Zukunftsbilder: Nachhaltiges Leadership und IDGs
Jörg Reckhenrich: Am Nachhaltigkeitsbericht der GLS Bank fallen insbesondere die dargestellten Zukunftsbilder ins Auge. Wie wurden diese entwickelt?
Laura Mervelskemper: Die Entstehung dieser Zukunftsbilder ist tatsächlich faszinierend. Wir haben einen bidirektionalen Prozess sowohl intern als auch mit unseren Kundinnen und Mitgliedern initiiert. Zunächst haben wir uns darauf konzentriert, die sozial-ökologischen Kernaspekte der Finanzierungen in verschiedenen Branchen aus unserer Perspektive zu verstehen. Anschließend haben wir aus der Sicht unserer Kunden betrachtet, was ihnen bei ihren Projekten wichtig ist und welche Werte für sie im Vordergrund stehen. Eine zentrale Frage, die wir uns dabei immer wieder gestellt haben, ist: In welcher Welt möchten wir eigentlich leben? Was ist das übergeordnete Ziel unseres Handelns? Auf diese Weise sind die Zukunftsbilder entstanden. Sie reflektieren nicht nur eine gesellschaftliche Notwendigkeit, sondern berücksichtigen auch die planetaren Grenzen und sozialen Fundamente.
Ich spreche häufig mit Organisationen über die Herausforderungen und den Druck, der durch ESG-Regulierungen und Reportingpflichten entsteht. Doch welche Rolle spielt das Führungsverhalten bei der Verankerung von Nachhaltigkeit im Unternehmen?
Führungsverhalten spielt eine maßgebliche Rolle in der Förderung von Nachhaltigkeit innerhalb einer Organisation. Dies variiert stark, je nach dem spezifischen Kontext des Unternehmens. Auf der einen Seite haben wir Unternehmen wie VAUDE, Patagonia, Sonnentor, Weleda oder auch die GLS Bank, die Nachhaltigkeit als Kern ihres Geschäftsmodells verstehen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich diesen Unternehmen anschließen, teilen oft eine ähnliche Wertebasis und sind bereits mit dem Thema Nachhaltigkeit vertraut. Im Gegensatz dazu stehen Unternehmen, deren Geschäftsmodell nicht unmittelbar auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Hier ist die Führungsverantwortung umso wichtiger, da Nachhaltigkeit noch nicht ein fester Bestandteil der DNA ist. In beiden Fällen ist das Führungsverhalten entscheidend. Aber dort, wo Nachhaltigkeit noch nicht fest verankert ist, kommt der Führung eine noch größere Bedeutung zu. Ein „Tone from the Top“, also eine klare, von der Unternehmensspitze ausgehende Richtungsvorgabe, ist essenziell. Dieser Ton beeinflusst maßgeblich die Unternehmenskultur und zeigt, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern aktiv gelebt und gefördert wird. Fehlt diese klare Führung, zerfällt das Engagement für Nachhaltigkeit oft, weil die Mitarbeitenden sich nicht ausreichend einbezogen fühlen. Daher ist es entscheidend, das Thema Nachhaltigkeit ganzheitlich zu denken und durchgängig in der Führungsarbeit zu verankern.
Inner Development Goals als Weg zu tiefgreifender Veränderung
Im Kontext von Führung und Führungsverhalten spielen die Inner Development Goals (IDGs) eine Rolle. Die IDGs sollen die Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDGs) unterstützen, indem sie an menschlichen Ideen, Einstellungen und Haltungen ansetzen. Glauben Sie, dass dies die Realisierung der SDGs fördern kann?
Ich sehe das Thema der IDGs als sehr wichtig an, weil es darum geht, eine Veränderung in der Haltung, im Bewusstsein und im täglichen Handeln – insbesondere im Führungsverhalten und in der Vorbildfunktion – zu bewirken und zu integrieren. Eine bewusste Auseinandersetzung mit diesen Zielen stellt einen erheblichen Mehrwert dar, da in vielen Unternehmen eine solche Haltung und ein solches Bewusstsein für Nachhaltigkeit noch nicht gelebt werden. Häufig wird Nachhaltigkeit aus einer regulatorischen Notwendigkeit heraus angegangen oder in Reaktion auf steigenden Marktdruck, wobei Initiativen oft auf Marketingmaßnahmen beschränkt bleiben. Diese Ansätze führen jedoch nicht zu einer tiefgreifenden Veränderung der Unternehmenskultur oder der grundsätzlichen Haltung. Die Transformation ist ein langwieriger Prozess, und ein Framework allein kann nicht über Nacht die Haltung einer kompletten Führungsetage verändern. Doch je mehr Menschen ich auf einer Ebene der Haltung und des Bewusstseins erreiche, desto größer ist die Chance, dass sich eine nachhaltige Veränderung durchsetzt. Ich bin überzeugt, dass eine veränderte innere Haltung und ein geschärftes Bewusstsein essenziell sind, um einen tiefgreifenden Wandel zu initiieren, der über bloße Marketingaktionen hinausgeht.
Ist das IDG Framework schon ausgereift? Welchen Mehrwert bieten die IDGs?
Meine erste Einschätzung ist, dass es alle relevanten Bereiche sehr umfassend abdeckt und miteinander verknüpft, sodass es ein engmaschiges Netz an Möglichkeiten und Perspektiven spannt. Um jedoch eine noch tiefere Einsicht zu gewinnen, muss das in der Praxis konkret angewendet und erlebt werden. Aus meiner bisherigen Erfahrung mit verschiedenen Konzepten ist dieses Framework das umfangreichste und zugleich dasjenige, dem ich am einfachsten folgen konnte. Es identifiziert fünf Schlüsselbereiche Being, Thinking, Relating, Collaborating, Acting, die meiner Meinung nach adressiert werden müssen, um effektive Veränderungen mit der Ausrichtung auf Nachhaltigkeit zu ermöglichen.
Inwiefern können die IDGs dazu beitragen, pragmatische Handlungsansätze, Experimentierfelder für Nachhaltigkeit und eine entsprechende Haltung zu entwickeln?
Haltung ist, gerade wenn es um Nachhaltigkeit geht, alles andere als ein Selbstläufer. Ich denke, es kommt darauf an, mit einem konkreten Handlungsfeld zu beginnen und dieses als Blaupause für weitere Initiativen zu nutzen. Die Integration der IDGs in diesen Prozess ist entscheidend. Ich finde die SDGs als Konzept hervorragend, bin aber von der Art und Weise, wie sie in der Praxis gelebt werden, enttäuscht. Genau hier liegt der Mehrwert der IDGs: Sie bieten die Möglichkeit, durch eine bewusste Auswahl von Handlungsfeldern, in denen tatsächliche Veränderungen möglich sind, und durch die Begleitung dieses Prozesses mit einem Fokus auf Haltung und Bewusstsein, einen echten Unterschied zu machen. Dies unterstreicht, warum eine Ergänzung durch die IDGs so wertvoll ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
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