Unlautere Verteilung von Handzetteln

Das OLG Frankfurt hatte folgenden Fall zu entscheiden: Zwei ehemalige Mitarbeiter eines Einzelhändlers hatten sich selbständig gemacht und einen Geschäftsbetrieb mit einem dem Wettbewerber vergleichbaren Angebot in einer Entfernung von ca. 400 Metern von dessen Betrieb eröffnet. Ende 2015 verteilte ein Mitarbeiter des neu eröffneten Geschäfts an der Zufahrtsstraße, an der sich der Geschäftsbetrieb des Wettbewerbers befindet, Handzettel an Autofahrer, die wegen eines Rückstaus mit ihren Fahrzeugen anhalten mussten. Die Handzettel dienten der Werbung für den neu eröffneten Geschäftsbetrieb.
Antrag auf einstweilige Verfügung wegen unlauteren Wettbewerbs
Der Betreiber des seit längerer Zeit bestehenden Einzelhandelsgeschäfts empfand dieses Verhalten als unlauter und beantragte bei Gericht, der Antragsgegnerin das Verteilen von Handzetteln im Umkreis von 100 Metern um den Geschäftsbetrieb zu untersagen. Später schränkte sie ihren Antrag dahingehend ein, dass der Antragsgegnerin das Verteilen von Handzetteln an der Einfahrt des Geschäftsbetriebes sowie das gezielte Ansprechen von Kunden in der Einfahrt des Geschäftsbetriebes untersagt wird.
Abwerben von Kunden ist Wesensbestandteil jeden Wettbewerbs
Mit ihren Anträgen war die Antragstellerin über zwei Instanzen im Wesentlichen erfolgreich. Das zweitinstanzlich mit der Sache befasste OLG stützte den Unterlassungsanspruch der Antragstellerin auf §§ 8 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG. Dabei stellte der Senat allerdings zunächst klar, dass das Abwerben von Kunden zum Wesen des Wettbewerbs gehört und nur unter ganz besonderen Umständen unlauter sei.
Unlauter ist nur das unangemessene Dazwischendrängen
Voraussetzung für die Annahme der Unlauterkeit sei, dass
- sich der Werbende unmittelbar zwischen den Mitbewerber und dessen Kunden stellt, um dem Kunden eine Änderung seines Kaufentschlusses aufzudrängen (BGH, Urteil v. 12.5.2010, I ZR 214/07).
- Daneben bedürfe es einer unangemessenen Einwirkung auf diejenigen Kunden, die dem Mitbewerber bereits als dessen Kunden zuzurechnen seien (BGH, Urteil v. 20.1.2014, I ZR 164/12).
Kunden waren bereits dem Wettbewerber zuzurechnen
Vorliegend bejahte der Senat die Unlauterkeit der Werbeaktion. Die Antragsgegnerin habe gezielt Verbraucher angesprochen, die bereits auf dem Weg zum Geschäft der Antragstellerin gewesen seien. Diese Kunden seien aufgrund einer vorgelagerten geschäftlichen Entscheidung bereits im Begriff gewesen, mit dem Kraftfahrzeug auf das Gelände des Geschäftsbetriebs zu fahren oder das Gelände des Geschäftsbetriebes auf andere Weise zu betreten. Damit seien sie dem Wettbewerber bereits als Kunden zuzurechnen gewesen. Unerheblich ist es nach Auffassung des Senats, dass die Zufahrt noch zu weiteren Betrieben führte, wie zu einer Schule und einem weiteren Studio. Das Verteilen von Handzetteln an der Zufahrt habe sichergestellt, dass nahezu sämtliche Kunden, die auf dem Weg zu dem Konkurrenzgeschäftsbetrieb gewesen seien, von den Verteilern erfasst wurden.
Die bloße Nähe des Kunden reicht für die Unlauterkeit nicht aus
Insoweit stellte der Senat allerdings klar, dass es nicht ausreicht, dass ein Kunde sich bereits in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Wettbewerber befinde. Es sei absolut wettbewerbskonform, wenn Kunden die Möglichkeit gegeben werde, sich über alternative Angebote zu informieren. Insoweit sei der ursprüngliche Antrag, der Antragstellerin, das Verteilen von Handzetteln im Umkreis von 100 Metern zum Geschäftslokal der Antragstellerin zu verbieten, tatsächlich zu weit gegangen.
Die wettbewerbswidrige Handlung muss unzumutbar sein
Zur Erfüllung des Tatbestandes der Unlauterkeit ist es nach Auffassung des OLG darüber hinaus erforderlich, dass
- die eingesetzten Mittel unangemessen sind und
- potentielle Kunden in unzumutbarer Weise belästigt werden (BGH, Urteil v. 2.10.2008, I ZR 48/06).
Unzumutbare Belästigung, wenn der Kunde sich nur schwer entziehen kann
Diese Bedingungen seien dann erfüllt, wenn Passanten durch eine Person gezielt und individuell angesprochen würden und diese Person hierbei nicht ohne weiteres als Werbeträger erkennbar sei (BGH, Urteil v. 1.4.2004, I ZR 227/01). Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt waren, musste der Senat allerdings nicht klären, da nach seiner Auffassung die Grenze zur Unzumutbarkeit bereits dadurch überschritten wurde, dass die Werbenden an Fahrzeuge herangetreten seien, deren Fahrer und Beifahrer sich aufgrund der Verkehrslage der Verteilung der Werbezettel nicht ohne weiteres entziehen konnten. Wer in einer Fahrzeugschlange steht, für den sei es schwierig, einem Werbenden, der Handzettel direkt am Fahrzeug verteilt, auszuweichen.
OLG schränkt die Unlauterkeit auf Verteilung an wartende Fahrzeuginsassen ein
Vor dem Hintergrund dieser Erörterungen kam das OLG zu dem Schluss, dass das Verteilen von Handzetteln an Fußgänger durch ohne weiteres als Werbende erkennbare Personen zulässig war, nicht aber das Herantreten an verkehrsbedingt vor der Einfahrt haltende Fahrzeuge. Den Tenor der etwas weitergehenden Entscheidung der Vorinstanz schränkte das OLG deshalb dahingehend ein, dass es die Verteilung von Handzetteln an Fahrzeugführer und deren Beifahrer im Bereich der Einfahrt zur Antragstellerin für unzulässig erklärte.
(OLG Frankfurt, Urteil v. 6.10.2016 ,6 U 61/16)
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