Action Plan Circular Economy: Herausforderungen und Potenziale
Mit ihrem Action Plan „Circular Economy“ vom März 2020 will die EU-Kommission eine zukunftsorientierte Agenda für ein saubereres und wettbewerbsfähigeres Europa auf den Weg bringen, die gemeinsam mit Wirtschaft, Verbrauchern sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen gefördert werden soll. Er soll die Transformation im Sinne des europäischen „Green Deal” beschleunigen und dabei an die seit 2015 laufenden Maßnahmen für die „Circular Economy“ anknüpfen.
Die Bundesregierung hat dazu einen Dialogprozess zur Erarbeitung einer „Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ (NKWS) gestartet, die den Weg in eine zirkuläre Wirtschaft in Deutschland ebnen soll. Mit Blick auf die ehrgeizigen nationalen und europäischen Klimaziele sowie weiterer Herausforderungen für die Industrie unterstützt der BDI die Ziele der NKWS. Im Fokus: eine sinnvolle Ergänzung des EU-Aktionsplans Circular Economy von 2020.
Herr Oehlmann: Welche Positionen vertritt der BDI im gesellschaftlichen Diskurs zum Action Plan „Circular Economy“?
Dr. Claas Oehlmann: Wir sehen das Thema der Kreislaufwirtschaft als industriepolitische Initiative. Wir betrachten es daher als Wertschöpfungsthema oder als Business Case. Das fängt im Produktdesign an und zieht sich über den gesamten weiteren Lebenszyklus von Produkten und Materialien. Eine zentrale Rolle spielt hier die Abfallwirtschaft, welche die Möglichkeit bietet, durch Aufbereitung und Verwertung bereits verarbeiteter Rohstoffe einen Abstand zu gewinnen zu der Spirale sich permanent verteuernder Rohstoffpreise. Zur Stärkung der Abfallwirtschaft bedarf es passgenauer staatlicher Regelungen und ein Denken in Unternehmen in Wertschöpfungskreisläufen. Und natürlich muss man sagen, dass ohne Konsumenten eine Kreislaufwirtschaft nicht denkbar ist. Sie müssen inhaltlich mitgenommen werden, damit sie die Kreislaufwirtschaft unterstützen.
Ende März 2022 veröffentlichte die EU ihren Entwurf für eine neue Ökodesign Verordnung, die unter anderem Fragen der Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Reparierbarkeit oder des Recyclinganteils in Produkten regeln soll. Kann dieser Entwurf 1:1 von Industrieunternehmen in Deutschland umgesetzt werden?
Beim Ökodesign unterstützen wir den Wechsel von einer Richtlinie hin zu einer Rahmenverordnung, die Angaben zu Energieverbrauch, Produktvorgaben wie Langlebigkeit, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit sowie Umweltlabel vorgeben, weil sich hierdurch Produkte entwickeln lassen, die nachhaltiger sind. Der Schritt zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf die Materialeffizienz von Produkten und zur Verordnung ist ein sehr großer Schritt gewesen. Wir müssen jetzt dafür Sorge tragen, dass die produktspezifischen Durchführungsverordnungen nicht weiter kompliziert werden, sondern wir müssen das Augenmerk darauf richten, wie sie spezifiziert werden. Dafür brauchen wir die Einbindung von Herstellern, Verbrauchern und Politik.
Diese Gründe waren ausschlaggebend für die Gründung der BDI-Initiative „Circular Economy“ in der bekanntlich über den Kreis der BDI-Verbände nun auch einzelne Unternehmen die Möglichkeit haben, sich gestaltend in den Meinungsbildungsprozess einzuschalten.
Potenziale der Kreislaufwirtschaft
Welche ökonomischen und ökologischen Potentiale können sich durch zirkuläres Wirtschaften ergeben?
Die Kreislaufwirtschaft muss eine wichtige Rolle spielen, wenn es um die Rohstoffversorgung geht. Sie wird in Zukunft neben heimischen und importierten Rohstoffen eine wichtige Rolle spielen. Wir haben dabei Potentiale, die wir heben wollen.Es stellt sich dabei die Frage, wo die neuen Geschäftsmodelle genau liegen. Unternehmen verstehen es sehr gut, ihre Geschäftsprozesse weltweit zu optimieren. Wenn ein Unternehmen diese etablierten und optimierten Prozesse in Richtung Kreislaufwirtschaft verändern will, braucht es Sicherheit bei der Rohstoffversorgung und einen Markt, der bereit ist, gegebenenfalls temporär höhere Preise zu akzeptieren.
Gleiches gilt auch für die Qualität der Rohstoffe. Normierung und Standardisierung führen zu einer Verlässlichkeit im Markt, die ein Unternehmen braucht. Dabei ist darauf zu achten, dass durch ein kluges Matchmaking keine ungleichen Marktverhältnisse zwischen Mittelstand und Industrie entstehen.
Das Interesse muss aber auch darauf gerichtet werden, wie Unternehmen besseres Geld durch Reparaturarbeiten verdienen. Vielleicht ist es für ein Unternehmen besser, seine Produkte wieder näher an sich heranzuführen, so dass durch ein Recycling oder die Wiederverwendung von Bauteilen der Gebrauchtgeräte wieder Rohstoffe für neue Produkte entstehen.
Eine Herausforderung besteht darin, diese kreislaufwirtschaftlichen Aspekte in ein ERP einzupflegen, weil sich dadurch der kaufmännische Aspekt verschiedener Optionen bemessen lässt.
Welche politischen Rahmenbedingungen sind aus Sicht des BDI notwendig, um langlebige, nachhaltige und kreislauffähige Produkte zu designen?
Aus unserer Sicht ist eine kohärente Rolle von Abfallrecht, Produktrecht und Stoffrecht. Bisher hat man auf die Übergänge dieser Rechtsarten wenig Achtung gelegt. Wir brauchen gute Regeln an den Schnittstellen, die wir bisher nicht haben. Beispiel: Kein Verbraucher wird sich ein Produkt kaufen, das aus Müll hergestellt und so ausgezeichnet ist.
Herausforderungen auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft
Was sind die aktuell drängendsten Herausforderungen, wenn man das Ziel einer Kreislaufwirtschaft erreichen will?
Was wir u. a. brauchen, sind passgenaue Lösungen und Anreize für die Rückführung von Produkten am Ende ihrer Nutzungsphase (z. B. konsumentennahe Rücknahmesysteme). Diese können jedoch nur durchgesetzt werden, wenn dafür Anreizsysteme für Konsumenten geschaffen werden, die Sammelstrukturen optimiert werden und gesellschaftliche Sensibilisierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Wir haben so etwas schon einmal für die Rücknahme von Plastikflaschen erfolgreich durchgeführt. Eine einmalige Investition in die Rücknahmeinfrastruktur führt heute zu Top-PET-Qualitäten und TOP-Aluminium-Qualitäten einer hohen Rücklaufquote.
Was sind aus Ihrer Sicht die „Low Hanging Fruits“ auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft, die in Unternehmen mit wenig Mühen realisierbar sind?
Für Unternehmen besteht der wesentliche Schritt darin, die Strategie der Kreislaufwirtschaft aus dem Umweltbereich herauszuholen und sie zur strategischen Frage des Materialzugriffs zu erklären.
Arbeitsfelder der BDI-Initiative Circular Economy
Im April 2021 wurde die BDI-Initiative Circular Economy gegründet. Sie umfasst ein Netzwerk aus etwa 60 Akteuren der gesamten industriellen Bandbreite. Sie ist dabei nicht nur politisches Sprachrohr nach Berlin und Brüssel, sondern treibt Circular Economy von der Produktentwicklung bis hin zur Wiederverwertung ganzheitlich an. Welche Arbeitsfelder finden in dieser Initiative Beachtung?
Zu Beginn dieser Initiative bestand der Gedanke, dass man eine zirkuläre Wertschöpfung nicht auf den Aspekt der Abfallwirtschaft beschränken kann. Mit dieser Initiative wollen wir positive Ansätze entwickeln, um neue Strukturen zu entwickeln, die für eine Kreislaufwirtschaft benötigt werden.
An dieser Herausforderung beteiligen sich 30 Verbände und 30 Unternehmen im Wesentlichen mit zwei Missionen: intern beschäftigen wir uns mit den Herausforderungen, die sich aus den Aspekten Umwelt, Klima und Rohstoffversorgung ergeben; nach außen wollen wir die Wege kommunizieren, die wir zur Lösung dieser Herausforderungen gefunden haben.
Daraus ergeben sich für die Initiative drei Kernaufgaben: Wir bringen uns ein in die vorbereitenden Fachdialoge in Gesetzgebungsverfahren. Zudem entwickeln wir ein gemeinsames Grundverständnis zu den aufgeworfenen Fragen. Dabei benennen wir die Potentiale, die sich aus der Rohstoffökonomie, der Normung und Standardisierung und der Digitalisierung ergeben. Und schlussendlich kommunizieren wir unsere Positionen auf Kongressen, Messen und anderen Wegen der Öffentlichkeitsarbeit.
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Das Interview wurde ursprünglich in Ausgabe Oktober 2023 des Magazins „ Kleine Kniffe –Das betriebliche Magazin für einen nachhaltigen Einkauf“ veröffentlicht.
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