dem Beschlussinhalt.
Das Urteil des OLG Dresden vom 28.05.2020, Az. 8 U 2611/19
Das OLG Dresden hat die Anfechtungsklage mit der Begründung abgewiesen, dass sie jedenfalls verfristet sei. Die gefassten Beschlüsse seien damit unanfechtbar geworden. Die Frist zur Anfechtung von Beschlüssen in der GmbH betrage einen Monat, wenn keine besonderen Umstände vorliegen. Besondere Umstände erkannte das OLG Dresden hier nicht.
Es komme damit nur noch darauf an, wann diese Anfechtungsfrist beginne. Nach Ansicht des OLG Dresden beginnt die Anfechtungsfrist zwar grundsätzlich (erst) mit Kenntnis des Gesellschafters von dem Beschlussinhalt. Wird dem Gesellschafter das Versammlungsprotokoll aber nicht zeitnah zugestellt, habe dieser allerdings eine Erkundigungspflicht gegenüber der Gesellschaft (so auch bereits: OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2015 – 8 U 67/15; OLG Hamm, Urteil vom 26.02.2003 – 8 U 110/02; OLG Hamm, Urteil vom 14.02.2000 – 8 U 11/99). Die Frist für diese Erkundigung betrage in der Regel zwei Wochen. Es sei hier aber darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Zwei-Wochen-Frist im vorliegenden Fall am 27. Dezember 2018, also zwischen Weihnachten und Neujahr abgelaufen wäre. Dieser besondere Umstand rechtfertige es, die Erkundigungsfrist auf drei Wochen zu verlängern, sodass die Anfechtungsfrist ab dem 3. Januar 2019 (ein Montag) auch ohne Kenntnis des Gesellschafters vom Beschlussinhalt zu laufen begonnen habe. Der Insolvenzverwalter hätte also spätestens am 4. Februar 2019 Anfechtungsklage erheben müssen.
Anmerkung
Die gesetzlichen Vorschriften über GmbH-Gesellschafterversammlungen sowie das hierauf bezogene Beschlussanfechtungsverfahren sind streng formalisiert. Nicht nur aus diesem Grund ist es von besonderer Bedeutung, sämtliche Formalia und Fristen einzuhalten. Dabei kommt der Anfechtungsfrist eine besondere Bedeutung zu. Grund dafür ist, dass anfechtbare Beschlüsse mit Ablauf der Anfechtungsfrist unanfechtbar und damit dauerhaft wirksam bleiben. Dies gilt nicht nur dann, wenn sie auf formellen Fehlern beruhen (z.B. Ladung per E-Mail anstatt per Einschreiben), sondern auch, wenn sie inhaltlich fehlerhaft sind (z.B. bei Angabe einer falschen Stimmenmehrheit).
Sieht die Gesellschaftssatzung keine Regelung über die Anfechtungsfrist vor, beträgt diese nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Anlehnung an die gesetzliche Vorschrift zur Aktiengesellschaft (§ 246 Abs. 1 AktG) in der Regel einen Monat. Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn besondere Umstände es erforderlich machen, eine längere Anfechtungsfrist vorzusehen, was der klagende Gesellschafter zu beweisen hat.
Sieht die GmbH-Satzung zudem auch nicht vor, wann die Anfechtungsfrist zu laufen beginnt, ist in Rechtsprechung und Literatur streitig, welcher Zeitpunkt als Fristbeginn heranzuziehen ist. Nach einer Ansicht beginne die Frist im Interesse der Rechtssicherheit bereits mit der Beschlussfassung als solcher, sodass es auf die Kenntnis des nicht in der Versammlung erschienenen Klägers gar nicht ankomme (OLG Schleswig, Urteil vom 20.01.1998 – 5 O 125/96; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl., § 45 Rn. 145; Wertenbruch, in: MünchKomm, GmbHG, 3. Aufl., nach § 47 Rn. 302 [Fn. 937]; Römermann, in: Michalski, GmbHG, 3. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 469). Das OLG Dresden schließt sich der gegenteiligen Auffassung des OLG Hamm an, wonach grundsätzlich die Kenntnis des anfechtenden Gesellschafters vom Beschlussinhalt erforderlich sei. Der Gesellschafter habe aber eine Erkundigungsobliegenheit, welche in der Regel innerhalb von zwei Wochen zu erfüllen sei (ebenso: Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl., § 47 Rn. 62; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl. 2019, nach § 47 Rn. 153; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 96). Nach Ablauf dieser zwei Wochen beginnt dann der Lauf der Beschlussanfechtungsfrist von einem Monat.
Für die Praxis ist in jedem Fall zu empfehlen, dass sich Gesellschafter, die nicht in der Versammlung anwesend waren, zeitnah über die dort gefassten Beschlüsse erkundigen. Das Urteil des OLG Dresden geht dabei einen salomonischen Mittelweg. Indem der Gesellschafter von dem Beschlussinhalt Kenntnis haben muss, wird er vor etwaigen „Überrumpelungen“ geschützt. Auf der anderen Seite soll die Gesellschaft zeitnah Rechtssicherheit erlangen können und im Streitfall nicht beweisen müssen, dass sie dem Gesellschafter das Versammlungsprotokoll zugestellt hat (bzw. dass der Gesellschafter Kenntnis von dessen Inhalt nehmen konnte). Stellt sie beispielsweise das Protokoll dem Gesellschafter zu Beweiszwecken per Übergabe-Einschreiben zu und holt dieser das Einschreiben nicht bei der Post ab, gilt es nach allgemeinen Regeln als nicht zugegangen. In solchen Fällen ist die Gesellschaft also durch die Pflicht des Gesellschafters zur eigenen Erkundigung geschützt, sodass zeitnah Klarheit für alle Beteiligten herrscht. Hierfür ist die vorgeschlagene regelmäßige Zwei-Wochen-Frist auch völlig ausreichend.
Angesichts der starken Gegenauffassung, welche bereits mit Beschlussfassung den Lauf der Anfechtungsfrist beginnen lässt, sollte die Anfechtungsklage allerdings dennoch einen Monat nach Beschlussfassung erhoben werden. Die entsprechenden Erkundigungen für den Fall des Nichterhalts des Versammlungsprotokolls sollten dementsprechend früh ansetzen. Hier sollte der betroffene Gesellschafter „auf Nummer sicher“ gehen und sich nicht dem Risiko aussetzen, dass das für die Anfechtungsklage zuständige Gericht die Sache anders beurteilt. Jedenfalls für den OLG-Bezirk Dresden ist die Rechtslage jetzt ein Stück klarer.
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