Energiefresser Schott: auf dem Weg zur klimaneutralen Produktion


Nachhaltig im Wandel: Schott AG

Schott in Mainz produziert Dinge, die die Welt braucht. Zugleich emittiert der Konzern enorm viel CO₂. Mit viel Geld, viel Hirn und einer sehr offenen Kommunikation will das Unternehmen dem Problem beikommen.

Schott ist ein erstaunliches Unternehmen. Als Endkundin kocht man vielleicht auf einem Ceranglasfeld, erfunden von Schott. Oder nutzt ein Smartphone mit einem Display von Schott. Schaut Fernsehen mit einer Bildschirmoberfläche von Schott. Oder trägt morgens ein Make-up auf mit bioaktivem Glaspulver von Schott. Die Consumer-Anwendungen sind nur ein kleiner Bestandteil des Produktportfolios: Schott fertigt Spezialgläser für etliche Branchen, von der Raumfahrt bis zum Bau, von Automotive bis zur Halbleiterfertigung, von der optischen Industrie bis zur Medizintechnik. Die Schott AG ist ein systemrelevantes Unternehmen, denn ihre Pharma-Sparte fertigt Spritzen und Karpulen, Fläschchen und Ampullen für die Aufbewahrung und Verabreichung von Medikamenten. Der Corona-Impfstoff zum Beispiel kam in Phiolen von Schott.

Das weltweit führende Spezialglas- und Materialtechnologieunternehmen ist in über 30 Ländern aktiv, es beschäftigt rund 17.100 Mitarbeitende. Darunter sind enorm viele Entwicklerinnen und Ingenieure, Wissenschaftlerinnen und Tüftler. Es ist, sagt der Head of Sustainability Communications Jonas Spitra, „ein Daniel Düsentrieb-Unternehmen“.

Das Problem: Schott ist eine riesige CO₂-Emissionsschleuder. Glas zu erzeugen, verbraucht enorm viel Energie. Der Stoff, aus dem all die sinnvollen Dinge gefertigt werden, schmilzt bei heißen 1.700 Grad. Die Schmelzwannen, groß wie Einfamilienhäuser, laufen bis zu zehn Jahre, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Die Temperatur muss stabil hoch sein, denn fällt sie ab, erhärtet das Glas und zerstört die teuren Wannen. Für den permanenten Schmelzprozess ist entsprechend sehr, sehr viel Erdgas vonnöten. Bis jetzt jedenfalls.

Hilfreich bei der Mammutaufgabe: Schott ist ein Stiftungsunternehmen

„Wir können die Physik nicht ändern, Glas muss auch in Zukunft sehr heiß geschmolzen werden. Aber unsere Technologieprofis werden hoffentlich Lösungen finden, die CO₂-Emissionen zu senken – das ist hier bei uns der große Wunsch von allen“, sagt Jonas Spitra.

Der Konzern hat sich sehr offensiv dem Technologiewandel und extrem ambitionierten Zielen verschrieben: im Jahr 2030 will Schott klimaneutral produzieren (basierend auf dem Greenhouse Gas Protocol Scope 1 + 2). Hilfreich bei dieser Mammutaufgabe: Es ist ein Stiftungsunternehmen. Die Carl-Zeiss-Stiftung ist alleinige Aktionärin der Carl Zeiss AG und der Schott AG. Hauptaufgaben der Stiftung „sind die dauerhafte Zukunftssicherung der beiden Stiftungsunternehmen auf der Basis von Pioniergeist und verantwortungsvoller Unternehmensführung sowie die Förderung der Wissenschaft“, heißt es auf der Website.

Damit verpflichteten die beiden Stifter Ernst Abbe und Otto Schott schon im Jahr 1889 die beiden Unternehmen zu einem nachhaltigen Wirtschaften. Jonas Spitra weiß, dass dieser Satz „Nachhaltigkeit gehört zu unserer DNA“ einer der meist missbrauchten und phrasenhaftesten Sätze in der Nachhaltigkeitskommunikation von Konzernen ist. Aber, was soll man machen? Bei Schott stimmt’s.

Heute, gut 135 Jahre später, schlägt sich das Vermächtnis der Gründer unter anderem darin nieder, dass der Schott-Vorstand geschlossen hinter enormen Investitionen in die Forschung zur Nutzung grüner Energien steht. Ein dreistelliger Millionenbetrag fließt in die Erforschung von neuen Schmelztechnologien auf Basis von Strom und Wasserstoff. Die Herausforderung: jahrzehntelang optimierte Produktionsprozesse müssen neu gedacht werden, die Qualität darf auf keinen Fall sinken und die Produktion muss kostenmäßig wettbewerbsfähig bleiben.

Quartalsweise treffen sich die Vorstandsmitglieder mit einem eigens etablierten Nachhaltigkeits-Board, um den aktuellen Stand der Dinge zu diskutieren. Jede Menge Man- und Womenpower wurden bereitgestellt, damit die Klimaziele von Schott durch die Science-Based-Targets Initiative (SBTI) als wissenschaftlich fundiert verifiziert werden und damit, so Jonas Spitra „die derzeit weltweit härteste Tür in puncto Klimaziele“ nehmen konnten. Die SBTI gilt, offiziell formuliert, „als ‚Gold-Standard‘ für ambitionierte, wissenschaftsgetriebene Dekarbonisierungsprogramme von Unternehmen“.

Spitra, Jonas

Das Erreichen der Klimaziele wird zur „Lizenz zum Geschäftemachen“

Schott leistet sich eine vorbildliche Nachhaltigkeitskommunikation. Ein fünfköpfiges Team informiert intern und extern über die definierten Nachhaltigkeitsziele, hält jährlich eigene Pressekonferenzen nur zum Thema Klimaziele ab und lädt Journalistinnen und Journalisten ein, vor Ort zu recherchieren. Schott kommuniziere mit „offenem Visier“, sagt Spitra, das Unternehmen wolle jeden Anschein von Greenwashing vermeiden. Es werden also nicht nur Jubelmeldungen verbreitet. Stattdessen lässt Schott die Öffentlichkeit an dem mitunter sehr schwierigen Prozess teilhaben. Der Konzern präsentiert sich dialogbereit: Der Vorstandsvorsitzende Dr. Frank Heinricht nimmt zum Beispiel in den Tagesthemen Stellung zu den Anforderungen an eine noch fehlende Wasserstoff-Infrastruktur, diskutiert aber auch mit jungen Klimaaktivistinnen in seinem Büro über den Klimawandel. Schmelztechnologieexperte Matthias Kaffenberger erklärt die Herausforderung von wasserstoffbetriebenen Schmelzwannen in der ZDF-Wissenschaftssendung planet e; Michael Hahn, Leiter Heißprozesse Schott, erläutert in einem SWR-Beitrag die Hürden der mit Strom betriebenen Glasproduktion. Der Einsatz gegen den Klimawandel bekommt in der Kommunikation nach außen damit immer auch ein Gesicht. Und Gewicht: Finanzvorstand Jens Schulte betont, ebenfalls im SWR, zum Erreichen der Klimaziele: „Zum einen wartet der Planet nicht darauf, dass die Menschen Lösungen finden – also wir müssen viel für die Umwelt tun – zum anderen ist es aber auch eine klare Erwartung unserer Kunden und auch unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass wir hier Vollgas geben. Wir glauben, das wird die Lizenz zum Geschäftemachen sein in Zukunft.“

Für die Kommunikationsprofis läuft’s gut, denn sie können dank der Ingenieursleistungen im Konzern gute Nachrichten verbreiten. Zum Beispiel, dass seit 2019 durch die Umstellung auf Grünstrom und eine Steigerung der Energieeffizienz die absoluten Emissionen um 60 Prozent gesunken sind. Oder dass die CO₂-Emissionen im Geschäftsjahr 2022/23 trotz Wachstum und hohem Energieverbrauch konstant blieben. Oder dass Schott im November 2023 gleich zwei Nachhaltigkeitspreise nach Mainz holte, einen in der Kategorie Glas/ Keramik und den Sonderpreis „Transformationsfeld Klima“. Bei der Award-Verleihung in Düsseldorf – und auch das ist ein Zeichen dafür, dass Nachhaltigkeit bei Schott nicht nur als Kommunikationssache betrachtet wird – saßen laut Spitra Kolleginnen und Kollegen aus der Technologieentwicklung, dem Strategiemanagement, aus der juristischen Abteilung, aus den Technical Services und der Kommunikation am Tisch. Und auch der Vorstandsvorsitzende Dr. Frank Heinricht war zumindest zeitweise dabei.

Die wohl beste aller Nachrichten, die Spitra und sein Team bald verkünden könnten: Wenn nicht irgendwas wider Erwarten noch schrecklich schief geht, wird im Jahr 2026 die erste mit Grünstrom betriebene E-Schmelzwanne in Bayern in Betrieb gehen. Die würde bei der Produktion sagenhafte 80 Prozent der CO₂-Emissionen einsparen, es wäre eine echte Pionierleistung. Die übrigens vom Staat mit 14,8 Millionen Euro gefördert wird. Schott selbst investiert 40 Millionen in die innovative Wanne.

Die große Lösung ist eine Gemeinschaftsanstrengung

Bevor eine Transformation in großem Stil gelingen kann, gilt es noch ein Riesenproblem zu lösen, auf das Schott keinen Einfluss hat: Es müssten große Mengen an Grünstrom oder grünem Wasserstoff zuverlässig und zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung stehen. Selbst wenn es ausreichend grünen Wasserstoff gäbe, bräuchte es eine Infrastruktur, also Pipelines, um ihn nutzen zu können. Für das Pilotprojekt ließ Schott in Mainz eigens einen Wasserstofftank errichten. Der wurde teils zweimal täglich von Tankwagen befüllt. Das wäre mit großen Liefermengen schon allein aus Sicherheitsgründen unverhältnismäßig aufwändig und verkehrstechnisch unmöglich – man möchte sich den Stau an Wasserstofftankwagen in Mainz gar nicht vorstellen. Geht es um Infrastruktur oder Energieerzeugung, ist Schott auf die Politik angewiesen, der große Umbau der Industrie funktioniert nur im Schulterschluss. Das ist eine schwierige, aber auch attraktive Aufgabe. Schott erlebt gerade, dass sich viele kluge Köpfe mit großer Leidenschaft in die Aufgabe hineinknien, gute technischen Lösungen für eine klimafreundliche Zukunft zu schaffen. Daniel Düsentrieb hätte seine Freude.