EuGH Kommentierung: Wegfall des Steuerberaterprivilegs für EU

Wie nicht anders zu erwarten, ist der EuGH der Ansicht des Generalanwalts zum Steuerberaterprivileg gefolgt. Danach ist die deutsche Regelung europarechtswidrig, nach der eine Steuerberatungsgesellschaft aus dem EU-Ausland ohne dort erforderliche Steuerberaterqualifikation in Deutschland keine geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen ausüben darf.

Hintergrund

Eine Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft nach dem Recht des Vereinigten Königreiches mit Sitz in diesem Mitgliedstaat und Niederlassungen in den Niederlanden und Belgien berät mehrere in Deutschland ansässige Mandanten in steuerlichen Angelegenheiten. Sie nimmt die Dienste einer zustellungsbeauftragten ltd. in Deutschland in Anspruch und ist in deren Geschäftsräumen tätig. Ob das physische Element des Grenzübertritts vorliegt, ist nicht vorgetragen. Auch liegen keine Hinweise zu den beruflichen Qualifikationen der Gesellschafter, Geschäftsführer oder Mitarbeiter vor. Lediglich die Bestellung einer für die Kapitalgesellschaft handelnden Person als Steuerberater wurde in Deutschland widerrufen. Das Finanzamt wies die Steuerberatungsgesellschaft als Bevollmächtigte nach § 80 Abs. 5 AO mit der Begründung zurück, dass diese nicht befugt sei, geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen zu leisten. 

Zur Begründung hat der EuGH mehrere europarechtliche Regelungen und schließlich die deutsche Regelung überprüft.

Richtlinie 2005/36

Artikel 1 der Richtlinie knüpft den Zugang und die Ausübung in einem reglementierten Beruf an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen. Nach Artikel 5 der Richtlinie sind Einschränkungen aufgrund der Berufsqualifikation nicht möglich, wenn der Dienstleister

  • bereits rechtmäßig in einem Mitgliedstaat niedergelassen ist (sog. Niederlassungsmitgliedstaat) und
  • er diesen Beruf mindestens 2 Jahre während der vorhergehenden 10 Jahre im Niederlassungsmitgliedstaat ausgeübt hat und
  • der Beruf im Niederlassungsmitgliedstaat nicht reglementiert ist.

Diese Frist gilt jedoch nicht, wenn der Beruf im Niederlassungsstaat reglementiert ist.

Allerdings gilt die Vorschrift nur für die vorübergehende oder gelegentliche Berufsausübung. Nach Ansicht des Generalanwalts (Schlussantrag v. 1.10.2005, Rz. 24) gilt die Richtlinie 2005/36 nur für natürliche Personen und nicht für Gesellschafter, außer es handelt sich um Geschäftsführer oder Gesellschafter einer solchen Gesellschaft. Darauf stellt der EuGH jedoch nicht ab. Vielmehr nimmt er an, dass der klagende Dienstleister sich nicht physisch nach Deutschland begeben hat (obwohl dies gemäß Schlussantrag des Generalanwalts nicht feststeht) und ist der Ansicht, dass die Richtlinie 2005/36 nur für den Fall gilt, dass der Dienstleister sich in den Aufnahmemitgliedstaat begibt. Dies sei im Streitfall gerade nicht gegeben gewesen.

Richtlinie 2006/123

Diese Richtlinie gewährleistet nach dessen Artikel 16 die freie Aufnahme und freie Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten innerhalb seines Hoheitsgebiets. Danach dürfen die Aufnahme oder die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nicht von Anforderungen abhängig gemacht werden, die gegen die Grundsätze der

  • Nicht-Diskriminierung,
  • Erforderlichkeit,
  • Verhältnismäßigkeit 

verstoßen. Insbesondere dürfen Mitgliedstaaten die Dienstleistungsfreiheit u. a. nicht der Pflicht unterwerfen, im Aufnahmemitgliedstaat

  • eine Niederlassung zu unterhalten,
  • Genehmigungen einzuholen,
  • die Mitgliedschaft in einem Berufsverband oder einer Berufsvereinigung,
  • eine bestimmt Infrastruktur vorzuhalten,
  • die Verpflichtung zur Ausstellung eines besonderen Ausweises für die Berufsausübung,
  • die Verwendung von bestimmten Ausrüstungsgegenständen und Materialien etc.

Allerdings dürfe der Mitgliedstaat aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Umweltschutzes entsprechende Regelungen erlassen.

Dazu hat der EUGH entschieden, dass dieser Artikel 16 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/23 gemäß Artikel 17 Nr. 6 jedoch keine Anwendung auf Dienstleistungserbringungen findet, die eine Tätigkeit den Angehörigen eines bestimmten Berufes vorbehalten sind.

Artikel 56 AEUV

Dienstleistungen mit grenzüberschreitendem Charakter unterfallen den Vorschriften des Artikel 56 AEUV (OSA C-351/12, EU: C: 2014: 110, Rn 68). Nach Artikel 56 AEUV sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, grundsätzlich verboten.

Die Mitgliedstaaten sind jedoch befugt, Voraussetzungen für den Zugang zur Tätigkeit der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen festzulegen, wenn diese Voraussetzungen EU-Rechtlich – wie vorliegend – nicht harmonisiert sind (vgl. entsprechend EuGH Brouillard, C-298/14, EU: C: 2015: 652, Rn 49). Diese Regelung muss jedoch unter Beachtung der garantierten Grundfreiheiten erfolgen. Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die den Zugang zu dieser Tätigkeit vom Besitz für notwendig erachteten Kenntnissen und Fähigkeiten abhängig macht. Solche Regelungen dürfen jedoch nicht diskriminierend sein und müssen geeignet sein, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist und dort rechtmäßig vergleichbare Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. u. a. EuGH Konstantinides, C-475/11, EU: 2013: 542, Rn 44).

Hierzu besagt die deutsche Regelung Folgendes:

Nach § 2 Satz 1 StBerG darf die Hilfeleistung in Steuersachen nur durch dazu Befugte geschäftsmäßig durchgeführt werden. Befugt sind nach § 3 StBerG Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Partnerschaftsgesellschaften, Steuerberatungsgesellschaften etc.

Nach § 4 StBerG sind ferner zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung von Steuersachen befugt u .a. Notare, Patentanwälte, Berufsvertretungen, Speditionsunternehmen, Arbeitgeber, Lohsteuerhilfeverein etc., jeweils im Rahmen ihrer Befugnisse.

Nach § 3 a StBerG sind Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweiz beruflich niedergelassen sind und dort befugt sind geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen nach dem Recht des Niederlassungsstaats zu leisten, vorübergehend und gelegentlich geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen in Deutschland zu leisten. Wenn der Beruf im Niederlassungsstaat nicht reglementiert ist gilt dies nur dann, wenn der Beruf in den letzen 10 Jahren mindestens 2 Jahre ausgeübt wurde.

Der EuGH hält nationalen Maßnahmen nur dann für geeignet, wenn sie zur Erreichung eines zulässigen Ziels nicht über das hinaus gehen, was erforderlich ist. Die Verhinderung von Steuerhinterziehung und der Verbraucherschutz stellen zwingende Gründe des Allgemeininteresses dar, aus denen sich die Beschränkung des freien Dienstleitungsverkehrs rechtfertigen lässt. Zulässig ist daher eine einfache vorherige Meldung, um bestehende Qualifikationen zu überprüfen.

Die deutsche Regelung und insbesondere § 3a StBerG berücksichtigt jedoch die Qualifikation – gemeint sind damit gemäß Schlussantrag des Generalanwalts Befähigungsnachweise und Erfahrungen -  einer Gesellschaft oder von natürlichen Personen, die für die Dienstleistungen der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen erbringen und in anderen Mitgliedstaaten erworben haben nicht hinreichend.

Im Ergebnis schießt das bloße Abstellung auf eine bestandene Prüfung also über das Ziel hinaus. Daher kann es der Steuerberatungsgesellschaft aus dem Vereinigten Königreich, mit Sitz in den Niederlanden, in denen es zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen keiner Qualifikation bedarf, nicht untersagt werden in Deutschland mit oder ohne physischen Grenzübertritt geschäftsmäßig Hilfeleistung in Deutschland zu erbringen.

Fazit

Nach der neuen Rechtsprechung des EuGH dürfen also Steuerberater ohne Qualifikation aus dem EU-Ausland Steuerberatung in Deutschland erbringen.

Die Entscheidung hat auch Bedeutung über den Bereich der Steuerberatung hinaus. Es wird zu prüfen sein, ob nationale Reglementierungen für andere Dienstleister, wie z. B. Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Architekten den unionsrechtlichen Regelungen und dort insbesondere der Verhältnismäßigkeit Stand halten. Mit weiteren Klagen in Deutschland bzw. im EG-Ausland ist zu rechnen.

EuGH, Urteil v. 17.12.2015, C-342/14

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