Anforderungen an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung

Der BFH legt dem EuGH die Frage vor, ob es genügt, dass der leistende Unternehmer in der Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er postalisch erreichbar ist, oder ob eine Anschrift erforderlich ist, unter der er seine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet.

Hintergrund

K betreibt einen Kfz-Handel. In den Streitjahren (2009 - 2011) kaufte er Fahrzeuge von Z. Z hatte in 2006 sein Unternehmen nach R (Inland) verlegt und dort Räumlichkeiten angemietet. Ob es sich dabei um einen Raum oder nur um den Teil eines Raumes handelte, ist streitig. Unstreitig unterhielt Z dort jedenfalls kein Autohaus, sondern nur ein Büro, von dem aus er seine Fahrzeuge im Onlinehandel vertrieb. Die Fahrzeuge wurden K z.T. an öffentlichen Plätzen übergeben. In dem Büro kam lediglich die Post an, wurde dort sortiert und bearbeitet. Dort wurden auch die Akten geführt. Am Gebäude befand sich lediglich ein Firmenschild.

Das FA verweigerte K den Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen des Z, da dessen Geschäftsadresse nur als Briefkastenadresse und damit als Scheinadresse gedient habe. 

Das FG gab hingegen der Klage statt. Die Angabe der Anschrift i. S. v. § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG erfordere nicht, dass dort geschäftliche Aktivitäten stattfänden. Die anderslautende bisherige Rechtsprechung des BFH sei angesichts der technischen Entwicklung überholt. Dagegen legte das FA Revision ein. Der BFH setzte darauf das Revisionsverfahren aus und legte die Problematik dem EuGH vor.

Entscheidung

Fehlen die für den Vorsteuerabzug erforderlichen Rechnungsangaben oder sind sie unzutreffend, besteht für den Leistungsempfänger kein Recht auf Vorsteuerabzug. Der BFH hat dazu entschieden, dass das Merkmal "vollständige Anschrift" (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG) nur die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers erfüllt, wenn er dort seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet (BFH, Urteil v. 22.7.2015, V R 23/14, BStBl 2015 II S. 914). Da unter der von Z angegebenen Adresse jedoch keine ernsthaften wirtschaftlichen Aktivitäten stattgefunden haben, steht K nach nationalem Recht der Vorsteuerabzug nicht zu.

Der Vorsteuerabzug kann K auch nicht unter Vertrauensschutzgründen im Billigkeitsverfahren gewährt werden. Das würde Gutgläubigkeit des Unternehmers voraussetzen. Aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls war dies hier aber zweifelhaft. Denn die Übergabe neuer Fahrzeuge, wie sie hier stattgefunden  hat, an öffentlichen Plätzen, an denen kein Geschäftsbetrieb stattfindet, bietet Anlass zu besonderer Achtsamkeit.

Der BFH hegt jedoch Zweifel, ob diese Auslegung des nationalen Rechts mit der Rechtsprechung des EuGH übereinstimmt. Der EuGH hat in einem Fall das Vorliegen der formellen Rechnungsvoraussetzungen bejaht, obwohl an der im Handelsregister (und wohl auch in der Rechnung) als Gesellschaftssitz bezeichneten Anschrift eine wirtschaftliche Tätigkeit gar nicht möglich war (EuGH, Urteil  v. 22.10.2015, C-277/14, "PPUH Stehcemp"). Daraus lässt sich möglicherweise folgern, dass es für den Vorsteuerabzug nicht auf das Vorliegen aller formellen Rechnungsvoraussetzungen ankommt oder zumindest keine Anschrift vorausgesetzt wird, unter der wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet werden.

Der BFH hat auch Zweifel daran, ob die Anforderungen, die er nach nationalem Recht an die Gewährung des Vorsteuerabzugs aus Vertrauensschutzgründen stellt, mit der Auffassung des EuGH in Einklang stehen. Denn aus dem Urteil "PPUH Stehcemp" lässt sich möglicherweise ableiten, dass der Vorsteuerabzug aus Vertrauensschutzgesichtspunkten bereits dann zu gewähren ist, wenn der Unternehmer weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass bei einem vorausgehenden oder nachfolgenden Umsatz Mehrwertsteuer hinterzogen wurde. Der BFH geht dagegen - enger - davon aus, dass der Unternehmer gutgläubig gewesen sein muss und außerstande war, das Fehlen der formellen Rechnungsanforderungen zu erkennen (BFH, Urteil v. 8.10.2008, V R 63/07, BFH/NV 2009 S. 1473).

Hinweis

Die EuGH-Vorlage lässt die Tendenz in eine großzügigere Richtung erkennen. Das ergibt sich wohl auch aus der weiteren EuGH-Vorlage in einem Parallelfall (BFH, Beschluss v. 6.4.2016, XI R 20/14). Denn der XI. Senat führt dort aus, es sei möglicherweise nicht entscheidend, ob unter der angegebenen Adresse eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird. Im Übrigen reicht es - für den Leistungsempfänger - aus, wenn in der Rechnung das Postfach oder die Großkundenadresse angegeben wird (Abschn. 14.5 Abs. 2 Satz 3 UStAE). Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV trifft den BFH bereits dann, wenn er die Anwendung der Unionsrechtsnorm (Art. 126 Nr. 5 MwStSystRL, betr. Rechnungsangaben) als zweifelhaft ansieht. Er muss nicht von der Europarechtswidrigkeit überzeugt sein.  

BFH, Beschluss v. 6.4.2016, V R 25/15, veröffentlicht am 6.7.2016

Alle am 6.7.2016 veröffentlichten Entscheidungen

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Schlagworte zum Thema:  Vorsteuerabzug, Rechnung, Umsatzsteuer