Steuerberater darf Einspruch nicht eigenmächtig zurücknehmen
Streckt ein Steuerberater im Streit mit dem Finanzamt vorzeitig die Waffen ohne sich zuvor mit seinem Mandanten abzusprechen, so kann dieses Vorgehen für ihn in einer Schadensersatzzahlung münden. So geschehen kürzlich in einem Fall vor dem BGH, in dem ein Steuerberater für seinen Mandanten die Kosten einer doppelten Haushaltsführung geltend gemacht hatte; der Mandant hatte seinen Ersthaushalt jedoch aus privaten Gründen vom Beschäftigungsort wegverlegt (sog. Wegverlegungsfall), was von der damals geltenden BFH-Rechtsprechung nicht steuerlich anerkannt wurde. Nachdem das Finanzamt den Kostenabzug verwehrt hatte, legte der Berater zunächst im Auftrag seines Mandanten Einspruch ein. Als das Amt jedoch signalisierte, dass es an seiner ablehnenden Auffassung festhalten wird, nahm der Steuerberater den Einspruch am 12.2.2009 zurück – ohne diesen Schritt mit seinem Mandanten zu besprechen. Es kam wie es kommen musste: 3 Wochen später, am 5.3.2009, änderte der BFH seine Rechtsprechung und erkannte eine doppelte Haushaltsführung nun auch in Wegverlegungsfällen an (VI R 23/07, VI R 58/06, VI R 53/07, VI R 31/08). Aufgrund des zurückgenommenen Einspruchs konnte der Mandant nun nicht mehr von der Rechtsprechungsänderung profitieren, sodass er vom Berater einen Schadensersatz in Höhe der entgangenen Steuerersparnis verlangte. Das Amtsgericht verurteilte den Berater zur Zahlung von 1.100 EUR und das Berufungsgericht folgte der Entscheidung. Auch die Revision des Beraters vor dem BGH blieb nun ohne Erfolg
BGH nimmt Pflichtverletzung des Beraters an
Der BGH urteilte, dass der Berater gegen seine Pflichten aus dem Beratungsvertrag verstoßen hatte, indem er den Einspruch eigenmächtig zurückgenommen hatte. Nach der ständigen BGH-Rechtsprechung ist der Steuerberater grundsätzlich verpflichtet, die Weisungen seines Mandanten zu befolgen. Will er von dessen Weisungen abweichen, muss er ihn darüber informieren und (grundsätzlich) dessen Entscheidung abwarten. Da der Mandant das Misserfolgs- und Kostenrisiko des Auftrags trägt, hat er und nicht der steuerliche Berater die grundlegenden Entscheidungen darüber zu treffen, in welcher Weise seine Interessen wahrgenommen werden sollen. Trotz höherer Sachkunde darf ein Berater seine Entscheidung nicht an die Stelle derjenigen seines Mandanten stellen.
Vorliegend hat der Berater mit seiner Einspruchsrücknahme gegen die Weisung seines Mandanten verstoßen, da ein Auftrag zur Einspruchseinlegung nach Ansicht des BGH in aller Regel zugleich beinhaltet, dass der Einspruch auch „durchgefochten“ und eben nicht zurückgenommen wird.
Pflichtverletzung hat Schaden versursacht
Der BGH ging zudem davon aus, dass die begangene Pflichtverletzung den vorliegend geltend gemachten Schaden des Mandanten auch verursacht hat. Zwar hatte der Berater mehrfach erklärt, dass sein Mandant einer Einspruchsrücknahme zugestimmt hätte, wenn er zuvor informiert worden wäre. Der BGH ließ dieses Argument jedoch unberücksichtigt und zog stattdessen den Beweis des ersten Anscheins heran. Dieser sprach dafür, dass der Mandant der Einspruchsrücknahme nicht zugestimmt hätte. Denn er hatte die Einlegung eines Einspruchs zuvor beauftragt, obwohl die Zeichen gegen ihn standen (= die ständige Rechtsprechung des BFH seinem Anliegen entgegenstand). Daraus wird deutlich, dass er einen Kostenabzug nur mit „durchgefochtenem“ Einspruch hätte erreichen können.
Hinweis: Steuerberater können aus der Entscheidung des BGH ableiten, dass sie Einspruchsrücknahmen stets mit ihrem Mandanten absprechen sollten. Für die Praxis kommt der hinreichenden Dokumentation dieser Rücksprache ein besonderes Gewicht zu.
Aussagen zur Pflichtlektüre eines Steuerberaters
Das Berufungsgericht hatte die Pflichtverletzung zuvor noch darin gesehen, dass der Berater von dem möglicherweise anstehenden Rechtsprechungswechsel hätte wissen müssen. Demnach sei er gehalten gewesen, den Jahresbericht des BFH zu lesen, in dem über das anhängige Revisionsverfahren berichtet worden sei.
Der BGH erteilte diesem Argument jedoch eine klare Absage und erklärte, dass dem Berater nicht vorgeworfen werden kann, dass er bei Rücknahme des Einspruchs auf den Fortbestand der (ablehnenden) BFH-Rechtsprechung zu Wegverlegungsfällen vertraut hatte. Denn ein Berater ist (ohne besonderen Anlass) nicht verpflichtet, die Jahresberichte des BFH einzusehen. Zum Themenkreis „Pflichtlektüre eines Steuerberaters“ machte der BGH zudem folgende Aussagen:
- Ein Steuerberater darf grundsätzlich auf den Fortbestand der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertrauen. Er muss sich aber über deren Entwicklung anhand der amtlichen Sammlungen und der einschlägigen Fachzeitschriften unterrichten.
- Eine Änderung der Rechtsprechung muss der Berater in Betracht ziehen, wenn ein oberstes Gericht sie in Aussicht stellt oder neue Entwicklungen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft sich auf eine ältere Rechtsprechung auswirken können und es zu einer bestimmten Frage an neueren höchstrichterlichen Erkenntnissen fehlt.
- Ausnahmsweise kann der Berater verpflichtet sein, die Rechtsprechung der Instanzgerichte und das Schrifttum (einschließlich Aufsatzliteratur) heranzuziehen, wenn sich ein Rechtsgebiet eindeutig fortentwickelt und neue höchstrichterliche Rechtsprechung erwartet werden kann. Hat der Berater einen entsprechenden Fall zu bearbeiten, muss er auch Spezialzeitschriften durchsehen.
- Als Pflichtlektüre eines Beraters kommen vor allem das Bundessteuerblatt und die Zeitschrift „Deutsches Steuerrecht“ in Betracht.
- Reine Entscheidungssammlungen wie z. B. die Zeitschrift „BFH/NV“ muss der Berater nicht vollständig auswerten.
- Die monatlich als Anlage zum Bundessteuerblatt erscheinende Liste der anhängigen BFH-Verfahren muss der Berater ebenfalls nicht durchsehen.
- Die Zeitschrift „Der Ertragsteuerberater“ gehört nicht zur Pflichtlektüre eines Steuerberaters.
BGH, Urteil v. 25.9.2014, IX ZR 199/13
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