Zivilprozesskosten grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar
Hintergrund
A war von ihrer Mutter testamentarisch zur Alleinerbin eingesetzt worden. Im Rahmen eines Verfahrens wegen Erbscheinerteilung zweifelte der Bruder der A die Rechtmäßigkeit des Testaments an. Es kam zu einem Zivilrechtsstreit, in dem das Amtsgericht zugunsten der A entschied und ihr einen Alleinerbschein erteilte. A entstanden für den Prozess Anwalts- und Gerichtskosten von insgesamt rund 7.000 EUR, die ihr weder von ihrem Bruder noch von dritter Seite erstattet wurden.
A machte die Kosten für 2010 als außergewöhnliche Belastung geltend. Sie berief sich auf die geänderte Rechtsprechung des BFH (Urteil v. 12.5.2011, VI R 42/10, BStBl II 2011, 1015). Mit diesem Urteil hatte der BFH entschieden, dass Zivilprozesskosten - unabhängig vom Gegenstand des Rechtsstreits - aus rechtlichen Gründen zwangsläufig entstehen und daher als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.
Gleichwohl lehnten das FA und auch das FG den Abzug der Prozesskosten ab. Das FG wies darauf hin, das subjektive Nettoprinzip gebiete nicht den Abzug jedweder Zivilprozesskosten unabhängig vom Gegenstand des Prozesses.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision zurück. Er hält an seiner in dem Urteil in BStBl II 2011, 1015 vertretenen Auffassung nicht mehr fest, sondern kehrt zu der früheren Rechtsprechung zurück. Dass sich ein Prozessbeteiligter nach einem verlorenen Zivilprozess der Zahlungsverpflichtung aus rechtlichen Gründen nicht entziehen kann, reicht nicht aus, um zwangsläufige Aufwendungen i.S. des § 33 EStG anzunehmen. Entscheidend ist vielmehr die wesentliche Ursache, die zu den Aufwendungen geführt hat. Nicht die unmittelbare Zahlungsverpflichtung, sondern das die Verpflichtung adäquat verursachende Ereignis muss zwangsläufig sein.
Bei einem Zivilprozess fehlt es grundsätzlich an der Zwangsläufigkeit, da es in der freien Entscheidung der Parteien liegt, ob sie sich zur Durchsetzung oder Abwehr eines Anspruchs dem Prozessrisiko aussetzen. Anders ist es bei einem Rechtsstreit, der einen existenziell wichtigen Bereich oder den Kernbereich menschlichen Lebens betrifft. Hier kann eine Zwangslage eintreten, in der die Verfolgung der rechtlichen Interessen trotz unsicherer Erfolgsaussicht existenziell erforderlich ist. Dieser Fall kann insbesondere dann vorliegen, wenn der Betroffene, ohne sich auf den Rechtsstreit einzulassen, Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren oder seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Diese Auslegung entspricht dem Grundgedanken des § 33 EStG, Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen.
Hiervon ausgehend konnten die der A entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten nicht berücksichtigt werden. Ihre Existenzgrundlage wäre nicht gefährdet gewesen, wenn sie das Erbe nicht angetreten hätte.
Hinweis
Die großzügige Anerkennung jedweder Zivilprozesskosten ohne Rücksicht auf den Prozessgegenstand durch das Urteil aus 2011 (BStBl II 2011, 1015) ist auf breite Kritik gestoßen. Die Verwaltung hat darauf mit einem Nichtanwendungserlass reagiert (BMF v. 20.12.2011, BStBl I 2011, 1286). Mit der Anfügung des Satzes 4 an § 33 Abs. 2 EStG wurde sodann durch den Gesetzgeber die bisherige Rechtslage in Wesentlichen wieder hergestellt. Nach diesem sog. "Nichtanwendungsgesetz" gilt: "Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) sind vom Abzug ausgeschlossen, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können". Da die Neuregelung erst ab 2013 gilt, kam sie im Entscheidungsfall (Streitjahr 2010) nicht zur Anwendung. Für die Praxis wichtig ist, dass es grundsätzlich nicht auf die Erfolgsaussichten des Prozesses ankommt, wobei allerdings mutwillige Prozessführungen ausgeschlossen sein müssten.
Die Rückkehr des BFH und auch des Gesetzgebers zu den bisherigen Grundsätzen ist zu begrüßen. Aufwendungen, die mit dem notwendigen Lebensbedarf nichts zu tun haben, fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 33 EStG. Die Berufung auf das staatliche Gewaltmonopol, das den Einzelnen zur Durchsetzung seiner Ansprüche notwendigerweise auf den Gerichtsweg verweist, begründet keinen zusätzlichen existenznotwendigen Bedarf.
Der BFH hebt hervor, die Stetigkeit der Rechtsprechung sei ein wesentliches Element der Rechtssicherheit. Für die hier vorliegende Problematik sei gleichwohl aus schwerwiegenden sachlichen Gründen die Rückkehr zu den Grundsätzen der bisherigen Rechtsprechung geboten. Es ist selten, dass ein oberstes Gericht so offen eingesteht, dass ein von ihm eingeleiteter Rechtsprechungsschwenk falsch war. Ergänzend sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass demnächst eine Entscheidung des BFH zu der Frage erwartet wird, ob von dem Ausschluss des Abzugs der Prozesskosten nach der Neuregelung in § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG auch die Kosten einer Ehescheidung erfasst werden (Az. VI R 66/14 und VI R 81/14).
BFH, Urteil v. 18.6.2015, VI R 17/14, veröffentlicht am 12.8.2015
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